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Immer mehr Kantone streichen die Leibrente für Regierungsmitglieder

Ein Parlamentssaal
Stimmt der Neuenburger Grosse Rat dem Antrag der Regierung zu, werden nur noch drei Kantone (Waadt, Graubünden und Bern) den ehemaligen Regierungsmitgliedern eine lebenslange Rente ausrichten. © Keystone / Jean-christophe Bott

In der Schweiz revidiert ein Kanton nach dem anderen die Regelungen für die Ruhegehälter der Regierungsmitglieder. Lebenslange Renten sind selten geworden.

Auch im Kanton Neuenburg soll die Leibrente verschwinden. Aufgrund einer parlamentarischen Motion hat die Kantonsregierung Anfang September einen Vorschlag zur Abschaffung der Sonderregelung vorgelegt, auf die ihre Mitglieder bisher Anspruch hatten.

«Die Leibrenten werden heute als anachronistisches Privileg betrachtet», betonte der Staatsrat, die kantonale Exekutive. «Die Beibehaltung eines Systems, das besonders vorteilhaft erscheint, ist schwer zu verteidigen.»

Wenn das Projekt vom Parlament angenommen wird – eine Formalität, da alle Parteien die Motion unterzeichnet haben –, werden die Neuenburger Regierungsräte und Ministerinnen nach den nächsten Wahlen im Jahr 2025 nur noch vom Pensionssystem profitieren, das für das übrige Staatspersonal gilt.

Mit einem Unterschied: Beim Ausscheiden aus der Regierung erhalten sie eine Entschädigung, die von der Dauer ihres Mandats abhängt. Der Höchstbetrag beträgt ein Jahresgehalt, respektive 15 Monatsgehälter für Personen zwischen 50 und 60 Jahren.

Zurzeit erhalten scheidende Personen aus der Neuenburger Stadt- und Gemeinderegierung 36% ihres Gehalts (241’000 Franken Jahr), wenn sie über 50 Jahre alt sind und mindestens zwei Amtsperioden absolviert haben.

Sind sie zum Zeitpunkt ihres Rücktritts zwischen 40 und 50 Jahre alt, erhalten sie 36% ihres Ruhegehalts für die Dauer ihres Mandats, sofern dieses mindestens vier Jahre gedauert hat.

Beträgt die Amtszeit weniger als ein Jahr oder liegt das Rücktrittsalter unter 40 Jahren, gibt es keine Rente, sondern eine einmalige Entschädigung, berichtet die Neuenburger Zeitung Arcinfo.

Im Gegenzug zur Einführung des neuen «normalen» Pensionssystems schlägt der Neuenburger Staatsrat eine Anpassung des Gehalts vor, da das Projekt die «Attraktivität» der Leitungsfunktion eines kantonalen Ministeriums verringere. Der Lohn soll deshalb um 24’000 Franken pro Jahr erhöht werden.

Abschaffung der Leibrenten in fast allen Kantonen

Neuenburg ist nur der jüngste Kanton in einer langen Reihe von Kantonen, die dieses von vielen als ungerechtfertigt empfundene Privileg abgeschafft haben. In Genf zum Beispiel hat das Stimmvolk im November 2021 eine Volksinitiative der Grünliberalen zur Abschaffung der lebenslangen Pensionen ehemaliger Staatsratsmitglieder angenommen.

Einige Monate zuvor, im Juni, hatte die Tessiner Bevölkerung eine Reform in die gleiche Richtung angenommen.

Die Abschaffung des lebenslangen Ruhegehalts geht in der Regel einher mit einer Erhöhung der Bezüge (im Tessin um 13% auf CHF 277’000 pro Jahr), der Einführung einer Abgangsentschädigung oder – für ältere Regierungsrätinnen und Regierungsräte – einer Überbrückungsrente bis zum Erreichen des Pensionsalters (65 Jahre).

Der jährliche Bruttolohn eines Mitglieds der Landesregierung (Bundesrat) beträgt 456’854 Franken (Stand: 1.1.2022).

Eine Bundesrätin oder ein Bundesrat hat nach mindestens vier Amtsjahren oder früher, wenn er oder sie aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt ausscheiden muss, Anspruch auf ein Ruhegehalt.

Das Ruhegehalt beträgt 50% des Gehalts einer amtierenden Magistratsperson.

Wird nach dem Ausscheiden aus dem Amt eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und übersteigen die Einkünfte zusammen mit dem Ruhegehalt das Jahresgehalt einer amtierenden Bundesrätin oder eines amtierenden Bundesrats, wird das Ruhegehalt um den übersteigenden Betrag gekürzt. Mit anderen Worten, ab einem Gehalt von 228’000 Franken wird das Ruhegehalt progressiv gekürzt.

Das Ende der Ausnahmen

Auch in den wenigen Kantonen, wo noch über ein lebenslanges Ruhegehaltsystem diskutiert wird, nämlich Graubünden, Waadt und Bern, ist dessen Abschaffung wohl nur noch eine Frage der Zeit.

In Graubünden hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) im März dieses Jahres eine Volksinitiative mit dem Titel «Keine goldenen Fallschirme mehr für Regierungsmitglieder – keine lebenslangen Renten» lanciert.

Sie hält die vom Kantonsparlament beschlossene Lösung, den Rentenanspruch auf 65 Jahre zu beschränken, für unbefriedigend.

Gemäss den Initiantinnen und Initianten erhalten Regierungsrätinnen und -räte einen angemessenen Lohn und müssen auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt für ihren Lebensunterhalt aufkommen können.

Im Kanton Waadt hat sich der Grosse Rat vor eineinhalb Jahren mit dem Thema befasst. Das Kantonsparlament zog es jedoch vor, zumindest vorläufig nicht einzugreifen und beschränkte sich darauf, von der Regierung einen Bericht über ein System zu verlangen, das die Kantonskasse im Jahr 2020 2,6 Millionen Franken kosten wird, um die Renten von 17 ehemaligen Regierungsmitgliedern und acht Witwen zu garantieren. Die Debatte ist damit vorerst vertagt.

Als es noch keine zweite Säule gab

Dieses Rentensystem wurde vor allem in den 1940er- und 1950er-Jahren eingeführt, als das Amt des Regierungsrats (damals waren nur Männer wählbar) zu einer Vollzeittätigkeit wurde und nicht mehr neben einem anderen Beruf ausgeübt werden konnte.

«Historisch gesehen war die Amtszeit viel länger. Oft erreichte man das Pensionsalter. Und schliesslich gab es keine zweite Säule», sagt Andrea Pilotti, Politikwissenschaftler an der Universität Lausanne.

Jahrzehntelang war das System unangefochten. Man ging davon aus, dass der Lohn angemessen genug sein müsse, um die besten Leute auch aus der Wirtschaft anzuziehen.

Ein weiteres Argument, das bereits Ende des 19. Jahrhunderts häufig vorgebracht wurde, war, «dass die Entlohnung eines politischen Amtes mit einem angemessenen Gehalt und einer Pension am Ende der Amtszeit dazu beiträgt, die Unabhängigkeit des Magistrats zu gewährleisten», sagt Pilotti.

Gegen Privilegien

In den letzten rund dreissig Jahren hat sich die Situation radikal verändert, was zum Teil auf den Anti-Establishment- und Anti-Privilegien-Diskurs zurückzuführen ist, der in den letzten dreissig Jahren vor allem von der SVP geführt wurde.

Anfang der 2000er-Jahre sorgte der Fall von Bundesrätin Ruth Metzler für Aufsehen. Sie war 1999 im Alter von 34 Jahren in die Regierung gewählt worden und wurde vier Jahre später von Christoph Blocher verdrängt.

Theoretisch hätte Metzler bis an ihr Lebensende von ihrem Ruhegehalt leben können. Doch dann entschied sie sich, für den Novartis-Konzern zu arbeiten. Weil ihr Gehalt eine bestimmte Grenze überschritt, wurde ihr die Rente gestrichen.

Jüngeren Datums ist der Fall des Genfer Staatsrats Pierre Maudet, der 2020 im Alter von 42 Jahren wegen eines Skandals aus der Kantonsregierung zurücktrat. Maudet hatte zunächst auf seine Pension von über 82’000 Franken pro Jahr verzichtet. Im Jahr 2022 machte er einen Rückzieher und verlangte die rückwirkende Auszahlung der ihm zustehenden Beträge.

«Heutzutage sind die Karrieren kürzer geworden, es gibt mehr Fälle, in denen Personen nicht wiedergewählt werden, und es werden auch jüngere Personen als früher in diese Ämter gewählt, sagt Pilotti.

«Ausserdem wird ein Regierungsratsamt nicht mehr nur als Endpunkt einer politischen Karriere gesehen, sondern manchmal auch als Sprungbrett für weitere Karrieren», so der Politikwissenschaftler. All dies hat dazu geführt, dass dieses Pensionssystem heute von den meisten als anachronistisch empfunden wird.

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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