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«Im Wahlkampf wird das Abkommen zu Fall gebracht»

Auch Patrick Odier von der Bankiervereinigung und Staatssekretär Michael Ambühl haben versucht, den deutschen Parlamentariern das Schweizer Bankensystem zu erklären. Keystone

Mit dem Scheitern des Referendums in der Schweiz hat das Steuerabkommen mit Deutschland zwar einen weiteren Schritt gemacht. Aber die letzte Hürde scheint zu hoch zu sein. Die Opposition in Deutschland hat das Abkommen zum Wahlkampf-Thema gemacht.

Dass das Referendum gegen das Steuerabkommen in der Schweiz gescheitert ist, deuten die meisten Medien in beiden Ländern als Zeichen dafür, dass das Schweizer Stimmvolk das Abkommen mehrheitlich gutheisst.

Laut dem NZZ-Korrespondenten in Berlin wurde das Scheitern auch in deutschen Regierungskreisen begrüsst mit der Bemerkung, dass es eine «Koalition der Vernünftigen» in beiden Ländern gebe, welche die Vorteile des Abkommens erkennen würden.

Gefahr droht dem Abkommen aber nicht seitens der Regierung, und auch nicht im Bundestag (der ersten Parlamentskammer), wo die Regierungskoalition aus Union und FDP eine solide Mehrheit hat, sondern vom deutschen Bundesrat (der Länderkammer), der über das Abkommen voraussichtlich Ende November befinden wird.

Die links-grüne Mehrheit in der Länderkammer scheint entschieden gegen das Abkommen zu sein, sagt Professor Gerd Langguth vom Institut für Politologie und Soziologie an der Universität Bonn gegenüber swissinfo.ch.

Steuergerechtigkeit als Wahlthema

«Der Schweizer Botschafter in Deutschland ist ja ungeheuer aktiv und sucht das Gespräch mit allen, aber die Mehrheit im Bundesrat scheint sich nicht umstimmen zu lassen.» In Deutschland sei Wahlkampf, erinnert der Politikwissenschaftler, und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SPD, opponiere nicht nur gegen ein missliebiges Sachgeschäft, sondern «es geht ihr auch darum, der Regierung Merkel eins auszuwischen».

«Wenn die Opposition – wie hier mit diesem Abkommen – die Chance dazu bekommt, wird sie auch nutzen müssen und wollen. In Deutschland haben viele Leute etwas gegen das Schweizer Steuergeheimnis, weil sie der Meinung sind, dass der deutsche Staat betrogen werde.»  Und dass wisse auch die SPD.

Die SPD habe Steuergerechtigkeit zum Wahlthema gemacht. Nicht nur Norbert Walter-Borjans, der Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen, sondern auch andere Länderchefs, und vor allem SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hätten in den letzten Tagen nochmals erklärt, dass sie entschieden gegen das Abkommen seien.

Nach der Wahl zum Kanzlerkandidaten hatte Steinbrück gesagt, die Schweiz müsse sich bei der Aufdeckung von Steuerbetrug mehr engagieren. Angesprochen sei nicht die Souveränität der Schweiz, sondern jene Deutschlands. Steuerbetrug sei für die SPD nicht nebensächlich.

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«Abkommen gescheitert»

Politikwissenschaftler Gerd Langguth kann sich nicht vorstellen, wie man diese Leute in ihrer exponierten Position noch von ihrer harten Haltung abbringen könnte.

Wenn sich der Bundestag und der Bundesrat nicht einig sind, gäbe es theoretisch zwar die Möglichkeit, ein sogenanntes Vermittlungsverfahren durchzuführen. Die Regierung in Berlin könnte versuchen, die von den Oppositionsparteien regierten Bundesländer über Zugeständnisse in anderen Bereichen doch noch zum Einlenken zu bewegen.

Aber in der Frage des Steuerabkommens mit der Schweiz habe sich die SPD so festgelegt, dass sie kaum noch Manövrierfähigkeit habe und sich nichts mehr reparieren lasse, sagt Gerd Langguth. «Ich glaube, dass das Abkommen gescheitert ist.»

Hoffnung stirbt zuletzt

Der Korrespondent des Schweizer Radios in Berlin will aus Regierungskreisen vernommen haben, dass auf diplomatischer Ebene noch intensiv an einem Deal gearbeitet werde. Ein solcher käme nur zustande, wenn die Schweiz Deutschland nochmals einen entscheidenden Schritt entgegen kommen würde.

Die Schweiz hatte den von den deutschen Genossen zerzausten Vertrag für die Abgeltungssteuer im Frühling einmal nachgebessert. Aber eine weitere Nachbesserung werde es nicht geben, hat Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf in den letzten Wochen mehrfach wiederholt. Und am Text des Abkommens darf jetzt auch nicht mehr gerüttelt werden.

Gesucht werde nun insbesondere nach einer Lösung, die verhindern würde, dass deutsche Steuersünder vor Inkrafttreten des Abkommens noch abschleichen könnten. Eine Lösung, welche aber auch die schweizerische Position nicht wesentlich beeinträchtigen dürfte. Der Verhandlungsspielraum sei sehr eng, meint der Radio-Korrespondent.

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA will die Hoffnung auf eine Mehrheit in der Länderkammer nocht nicht begraben. Es schreibt dazu auf Anfrage, dass «die meisten SPD-geführten Bundesländer ihre Position im Bundesrat noch nicht festgelegt haben».

Die deutsche Bundesregierung setze sich «stark für das Abkommen in Deutschland ein und beurteilt die Chancen einer Genehmigung offenbar als intakt», schreibt das EDA.

Das von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seiner Schweizer Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf ausgehandelte aber noch nicht ratifizierte Abkommen sieht vor, dass Steuerhinterzieher zwischen 21 und maximal 41 Prozent ihres Altvermögens an den Fiskus nachzahlen. Dabei dürfen sie anonym bleiben.

Künftige Erträge deutscher Anleger in der Schweiz sollen wie in Deutschland mit 26,4 Prozent (inklusive Solidaritätszuschlag) besteuert werden.

Laut dem Bundesfinanz-Ministerium werden bis zu 280 Milliarden Euro deutsches Kapital bei Schweizer Banken verwaltet – etwa die Hälfte von privaten Anlegern.

Die deutschen Behörden gehen davon aus, dass das Abkommen dem Fiskus rund 10 Milliarden Euro einbrächten. Auf Schweizer Seite wird betont, dass die Steuerschuld für deutsche Anleger in 90 Prozent aller Fälle höher sei, als das, was diese zahlen müssten, wenn sie sich selbst anzeigten.

Die Gegner des Abkommens bezweifeln die Zahlen. Sie stören sich auch daran, dass der Kauf von Steuer-Daten nicht mehr möglich wäre. Diesen Trumpf, mit dem deutsche Steuersünder veranlasst wurden, sich selbst anzuzeigen, und der inzwischen mehrere Milliarden in die deutschen Steuerkassen fliessen liess, wollen sie nicht aus der Hand geben.  

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