Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Ich dachte, der Staat müsse seine Bürger schützen»

Bankangestellter: Immer mehr ein Risikoberuf? Keystone

Eric Delissy ist einer der tausenden Bankangestellten und Berater, deren Namen von Steuerdelikt verdächtigten Schweizer Banken an die US-Justiz ausgeliefert wurden. Enttäuscht von der Schweizer Regierung, will er seine Rechte verteidigen.

«Ich bin wütend und empört über das unmoralische Verhalten der Bankmanager, die zur Rettung der eigenen Haut Angestellte sowie ehemalige und pensionierte Angestellte opfern», sagt Eric Delissy, Ex-Mitarbeiter der Genfer Bank HSBC, gegenüber swissinfo.ch. «Die Strategie, in den USA zu operieren, ohne sich an die dortigen Steuergesetze zu halten, wurde von oben, und sicher nicht von unten, vom Personal, beschlossen», erklärt der heute pensionierte Anwalt.

Fünf Schweizer Banken, gegen die in den USA eine Untersuchung läuft wegen mutmasslicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung für Tausende ihrer Kunden in den letzten Jahren, haben beschlossen, mit dem US-Justizdepartement zusammenzuarbeiten. Die US-Behörde forderte von den Banken die Herausgabe aller Dokumente im Zusammenhang mit deren Operationen in den USA und sogar der Namen und Daten der im US-Markt tätigen Mitarbeiter. Die ausgelieferten Informationen sollen mindestens 10’000 Personen betreffen, wobei viele von ihnen nicht einmal in diesem Bereich aktiv gewesen sind.

«Ich habe nie in den USA gearbeitet und niemals amerikanische Kunden getroffen», betont Eric Delissy, der die HSBC 2003 verlassen hat. Der pensionierte Anwalt fühlt sich ungerechterweise verraten und denunziert. «Ich wurde nicht einmal direkt darüber informiert, dass auch mein Name den USA kommuniziert wurde. Im April habe ich zufällig in einer Zeitung gelesen, dass die Bank eine Telefonnummer eingerichtet hat, wo sich die gegenwärtigen HSBC-Angestellten erkundigen können, ob ihr Name auf der Auslieferungsliste an die USA steht.» Darauf habe auch er Informationen verlangt.

Gefangen in der Schweiz

Über mögliche Konsequenzen der Daten-Herausgabe an die US-Justiz erhielt Eric Delissy jedoch keine Informationen. Wie viele andere Angestellte und Berater, vermeidet er es, die Schweiz zu verlassen und vor allem, sich in die USA zu begeben. Der pensionierte Anwalt will die Hände aber nicht in den Schoss legen: Im August hat er Klage gegen die HSBC und die Schweizer Regierung erhoben, welche die Banken ermächtigte, die Daten an die US-Untersuchungsbehörden auszuliefern.

«Die Schweizer Regierung hat es zugelassen, dass die Namen von tausenden Angestellten und Ex-Mitarbeitern herausgegeben wurden, wie wenn sie bereits der Steuerhinterziehung für schuldig befunden worden wären. Und dies ohne jegliche Garantie von US-Seite, dass sie nicht gerichtlich verfolgt werden. Ist es nicht die oberste Pflicht einer Regierung, ihre Bürger zu schützen? Ich dachte das, aber wahrscheinlich habe ich mich getäuscht.»

Innerhalb weniger Tage erhielt Eric Delissy Unterstützung von zahlreichen Personen, die sich in der gleichen Situation befinden. Einige hundert Bankangestellte und Berater sind der Organisation Swiss Respect beigetreten. Diese wurde vor wenigen Monaten gegründet, um die Akteure des Finanzplatzes und die Interessen der Schweiz gegen internationale Angriffe zu verteidigen.

Verletzte Prinzipien

«Es ist unzulässig, dass die Regierung Tausende von Bürgern opfert, die eigentlich in den Genuss des Schweizer Rechtsstaates kommen sollten: Datenschutz, Regeln über die administrative Hilfe, Recht auf Information und rechtliche Verwahrung gegen eine Aktion wie diese. Alle diese Prinzipien wie auch die nationale Souveränität wurden verletzt, während gleichzeitig praktisch amerikanisches Recht angewendet wird», sagt Douglas Hornung, Rechtsvertreter von Swiss Respect, gegenüber swissinfo.ch.

Der Genfer Anwalt vertritt zudem die Interessen von 50 Bankangestellten und Ex-Bankmitarbeitern – darunter Eric Delissy – gegenüber der HSBC, Credit Suisse und Julius Bär. «Die Banken wussten, dass sie mit der Daten-Herausgabe das Gesetz verletzen. Aber in der Schweiz riskieren sie, auch im Fall von strafbaren Handlungen, eine Busse von höchstens 5 Millionen Franken pro Bank. Bei einer Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden können sie sich jedoch einige 100 Millionen Franken der Bussen einsparen, die sie wahrscheinlich bezahlen müssen.»

Douglas Hornung hat unter anderem ein Zivilstrafverfahren eröffnet, das verlangt, dass seine Klienten wenigstens eine Kopie der ausgelieferten Dokumente erhalten, damit sie sich verteidigen können. «Nur wenige Personen haben bisher beschlossen, auszusagen und ihre Interessen zu verteidigen. Dies weil unter dem Bankpersonal ein Klima der Angst herrscht. Viele haben Angst vor einem Stellenverlust oder vor der Gefährdung ihrer beruflichen Zukunft, in einer Periode, die im Bankensektor schon heute nicht rosig ist», betont der Anwalt.

Herausgegebene Dokumente

«Die Herausgabe der Daten hat unter dem Personal Besorgnis erregt», sagt Medard Schoenmaeckers, Sprecher der HSBC, gegenüber swissinfo.ch. «In Europa sind wir uns nicht an diese amerikanische Vorgehensweise gewohnt. Wir versuchen deshalb, unser Möglichstes zu tun, um die Mitarbeiter offen zu informieren, die übrigens die herausgegebenen Dokumente einsehen können, die sie betreffen.»

Der HSBC-Sprecher betont, dass die Bank keine Namensliste an die USA ausgeliefert habe. «Für die Amerikaner ist es nicht wichtig, Namen zu haben. Wichtig für sie ist zu verstehen, wie die Aktivitäten der Schweizer Banken mit ihrer Privatkundschaft in den USA funktioniert haben. Wir haben deshalb interne Informationen über unsere Aktivitäten in den USA herausgegeben, darunter Berichte über Reisen, Treffen, elektronische Botschaften, Vorgehensratgeber. In diesen Daten wurden die Namen der Klienten entfernt.»

In den Dokumenten figurieren jedoch die Namen der Bankmitarbeiter. Laut Medard Schoenmaeckers «gibt es derzeit allerdings keine Anzeichen von möglichen Risiken für das Personal im Fall einer Privatreise in die USA. Falls es Probleme geben sollte, hat die HSBC-Führung dahingehend informiert, dass die Bank sämtliche Gerichtskosten oder andere Ausgaben übernehmen würde.»

Entschuldigungsschreiben

«Die einzigen Personen, die sich in den USA frei bewegen können, sind die Bankmanager, denn sie haben mit den US-Untersuchungsbehörden ’non prosecution› (Nicht-Strafverfolgungs)-Abkommen geschlossen», meint Eric Delissy. Die Bundesanwaltschaft hat kürzlich seine Klage gegen die Schweizer Regierung zurückgewiesen, aber der pensionierte Anwalt will seinen Kampf weiterführen.

«Mein Ziel ist es, von der Bank wenigstens ein Entschuldigungsschreiben, in dem bestätigt wird, dass mein Name irrtümlicherweise an die USA ausgeliefert wurde, und ein Bestätigungsschreiben der US-Behörden zu erhalten. Mit diesen zwei Briefen könnte ich wieder ins Ausland reisen, wohin ich will.»

2009 wurde die UBS verurteilt, 780 Mio. Dollar Strafe zu zahlen, weil sie Tausenden von Klienten geholfen hatte, Steuergeld vor dem amerikanischen Fiskus zu verstecken.

2011 eröffnete die US-Justiz eine Untersuchung gegen 11 in der Schweiz aktive Banken. Sie standen unter demselben Verdacht.

Am 9. Dezember forderte das US-Justizdepartement diese Banken auf, ihm bis Ende Jahr eine Dokumentation zu schicken, die ihre Geschäftstätigkeit in den USA umfasst, inklusive der Namen der betreffenden Bankangestellten.

Zuerst weigerte sich die Schweizer Regierung, diese Anfrage zu akzeptieren, weil die US-Behörden nicht bereit waren, den Bankangestellten Immunität zu garantieren. 

Auf Druck der USA und der betroffenen Banken willigte der Bundesrat am 4. April 2012 ein, die Namen an die USA auszuliefern, um die Interessen der betreffenden Institute zu wahren.

Die Angestellten hatten keine Möglichkeit, sich dieser Auslieferung entgegen zu setzen, weder betreffend die Identität noch betreffend Erhalt einer Kopie. Doch die Banken haben eingewilligt, ihnen Einsicht in die Daten zu geben.

Gegen diese 11 Banken hat das US-Justizdepartement im vergangenen Jahr eine Untersuchung eröffnet: Credit Suisse, Julius Bär, Zürcher Kantonalbank, Basler Kantonalbank, HSBC, Wegelin, Neue Zürcher Bank, drei israelische Banken und eine Bank aus Liechtenstein.

Der Streit um herausgegebene Daten soll derzeit lediglich 5 der 11 Banken betreffen: Wegelin und Neue Zürcher Bank haben ihre Aktivitäten eingestellt, während die drei israelischen Banken und die Bank aus Liechtenstein keine Informationen an die USA ausgeliefert haben sollen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft