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Erstmals eine Frau an der Spitze des Roten Kreuzes

Mirjana Spoljaric Egger
© Keystone / Peter Schneider

Mirjana Spoljaric Egger ist ab Oktober die erste Frau an der Spitze des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Sie tritt ihr Amt in einer Welt an, in der die Konflikte immer komplexer werden.

Wie üblich wurde eine ehemals in der Schweizer Diplomatie tätige Person für das Amt gewählt. Die erneuerbare Amtszeit an der Spitze der humanitären Organisation dauert vier Jahre. Die gebürtige Kroatin Spoljaric Egger hat an den Universitäten Basel und Genf Philosophie, Völkerrecht und Wirtschaft studiert – und sie wird die erste Frau an der Spitze der Organisation sein, die vor 150 Jahren in der Schweiz gegründet wurde.

Spoljaric Egger war zuvor beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) als stellvertretende Administratorin und Direktorin des Regionalbüros für Europa und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten tätig. Dort war sie für die Beziehungen zu Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken zuständig. Sie wird am 1. Oktober den bisherigen IKRK-Präsidenten Peter Maurer ablösen.

«Ich werde mich bemühen, die Bedürfnisse der am meisten gefährdeten Menschen in den Vordergrund zu stellen und der unglaublichen Wirkung der IKRK-Teams in Konfliktsituationen weltweit gerecht zu werden», sagte sie bei ihrer Wahl zur Präsidentin im November letzten Jahres.

Komplexes internationales Umfeld

Spoljaric Egger wird sich in einem äusserst komplexen internationalen Umfeld zurechtfinden müssen. Hauptziel der Organisation ist es, den Schutz und die Hilfe für die Opfer bewaffneter Konflikte im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Wiedervereinigung von Vermissten mit ihren Angehörigen, die Unterstützung von Asylsuchenden, Binnenvertriebenen und Gefangenen.

20’000 IKRK-Mitarbeitende arbeiten in über 100 Ländern, darunter Afghanistan, Libyen und Sudan, um Menschen zu helfen, die von Krieg und Gewalt schwer betroffen sind.

In den letzten zehn Jahren sah sich das Rote Kreuz mit immer mehr Konflikten und humanitären Katastrophen konfrontiert, wie dem Syrien-Konflikt, dem Exodus der Rohingya aus Myanmar und der russischen Invasion in der Ukraine.

Ein Teil der Herausforderung für das IKRK besteht darin, einen Dialog nicht nur mit den kämpfenden Kräften, sondern mit allen beteiligten Parteien zu führen. So stellte sich etwa zu Beginn des Kriegs in der Ukraine die Frage der Unparteilichkeit der Organisation.

Im März wurde Maurer für sein Treffen mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow kritisiert. Man sah ihn in Moskau bei einer Fotoaktion Hände schütteln und lächeln. Einige Kritikerinnen und Kritiker gingen so weit, den Dialog des IKRK mit Moskau als Legitimierung der russischen Invasion in der Ukraine zu interpretieren.

Der Krieg in der Ukraine und der begrenzte Handlungsspielraum des IKRK vor Ort machen deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die Institution konfrontiert ist. Ein am vergangenen Freitag veröffentlichter Bericht der UNO-Untersuchungskommission zur Ukraine dokumentiert eine lange Liste von Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Darunter finden sich der illegale Einsatz von Sprengstoff in bewohnten Gebieten, wahllose Angriffe ohne Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kämpfenden, Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen, sexuelle Gewalt durch Soldaten und Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen.

Die Kommission kam zu dem Schluss, dass Russland in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen hat. Sie stellte auch zwei Fälle von Misshandlung russischer Kriegsgefangener durch ukrainische Streitkräfte fest.

Der Generaldirektor des IKRK, Robert Mardini, gab bei einem Besuch in Kiew Anfang September zu, dass er «nur einen Bruchteil des Bedarfs» in der Ukraine abdecken könne und nur begrenzten Zugang zu den Kriegsgefangenen habe.

«Bislang konnten wir nur einige Hundert Kriegsgefangene auf beiden Seiten (Ukraine und Russland) besuchen. Und wir wissen, dass es noch Tausende weitere gibt, zu denen wir Zugang brauchen», sagte Mardini vor den Medien. Die dritte Genfer Konvention gewährt dem IKRK theoretisch Zugang zu allen Kriegsgefangenen.

Eine weitere grosse Herausforderung für die Organisation sind die zunehmenden Verstösse oder Fehlinterpretationen des Kriegsrechts, auch bekannt als humanitäres Völkerrecht. Die letzten vergleichenden Umfragen des IKRK aus den Jahren 1999 und 2016, bei denen 17’000 Menschen in 16 Ländern befragt wurden, zeigten, dass sich die Wahrnehmung der Nichteinhaltung des Kriegsrechts verändert hat.

Die Umfrage von 2016 zeigte, dass die Menschen in den fünf Ländern der ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats (China, Frankreich, Russland, Grossbritannien und die USA) sowie in der Schweiz den Tod von Zivilpersonen in Konfliktgebieten eher akzeptieren.

Zwar antworteten zwei Drittel der Befragten, dass Folter «falsch» sei, aber im Vergleich zur Umfrage von 1999 waren weniger Menschen dagegen, dass ein feindlicher Kämpfer gefoltert werden kann.

Herausforderungen Hunger und Klimawandel

Neben der zunehmenden Zahl bewaffneter Konflikte wird sich die Institution auch mit dem Migrationsdruck auseinandersetzen müssen, der sich aus der Nahrungsmittelknappheit und dem Klimawandel ergibt.

«Mein Wunsch ist, dass wir die Resilienz in die Struktur der humanitären Hilfe einbauen, damit die Gemeinschaften weniger leiden, wenn Gewalt und Klimawandel ihr Leben zerstören», sagte der scheidende Präsident Maurer auf seiner letzten Pressekonferenz.

«Wir müssen über den Reflex der Nothilfe hinausgehen und in fragile Regionen, Gesundheitssysteme, Wassersysteme und lebenswichtige Infrastrukturen investieren. Wenn Kinder an Hunger sterben, ist dies das Ergebnis von Systemversagen. Es ist ein Kreislauf der Traurigkeit, und wir müssen diesem Kreislauf entkommen», so Maurer weiter.

«Pflasterlösungen» würden in den kommenden Jahren nicht ausreichen, um Systemkrisen zu lösen.

Editiert von Virginie Mangin

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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