Schweizer Rettungshund kommt im Ausland immer weniger zum Einsatz
Die humanitäre Landschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Die Krisen dauern länger, die Bedürfnisse sind gigantisch, und immer mehr Akteure mischen mit. Die Humanitäre Hilfe Schweiz muss sich anpassen. Das spürt auch deren Aushängeschild, der Rettungshund.
1991 stand Linda Hornisberger zum ersten Mal mit einem Hund für die Schweiz im Einsatz: Nach einem schweren Erdbeben in Costa Rica suchten die beiden in den Trümmern nach Überlebenden. Auch als die Erde in der Türkei (1992 und 1999), in Algerien (2003), in Indonesien (2009) und in Japan (2011) bebte, war die gelernte Tierärztin mit der Rettungskette SchweizExterner Link vor Ort.
Linda Hornisberger war massgeblich am Aufbau des Schweizerischen Vereins für Such- und Rettungshunde REDOGExterner Link beteiligt. Dieser ist seit 1981 Mitglied der Rettungskette Schweiz. Ihr stellt die Freiwilligenorganisation bis zu 16 Suchhunde rund um die Uhr zur Verfügung, wenn der Bund danach fragt. Als Bereichsleiterin der Sparte VerschüttetensucheExterner Link ist die 58-Jährige bei REDOG zuständig für Einsätze, Übungen und Ausbildung.
swissinfo.ch: Die Anzahl der REDOG-Einsätze für die Rettungskette Schweiz nimmt ab.
Linda Hornisberger: Wir sind da für Ereignisse, von denen alle hoffen, dass sie nie geschehen. Es ist also eigentlich wünschenswert, dass es uns weniger braucht. Doch fehlt es uns dadurch immer mehr an Einsatzerfahrung.
Ein Suchhund steht nur sechs bis sieben Jahre auf der Liste für Einsätze im Ausland. Und die Ausbildung eines neuen einsatzbereiten Hundes ist mit einem riesigen Aufwand verbunden. Kein europäischer Staat kann das finanzieren, unsere Leute engagieren sich alle freiwillig.
swissinfo.ch: Seit 35 Jahren trainieren Sie täglich mit Ihren Hunden und sind praktisch rund um die Uhr bereit, innerhalb von zwölf Stunden in ein Katastrophengebiet zu reisen. Weshalb tun Sie das?
«Ich sah das Gesicht eines Mannes und wusste: Sein Leben ist vorbei.»
L.H.: Für die Angehörigen sind die Suchhunde häufig die allerletzte Hoffnung. Die Zeit bei solchen Einsätzen drängt enorm. Obwohl wir die meisten Verschütteten nur noch tot orten können, ist das für die Hinterbliebenen enorm wichtig.
swissinfo.ch: Aber für Sie auch frustrierend, nicht?
L.H.: Während meines ersten Einsatzes in Costa Rica verliess ich nach einem Leichenfund tatsächlich ziemlich frustriert ein Trümmerfeld. Doch dann lief mir plötzlich eine Frau entgegen, umarmte mich und bedankte sich: Der Tote war ihr Bruder. Sie wusste nun, dass er sich bei dem Erdbeben das Genick gebrochen hatte und sofort tot war.
Bleibt jemand unter den Trümmern vermisst und die Frage unbeantwortet, ob die Person vielleicht noch gelebt und lange gelitten hat, kämpfen die Angehörigen häufig mit schrecklichen Schuldgefühlen, die sie ein Leben lang nicht mehr loslassen.
swissinfo.ch: Gibt es Bilder von Ihren Einsätzen, die sich in Ihrem Kopf eingraviert haben?
L.H.: Da ist das Bild eines alten Algeriers, der vor den Trümmern seines Hauses auf einem wackeligen Stuhl an einem kleinen Tisch sitzt, auf dem drei Tassen und ein Kaffeekrug stehen. Der Krug hat einen Spalt, und mein erster Gedanke ist, dass der Kaffee auslaufen wird.
Doch dann sehe ich das Gesicht des Mannes und weiss: Das spielt keine Rolle mehr. Denn sein Leben ist vorbei. Unter den Trümmern seines Hauses orteten wir seine Familie. Tot.
swissinfo.ch: Einer der Gründe, weshalb die Einsätze abnehmen, ist die steigende Anzahl an regionalen Rettungsgruppen. Die Schweiz bildete solche Teams in Jordanien, Marokko und China aus, Sie waren auch daran beteiligt. Schafft sich die Rettungskette so nicht selber ab?
L.H.: Es geht ja darum, Leben zu retten. Und hier können wir helfen, wenn wir uns an der Ausbildung von Teams beteiligen. So entstehen lokale oder regionale Organisationen, die in den ersten Stunden nach einem Erdbeben effizient handeln können. Das macht Sinn, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Rettungskette noch nicht vor Ort.
Und bei einem Grossereignis werden auch in Zukunft immer wieder Länder auf ausländische Hilfe angewiesen sein. Da ist eine gut ausgebildete Organisation wie die Rettungskette Schweiz unentbehrlich.
«Bei einem Grossereignis werden auch in Zukunft immer wieder Länder auf ausländische Hilfe angewiesen sein.»
swissinfo.ch: 2014 hat REDOG sein Auslandengagement erweitert und arbeitet seither eng mit der ehrenamtlichen Rettungsorganisation GEAExterner Link aus der Türkei zusammen. Und Sie waren kürzlich in Japan, wo REDOG auch mit Hundestaffeln arbeitet und deren Zusammenarbeit mit bestehenden Rettungsorganisationen unterstützt. Macht das Sinn?
L.H.: Solche Partnerschaften haben Zukunft. Sie ermöglichen uns auch dann Hilfe zu leisten und Rettungsteams mit erfahrenen Hundestaffeln zu ergänzen, wenn die Rettungskette nicht zum Einsatz kommt. Das hat das Beispiel Nepal vor vier Jahren gezeigt, wo wir mit unseren türkischen Kollegen nach Verschütteten suchten.
swissinfo.ch: Besteht da nicht die Gefahr eines Interessenkonflikts?
L.H.: Im Gegenteil: Die Erfahrungen, die REDOG in seinen Einsätzen sammelt, kommen allen zu gute. Im Ernstfall können wir sowohl der Rettungskette als auch den ausländischen Partnerorganisationen Teams zur Verfügung stellen. Und im Zweifelsfall hätte die Zusammenarbeit mit der Rettungskette Priorität.
swissinfo.ch: Sie und Ihre Hunde helfen auch in der Schweiz bei der Suche nach Verschütteten, so zum Beispiel im Jahr 2000, als ein Steinschlag in der Walliser Gemeinde Gondo 13 Menschen unter sich begrub. Inwiefern unterscheidet sich ein solcher Einsatz von einem im Ausland?
L.H.: Nach einem Einsatz im Ausland komme ich zurück und empfinde das Erlebte während einer gewissen Zeit als surreal. In Gondo war das nicht der Fall: Da fand das Unglück vor der Haustür statt. Und mit solchen Ereignissen wird REDOG in Zukunft vermehrt konfrontiert sein.
Humanitäre Hilfe Schweiz stellt ihr Korps neu auf
REDOG mit seinen Such- und Rettungshunden ist eines von acht Gliedern der auf die Soforthile nach schweren Erdbeben im Ausland spezialisierten Rettungskette SchweizExterner Link. Diese wiederum ist wohl das in der Öffentlichkeit bekannteste Instrument der Humanitären Hilfe der SchweizExterner Link.
Doch die Einsätze der Rettungskette sind weniger geworden. Mit ihrer gesamten Staffel stand sie nach dem Erdbeben in Indonesien 2009 zum letzten Mal im Einsatz.
Das hat verschiedene Gründe, wie Manuel Bessler, Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre HilfeExterner Link (SKH) gegenüber swissinfo.ch erklärt. Die Bedürfnisse seien riesig und so noch nie dagewesen. Auch dauerten die Krisen immer länger. «Kurze Krisen wie ein Erdbeben sind heute die Ausnahme.»
Und selbst dann: «Immer mehr Länder mit hohem Erdbebenrisiko wie beispielsweise die Türkei, Indien oder China verfügen mittlerweile über verbesserte Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung», so Bessler. Gefragt ist vermehrt ganz spezifische Expertise: «Nach dem schweren Erdbeben in Nepal 2015 entsandte ich Soforteinsatzteams für die medizinische Versorgung. In Mexiko 2017 waren es Experten für die Beurteilung von Gebäuden, und in Indonesien/Sulawesi 2018 unterstützten wir die betroffene Bevölkerung mit Notbehausungen und Trinkwasserversorgung.»
Braucht es die Rettungskette in ihrer bestehenden Form also gar nicht mehr? «Doch, es braucht sie weiterhin», betont Bessler. «Sie ist ein wichtiges Instrument, das wir pflegen und mit Trainings und Übungen à jour halten müssen.» Sie soll nächstes Jahr erneut nach UNO-Standards klassifiziert werden und so in der Liga der weltweit professionellsten und leistungsfähigsten Such- und Rettungsteams bleiben, eine Voraussetzung für Einsätze im Ausland.
Bessler will der sich verändernden humanitären Landschaft aber Rechnung tragen, indem er sein Korps, dessen meisten Mitglieder der Rettungskette angehören, für die Zukunft aufstellt: massgeschneiderte Lösungen mit kleineren, agileren Spezialteams. Eine interne Arbeitsgruppe entwickelt gegenwärtig ein entsprechendes Grundlagepapier zur Stärkung des operationellen Arms der Humanitären Hilfe. Abgeschlossen soll der Prozess im Frühling 2020 sein.
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