Der Mann, der für Kuhhörner auf die Strasse geht
Kann ein Mann 100'000 Schweizer Mitbürger überzeugen, dass Kühe Hörner tragen sollten? Wenn der Mann so dickköpfig ist wie der Schweizer Bauer Armin Capaul, lautet die Antwort Ja.
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Mit dem langen weissen Bart und dem Strickpullover ist Armin Capaul ein bunter Charakter. Aus seinem hellblauen Auto dröhnt Country-Rock-Musik.
«Haben Sie noch nie von J.J. Cale gehört? Er ist mein Seelenverwandter», sagt Capaul über den verstorbenen Sänger. Ich gebe zu, dass ich ihn nicht kenne, und bin besorgt, dass dies ein schlechter Start sein könnte. Aber er lacht nur, und lacht noch etwas mehr, als sich meine Augen weiten beim Anblick der schmalen und gewundenen Strasse zu seinem 17-Hektaren-Hof hoch oben im Berner Jura. Es ist das Zuhause von Kühen und einem Bullen, sowie Ziegen, Schafen, Eseln, Hunden, Katzen und Hühnern.
«Sie sollten diese anziehen», schlägt Capaul vor und zeigt auf Hausschuhe aus Stroh, als wir die helle und warme Küche betreten. Seine Ehefrau, eine hübsche Frau mit einem grauen Zopf, legt ihre Strickarbeit beiseite und bietet mir Chai (Tee) an.
Auf dem Esstisch liegt ein beachtlicher Stoss Briefumschläge. In letzter Zeit sind es mehr als 100 pro Tag geworden. Am Vortag sind 1’600 Unterschriften für Capauls Kampagne im Interesse der Kühe und Ziegen angekommen. «Am Rekordtag waren es 2’304 Unterschriften!» frohlockt Capaul, während er sich mit seiner Frau hinsetzt, um den Stapel durchzusehen.
Ein Kämpfer
Kühe zu enthornen stand nicht auf dem Lehrplan, als Armin Capaul 1976 im Kanton Graubünden seinen Abschluss als Landwirt machte. Er lebt seit 20 Jahren im französischsprachigen Perrefitte, aber er spricht kein Französisch. «Es ist wahrscheinlich besser – sonst würde ich mich zu sehr einmischen!», witzelt er.
Aber es gibt ein Thema, in das er seine Nase gern steckt: Das Wohlergehen von horntragenden Tieren. Etwa 1980 sah Capaul zum ersten Mal eine Herde hornloser Rinder, und er mochte den Anblick nicht. «Sie schäumten aus dem Maul und schwitzten!», sagt er und erinnert sich, wie sie sich den Weg zu ihrer Sommerweide hoch kämpften.
Heute ist es üblich, dass Bauern den Jungtieren die Hornansätze ausbrennen, so dass keine Hörner wachsen – mit der Idee, dass dies Tier und Mensch vor Verletzung schütze.
«Das ist eine faule Ausrede! Kühe haben immer Hörner gehabt. Früher hatten die Leute eine engere Beziehung zu den Kühen – sie haben sie umarmt, gestreichelt und mit ihnen geredet», sagt er und kritisiert die Freilaufställe, wo Kühe sich freier bewegen können – aber auch schneller aneinander geraten.
Capaul schätzt, dass nur etwa 10% der Schweizer Kühe Hörner haben, obwohl Postkarten und Werbung anderes vermuten liessen (gemäss Bauernverband gibt es keine offizielle Statistik; 10% könnten laut Bauernverband zwar stimmen, man müsse aber bedenken, dass es auch Rassen ohne Hörner gebe).
Capaul ist überzeugt, dass Hörner einen Zweck haben. «Die Hörner helfen der Kuh, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Ich glaube, dass behörnte Kühe auch bessere Milch geben.» Sollte sich Capaul mit seiner Initiative durchsetzen, erhielten Bauern Subventionen, wenn sie ihren Tieren die Hörner wachsen lassen.
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Ein Pfleger
Wenn Capaul nicht gerade Unterschriften zählt oder sie zur Beglaubigung an die Gemeindebehörden schickt, ist er mit seinen Tieren beschäftigt. Ich folge ihm zum Stall, als es Fütterungszeit für die drei Kälber ist, die sich eine strohbelegte Box teilen. Ihre Mütter sind separat angebunden.
«Schau sie an – sie sind in Trance», sagt er über die Kühe. «In einem Freilaufstall würden sie immer um ihren Platz kämpfen. Das wäre sehr stressig für sie», sagt Capaul und merkt an, dass sie täglich nach draussen gehen. Im Winter für kurze Zeit, im Sommer hingegen die meiste Zeit des Tages.
Er mag den Trend der automatisierten Bauernhöfe nicht, wo die Kühe von Robotern gemolken und gefüttert werden. «Diese Bauern prüfen nur, ob die Milch fliesst – sie haben keine Beziehung zu ihren Tieren.»
Capaul führt die hungrigen Kälber zu ihren Müttern, treibt jedes an seinen Platz und lässt sie trinken, während er sich eine Zigarette anzündet und sich auf eine nahe Bank setzt.
«Hier meditiere ich», sagt er, während er den Rauch ausatmet und seine behörnten Kühe betrachtet. Er ermuntert mich, Nevada’s Horn anzufassen und zu spüren, wie warm es ist. Es stimmt, und ich bin überrascht, dass die Kuh dies mit sich machen lässt.
Capaul hat zwei Regeln, was Fotos betrifft. Erstens will er seine Mütze aufhaben – «um seine Glatze zu verbergen», kichert seine Frau. Die zweite Regel ist ernsthafter: Kein Blitzlicht im Stall, weil dies die Kühe erschrecken könnte.
Im Stall hat es auch Schafe und Ziegen, die über ein Gehege mit verschiedenen Klettermöglichkeiten verfügen. «Für Ziegen ist es noch schlimmer, enthornt zu werden – ihre Kopfhaut ist so dünn, dass es sehr schmerzhaft ist», bemerkt Capaul, der es tierfreundlicher findet, hornlose Tiere zu züchten, als sie zu enthornen.
Auch wenn Capaul’s Initiative in der Abstimmung erfolgreich ist, wird er nicht davon profitieren können, da er dann pensioniert sein wird. «Ich mache das nicht, um mehr Geld zu verdienen. Ich mache es für die Tiere», sagt Capaul, der in den letzten fünf Jahren 55’000 Schweizer Franken in die Sache investiert hat. Druckkosten, Briefmarken, Reisespesen, Anlässe – all das summiert sich, aber Capaul findet, es sei es wert.
(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)
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