Informationsaustausch: OECD von FATCA inspiriert
Der automatische Informationsaustausch der OECD wird sich an das amerikanische FATCA-Abkommen anlehnen. Für ihre Mitgliedsländer, darunter die Schweiz, sei er "der Preis, um ausserhalb jedes Verdachts" in Sachen Steuerdelikten zu stehen, sagt Pascal Saint-Amans, Direktor des Zentrums für Steuerpolitik der OECD.
Das Schweizer Bankgeheimnis gerät immer mehr unter Druck. Denn im Februar 2014 will die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Einführungs-Modalitäten des automatischen Informationsaustauschs präsentieren. Die Organisation hofft, diesen im September 2014 durch die Finanzminister der G20 absegnen zu lassen.
swissinfo.ch: Wie sieht die Situation der Schweiz heute aus, wo sie auf Ihren Listen immer noch auf gleicher Stufe mit Ländern wie Brunei, Botswana und Panama steht?
Pascal Saint-Amans: Die Schweiz ist daran, die letzten Relikte der Vergangenheit wegzuräumen, an denen sie etwas zu lange festgehalten hat. Das betrifft besonders ihre fast krankhafte Verbundenheit mit dem Bankgeheimnis.
Die Schweiz befindet sich in der wenig komfortablen Situation, dass zwar Veränderungen geschehen sind, doch weil diese noch nicht umgesetzt wurden, haben sie noch nicht Eingang in eine bessere Bewertung gefunden.
Die Schweiz figuriert bei der Steuerkooperation noch in der Kategorie jener Länder, die ganz nicht dem aktuellen Standard der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entsprechen. Sie findet sich in der Benotung zusammen mit Ländern wie Brunei, Botswana und Panama.
Um sich Hoffnungen machen zu können, in die so genannte Phase 2 einzutreten, muss die Schweiz die Revision des Steueramtshilfe-Gesetzes weiterführen. Eine erste Revision ist im Februar 2012 in Kraft getreten. Sie erlaubt Gruppenanfragen.
Eine neue Revision, die in der aktuellen Session des Parlaments behandelt wird, sieht in bestimmten Fällen die aufgeschobene Information von ausländischen Kunden vor, die Gegenstand eines Amtshilfegesuchs sind. Gegenwärtig müssen diese Personen vorgängig über ein solches Ersuchen informiert werden.
Schliesslich wird der Bundesrat demnächst ein letztes Revisionsprojekt ins Parlament schicken. Diese Änderung soll Eigentümer von Inhaberaktien betreffen, die in Zukunft nicht mehr anonym bleiben sollen. Das Parlament wird diese Frage im Frühjahr 2014 behandeln.
swissinfo.ch: Der Bundesrat hofft, im nächsten Herbst in die so genannte Phase 2 der OECD-Länderprüfung zu gelangen (siehe Kästchen).
P. S.-A.: Wir hoffen fest darauf.
swissinfo.ch: Die OECD ist daran, einen neuen Standard auszuarbeiten, der als Referenz für den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen gelten soll. Wie wird dieser aussehen?
P. S.-A.: Ein Standard ist – für jene, die diesen anwenden – eine Reihe moralisch verbindlicher Regeln, wie sich ein Land verhalten soll. Konkret sieht der automatische Informationsaustausch vor, welche Art Informationen ausgetauscht werden sollen, wie oft, wer die Informationen sammelt, an wen sie geschickt werden und in welchem Format sie geliefert werden sollen.
swissinfo.ch: Wer entscheidet über den Inhalt dieses neuen Standards?
P. S.-A.: Erinnern wir uns daran, dass eine Anzahl genügend wichtiger Länder die Einführung des automatischen Informationsaustauschs gewünscht hat. Die G20 hat diese Änderung gutgeheissen, indem sie die OECD aufgefordert hat, einen Standard zu entwickeln.
Dies geschieht im Rahmen einer Arbeitsgruppe, in der alle OECD-Mitgliedsländer vertreten sind, also auch die Schweiz. Diese Länder tauschen sich mit dem Sekretariat aus. Zudem konsultieren wir die Wirtschaft, die Bankenindustrie, um diesen Standard umsetzbar und möglichst ohne hohe Kostenfolgen für die Operateure zu gestalten.
Wir werden in Schritten vorgehen. Im Februar 2014 werden wir die Modalitäten der Informationsbeschaffung präsentieren. Im Juni werden die technischen Bereiche präzisiert: Das Format, die Software. Im September wird der Standard anlässlich des G20-Finanzministertreffens in Australien angenommen werden.
swissinfo.ch: Nach welchem Modell wird sich der OECD-Standard richten? Ist es das FATCA-Abkommen (Foreign Account Tax Compliance Act), das die USA allen ihren Partnern vorschlagen, oder vielmehr aufzwingen?
P. S.-A.: Die Antwort ist Ja. Es wird sich um eine Art der Multilateralisierung des amerikanischen FATCA-Abkommens handeln.
Von den 50 Ländern, welche die OECD in der Phase 2 überprüfte, haben 18 die Grundsätze der steuerlichen Transparenz erfüllt, darunter Frankreich.
«Weitgehend» erfüllt haben u.a. Deutschland; Österreich und die Türkei sind «teilweise konform», während Zypern, Luxemburg, die Seychellen und die britischen Jungferninseln die Kriterien nicht erfüllen. Dort ist der Rechtsrahmen zwar vorhanden, aber er wird nicht angewendet.
Der heikelste Punkt bei der grossangelegten Prüfung sind die rechtlichen Möglichkeiten und Befugnisse, welche die zuständigen Behörden haben, um die wahren Inhaber von Finanzanlagen identifizieren zu können.
Geprüft werden auch eine nachgeführte, korrekte Buchführung oder die Möglichkeiten für ausländische Steuerbehörden, verlangte Daten innert angemessener Frist zu erhalten.
(Quelle: AFP)
swissinfo.ch: Gewisse Länder scheinen nicht gerade eine gute Meinung über das FATCA-Abkommen zu haben…
P. S.-A.: Die Schönheit der internationalen Organisationen liegt darin, die Beziehungen und Differenzen zwischen Staaten zu regeln. Wir werden mit dieser Multilateralisierung von FATCA versuchen, dass dieser Standard auf Grundlage der Gegenseitigkeit angewendet werden kann und dass die Interessen der einen wie der anderen berücksichtigt werden. Natürlich werden einige Länder möglicherweise mehr Informationen erhalten, als sie liefern, doch das gehört zur aktuellen «Geo-Ökonomie».
swissinfo.ch: Einige Länder fürchten sich vor der Komplexität und der finanziellen Belastung des automatischen Informationsaustauschs.
P. S.-A.: Es stimmt, dass er einen Preis haben wird, den man weder unter- noch überschätzen sollte. Wir versuchen, diesen möglichst tief zu halten, indem wir einen einzigen Standard einführen. Man hätte auch die Situation haben können, in der die Europäische Union (EU) einen eigenen Standard hätte, die USA ihr FATCA, Indien einen anderen Standard, usw.
Wir entwickeln einen einheitlichen Standard, der mit den nationalen oder regionalen Systemen kompatibel ist. Es wird daher nur eine Art und Weise geben, Informationen zu sammeln und auszutauschen. Das gibt es nicht gratis, doch es ist der Preis, den es zu zahlen gilt, um ausserhalb jedes Verdachts der Komplizenschaft in Sachen Steuerdelikten zu stehen.
swissinfo.ch: Für das gegenwärtige Regime, der Amtshilfe bei Verdacht auf Steuerdelikte, verteilt die OECD den Ländern von jetzt an Noten. Warum das?
P. S.-A.: 2009 haben sich alle Länder der Welt dazu verpflichtet, diesen Standard anzunehmen. Das Global Forum im Rahmen der OECD letzte Woche in Jakarta prüfte, ob das Engagement der Staaten mit den gesetzlichen Änderungen und neuen Praktiken in Einklang steht.
Wenn wir das in einem transparenten, öffentlichen Rahmen machen, geht es darum, jene zu identifizieren, welche die Spielregeln nicht einhalten oder nicht rasch genug vorwärtsschreiten. Vier Staaten [Luxemburg, Zypern, Seychellen, Jungferninseln; die Red.] wurden als nicht konform eingestuft. Sie riskieren damit einen Imageschaden.
swissinfo.ch: Kritiker der OECD behaupten, es sei besser, ein grosser Staat mit einer steuerlich attraktiven Enklave zu sein – China mit Hongkong und Macao, die USA mit Delaware –, als ein kleiner Staat mit Bankgeheimnis…
P. S.-A.: Hongkong und Macao werden separat bewertet, wir haben sie im Detail evaluiert. Die USA wurden nicht als «absolut konform», sondern nur als «weitgehend konform» eingeschätzt, mit einem grossen Vorbehalt wegen des Bundesstaats Delaware.
Das Global Forum sind 120 Länder auf gleicher Augenhöhe. Wenn die Schweiz mit der Benotung der USA nicht einverstanden ist, kann sie Einspruch erheben.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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