Immer mehr deutsche Steuersünder zeigen sich an
Im ersten Halbjahr 2013 haben sich besonders viele deutsche Steuersünder mit Konten in der Schweiz selbst angezeigt. Die Gesamtzahl der Selbstanzeigen in Deutschland ist damit auf über 50'000 gestiegen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Den stärksten Anstieg der Selbstanzeigen meldet Nordrhein-Westfalen, wo sich zwischen Januar und Juli dieses Jahr 1528 reuige Steuersünder bei den Finanzbehörden anzeigten. Das sind mehr als vier Mal so viele wie im gleichen Zeitraum 2012. Nordrhein-Westfalen hat seit 2010 vier Steuerdaten-CDs für insgesamt 9 Millionen Euro erworben. Fast 9000 Personen haben sich seitdem selbst angezeigt, das Land hat dadurch mehr als 670 Millionen Euro Steuern zusätzlich eingenommen.
Auch in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen haben sich im ersten Halbjahr 2013 jeweils mehr als 1000 Steuersünder bei den Behörden gemeldet. Bereits im April dieses Jahr hatte eine Umfrage der Wochenzeitung DIE ZEIT unter den deutschen Steuerbehörden ergeben, dass sich seit Anfang 2010 rund 47’200 Steuerhinterzieher selbst angezeigt haben. Nach dem sprunghaften Anstieg der letzten Monate dürften es inzwischen weit mehr als 50’000 sein.
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Gescheitertes Steuerabkommen und und «Hoeness-Effekt»
Zurückzuführen sei diese hohe Zahl an Anzeigen vor allem auf das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz, vermuten viele Finanzbehörden. «Anders als in den ersten sechs Monaten 2012 gab es in diesem Halbjahr keine Hoffnung mehr auf eine Amnestie ohne Preisgabe der Identität, wie sie das unfaire Steuerabkommen mit der Schweiz geboten hätte», erklärt zum Beispiel das nordrhein-westfälische Finanzministerium.
Damit drohe – anders als von manchem erwartet – weiter der Ankauf von Steuer-CDs. «Für manch einen ist und bleibt die Furcht vor der Entdeckung das wichtigste Argument für eine Selbstanzeige, wenn es zur Steuerehrlichkeit nicht gereicht hat», sagte der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD).
Das von der Bundesregierung geplante Steuerabkommen mit der Schweiz war Ende 2012 am Widerstand der deutschen Sozialdemokraten und der Grünen gescheitert.
Ob auch ein so genannter «Hoeness-Effekt» eine Rolle für den Anstieg der Selbstanzeigen spielt, ist bei Behörden und Medien umstritten. Wie im April bekannt wurde, hatte der Präsident von FC Bayern München und Sportmanager Uli Hoeness im Januar Selbstanzeige wegen Steuerbetrugs erstattet. Über 13 Jahre lang unterhielt er ein unversteuertes Konto bei der Bank Vontobel. Der Fall hat in Deutschland die Steuerdebatte zusätzlich angeheizt.
Bei deutschen Steuerbehörden stapeln sich die Selbstanzeigen, doch es fehlen Finanzbeamten, um sie zu bearbeiten. Das Problem «Personal-Notstand in den Finanzämtern» ist schon lange ein Thema in Deutschland. Immer wieder wird kritisiert, dass den Ländern Millionen an Steuerzahlungen entgehen, weil es zu wenige Mitarbeiter für Betriebsprüfungen und die Steuerfahndung gibt.
Gerade Selbstanzeigen machen viel Arbeit; die Steuerbeamten müssen häufig umfangreiche Unterlagen und komplizierte Erklärungen prüfen.
Die Deutsche Steuergewerkschaft fordert deshalb schon seit Langem mehr Personal für die Finanzbehörden. Ein Betriebsprüfer koste den Staat im Schnitt 80’000 Euro im Jahr, hole aber etwa eine Million Euro an zusätzlichen Steuern herein, rechnet die Gewerkschaft vor.
Gewerkschaftschef Thomas Eigenthaler macht indirekt auch den innerdeutschen Länderfinanzausgleich für den Personalmangel verantwortlich. So würden die Bundesländer, die in das System einzahlen, nicht in Personal investieren, weil sie die Kosten zu 100% tragen müssten, die so gewonnenen Einnahmen aber zu 95% in das Ausgleichssystem flössen. Eigenthaler fordert darum eine Reform des Länderfinanzausgleichs.
Nicht alle gehen reuig zum Finanzamt
Auch wenn die Zahl der reuigen Steuersünder in die Höhe schnellt, ist ein Ende der Selbstanzeigen jedoch längst nicht in Sicht. «Viele Selbstanzeigen sind zum Beispiel noch in Vorbereitung», sagt Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, gegenüber swissinfo.ch. Für die kommenden Wochen rechnet er daher mit weiteren Anzeigen.
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Trotz Steuer-CDs und der Weissgeldstrategie der Schweizer Banken gäbe es ausserdem viele Personen, die sich nicht anzeigten. «Die einen aus Furcht, wie Hoeness und der Klaus Zumwinkel (ehemaliger Postchef) geoutet zu werden, was das gesellschaftliche Aus bedeutet. Andere deshalb, weil sie noch mehr Dreck am Stecken haben. Ihr Vermögen stammt aus illegalem Glücksspiel, Geldwäsche oder Menschenhandel.» Wir sollten nicht denken, dass nun alle reuig zum Finanzamt gehen, so Eigenthaler.
«Ausserdem ist für mich offen, wie wirkungsvoll die Weissgeldstrategie tatsächlich ist», fügt er hinzu. «Die Schweizer Bank kann sich ja nur auf freiwillige Angaben des Kunden verlassen. Fraglich ist auch, ob es sich eine Bank tatsächlich erlauben könnte, einen Kunden ans Messer zu liefern, denn das würde sowohl potentielle als auch bestehende Kunden verschrecken.»
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Deutschland bleibt wichtiger Markt für Schweizer Banken
Wie attraktiv sind Schweizer Banken nach der Aufweichung des Bankgeheimnisses also noch für Kunden aus Deutschland? Auf Anfrage von swissinfo.ch, ob es in den letzten Jahren einen deutlichen Rückgang in der Nachfrage deutscher Kunden nach ihren Bankprodukten gegeben habe, gaben UBS, Credit Suisse und Julius Baer an, hierzu keine Zahlen nennen zu können.
«Im Jahr 2011 haben wir für Europa insgesamt Geldabflüsse in Höhe von 12 bis 30 Milliarden Schweizer Franken prognostiziert», erklärt jedoch ein Sprecher von UBS. «Damit lagen wir nicht falsch. Diese Abflüsse werden allerdings durch Neugeldzuflüsse kompensiert. Im ersten Quartal 2013 verzeichnete die UBS zum Beispiel Zuflüsse von 1,1 Milliarden Schweizer Franken aus Gesamteuropa. Deutschland ist für die UBS in Europa nach wie vor der wichtigste Markt.»
Seit Auftauchen der ersten Steuer-CDs und seit die Schweizer Banken ihre Kunden aufforderten, sich steuerehrlich zu machen, dürften viele Deutsche ihr Vermögen dennoch entweder legal in Deutschland anlegen oder in andere Steueroasen verschieben. Für Schweizer Banken liegt das grösste Wachstumspotential indes ohnehin ausserhalb Europas.
«Wir verzeichneten über die letzten Jahre starke Zuflüsse von Kundenvermögen, insbesondere in den Emerging Markets wie Lateinamerika und Asien», erklärt ein Sprecher der Credit Suisse. «Wir wachsen aber auch in den reifen Märkten Europas. Es ist unsere erklärte Strategie, ausschliesslich versteuerte Gelder zu verwalten», betont er.
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