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Immer mehr Kurzzeit-Auslandschweizer

Vielen Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern ist die Beibehaltung von Beziehungen zum Heimatland sehr wichtig. Jedes Jahr nehmen etwa 400 Kinder und Jugendliche aus dem Ausland an Ferienlagern in der Schweiz teil. 2010 begrüsste die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard 40 Mädchen und Jungen im Bundeshaus. Keystone

2013 lebte praktisch jeder zehnte Schweizer im Ausland. Die Auslandgemeinde nimmt stetig zu, angetrieben auch durch neue Bedürfnisse der Wirtschaft und Vorteile durch den freien Personenverkehr. Erleichterungen allerdings, die wegen der Abstimmung vom 9. Februar auf der Kippe stehen.

Ein solcher Anstieg wurde seit fünf Jahren nicht mehr verzeichnet: 2013 hat die Anzahl Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent zugenommen. Heute leben 732’183 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, 16’463 mehr als 2012.

Das bedeutet, dass praktisch einer von zehn Schweizern ausserhalb des Landes lebt. Vielleicht sind es aber noch viel mehr, weil sich nicht alle bei der Schweizer Botschaft ihres Wohnlandes eintragen und daher nicht in den Statistiken des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erscheinen.

Die meisten leben in Frankreich (26% aller Auslandschweizer), doch in allen Ecken der Welt finden sich Landsleute: von Grönland (5 Personen) bis Papua Neuguinea (111), aber auch in den bürgerkriegsgebeutelten Ländern Südsudan (24) und Syrien (119) oder in der abgeriegelten Diktatur Nordkorea (8).

Zum sechsten Mal in Folge verzeichnet Asien den höchsten Anstieg von Schweizer Auswanderern (+5,6%), gefolgt von Afrika (+2,5%) und Europa (+2,3%). Europa bleibt aber die beliebteste Destination von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern: Rund 62% aller Expats – 452’965 Personen – leben auf dem alten Kontinent, davon satte 96,7% in einem Land der Europäischen Union (EU).

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Unergründliche «Botschafter»

Über diese Zahlen hinaus allerdings ist wenig über diese weltweit verteilte Gemeinschaft bekannt. «Die Schweiz nimmt das Phänomen der Migration einseitig wahr: Man konzentriert sich auf die Ausländer, die sich in unserem Land ansiedeln, aber man schenkt den Landsleuten, die ins Ausland abwandern und die Botschafter unseres Landes sind, zu wenig Beachtung «, sagt Ariane Rustichelli, Co-Direktorin der Auslandschweizer-Organisation (ASO).

«Es fehlen die nötigen Instrumente, um die Fünfte Schweiz zu verstehen, die in ihren Gastländern eher in der Masse verschwindet, vermutlich, weil Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sehr diskret sind.»

Im August 2012 haben Historiker an einem Kongress zur Gründung eines Instituts und eines Lexikons zur Erforschung der Geschichte der Auslandschweizer aufgerufen. Es brauche einen breiteren Blickwinkel, um alle Aspekte der Auswanderung zu erfassen.

Die Universität Basel hat dafür ein Studienprojekt über die zeitgenössische Schweizer Auswanderung gestartet. Es wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt und soll im Sommer 2016 abgeschlossen werden.

Derweil plant das Genfer «Musée des Suisses dans le monde» eine Plattform, um genauere Informationen über die Profile von Expats zu erhalten. Wer sind sie? Warum verlassen sie die Schweiz? Für wie lange? In welchem Sektor sind sie tätig? Welches sind ihre Träume und Herausforderungen?

Immerhin geben die Zahlen des EDA einigen Aufschluss. Da ist zuerst einmal die Tatsache, dass drei Viertel der Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland zwischen 18 und 65 Jahre alt, also im arbeitsfähigen Alter sind. Ein Grossteil von ihnen verfügt über eine doppelte Staatsbürgerschaft.

«Den Typus des Auswanderers, der im Ausland ein neues Leben anfangen will, gibt es sicherlich noch», sagt Rustichelli. «Doch immer mehr wird aus beruflichen Gründen für kürzere Zeit ausgewandert. Mit anderen Worten kann heute eine Person im Lauf einer Karriere dazu aufgefordert werden, das Land mehrmals zu verlassen. Deshalb ist es noch wichtiger, dass diese Expats enge Beziehungen zur Schweiz aufrechterhalten können.»

Rustichelli unterstreicht unter anderem, dass 2013 auch die Anzahl jener Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zugenommen hat, die sich in Stimm- und Wahlregistern eingetragen haben. Es sind nun 155’523 Personen (+4,3%), also etwa ein Viertel aller Stimm- und Wahlberechtigen, die im Ausland leben.

Arbeit im Ausland als Pluspunkt

Wer beruflich ins Ausland abwandert, wird häufig vom eigenen Unternehmen geschickt. Trotzdem hätten in den letzten Jahren jene Personen zugenommen, die auf eigene Faust einen Job ausserhalb der Schweiz suchten, sagt Alain Salamin, Gründer eines Beratungsunternehmens im Personalbereich (AS-HR Consulting) und Professor an der Fakultät für Betriebs- und Volkswirtschaft der Universität in Lausanne (HEC). Dies besonders auch wegen der aufkommenden Internet-Sites, die sich auf die internationale Rekrutierung spezialisierten.

«Auslanderfahrung ist zu einem zentralen Element eines Lebenslaufs geworden, wenn eine Karriere angestrebt wird», sagt Salamin. «Generell werden Unternehmen mit immer internationaleren Herausforderungen konfrontiert. Sie verlangen von ihren Mitarbeitenden eine gewisse Offenheit und Verständnis dafür, was in anderen Ländern geschieht. Das ist für ein Land wie die Schweiz noch viel wichtiger, weil sich dessen Unternehmen hauptsächlich auf einen ausländischen Markt konzentrieren.»

Das Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit habe zweifellos die Emigration von Schweizer Arbeitskräften in Länder der Europäischen Union erleichtert, ist Salamin überzeugt. «Es ist aber auch so, dass Schweizerinnen und Schweizer mit einem guten Ausbildungsgrad keine grossen Probleme haben, auch in ferneren Ländern eine Arbeitsbewilligung zu erhalten, den diese suchen qualifizierte Arbeitskräfte und Talente.»

Das Gespenst des 9. Februars

Für die ASO gibt es keinen Zweifel: Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer profitieren direkt von den Vorteilen des freien Personenverkehrs. «Dank den Bilateralen Verträgen können sie in der EU Arbeit suchen oder sich ansiedeln, und ihre Diplome werden anerkannt», sagt Rustichelli.

Werde nun aber das Prinzip der Personenfreizügigkeit in Frage gestellt, könnte dies «dramatische Folgen» für die Fünfte Schweiz haben, schreibt die ASO in einer Mitteilung.

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Auch unter den Direktbetroffenen, die sich über die von der ASO geschaffenen und verwalteten, 30’000 Mitglieder starken Plattform Swisscommunity austauschen, herrscht ein gewisses Unbehagen im Hinblick auf die «Masseneinwanderungs-Initiative» der Schweizerischen Volkspartei (SVP), über die am 9. Februar abgestimmt wird.

«Was geschieht ohne Bilaterale Abkommen in Sachen Gesundheitsversorgung? Momentan sind Schweizerinnen und Schweizer in Europa den EU-Bürgern gleichgestellt, doch gelten wir ohne Bilaterale wieder als Ausländer? Und was wird aus dem Erasmus-Programm für Studierende? Hat jemand eine Antwort darauf?», fragt etwa M.S. aus Frankreich.

«Wir können nicht abschätzen, welche konkreten Auswirkungen eine Annahme der SVP-Initiative auf die Bilateralen Verträge haben könnte», antwortet Ariane Rustichelli, «doch das Risiko besteht, dass das Prinzip der Gleichbehandlung zwischen Schweizern und EU-Bürgern nicht mehr garantiert wäre». Trotzdem hat die ASO entschieden, für den 9. Februar keine Abstimmungsparole abzugeben.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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