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Internationale Organisation für Migration: Das plant die neue Chefin Amy Pope

Eine Schlange, um über die mexikanische Grenze in die Vereinigten Staaten zu gelangen
Migrant:innen warten am Chaparral-Checkpoint, in Tijuana, Mexiko, am 22. September 2023. Keystone / Joebeth Terriquez

Fünf Jahre nachdem bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit dem Portugiesen António Vitorino einmal jemand aus einem anderen Land an die Spitze kam, entscheidet nun wieder eine US-Amerikanerin. Wie wird Amy Pope die UNO-Organisation führen, während die Migration weit oben auf der politischen Agenda vieler zahlender Länder ist?

Strahlend trat Pope zusammen mit ihrem Medienteam am Montag in den Presseraum der Vereinten Nationen (UNO) in Genf für ihren ersten offizielle Auftritt als neue Generaldirektorin der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Vor den Journalist:innen erklärte sie, dass das wichtigste Ziel der Organisation darin bestehe, «die Vorteile und das Versprechen der Migration auszuschöpfen».

Pope, die erste Frau an der Spitze der Organisation, sagte, es sei «harte Arbeit», mit Gemeinschaften und Regierungen zusammenzuarbeiten, um «Möglichkeiten für Menschen zu finden, anstatt sie nur als Problem zu behandeln, das gelöst werden muss».

Sie betonte, dass es angesichts des derzeitigen Rekordzustroms von Migrant:innen wichtig sei, dass der private Sektor die Vorteile der Migration anerkenne und Teil der Lösung werde.

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Als ehemalige Beraterin in Migrationsfragen für US-Präsident Joe Biden und stellvertretende IOM-Direktorin übernimmt sie ihre neue Aufgabe nach einer aggressiven Wahlkampagne gegen ihren früheren Chef bei der IOM, den ehemaligen portugiesischen Politiker und Rechtsanwalt António Vitorino.

«Wettbewerb […] ist nicht nur gesund, sondern etwas, das wir innerhalb des UNO-Systems verstärkt brauchen, um sicherzustellen, dass sich die UNO weiterentwickelt und die Standpunkte ihrer Mitgliedstaaten und Bestandteile widerspiegelt», sagte sie vor Journalist:innen.

Damit ist alles wieder wie vor 2018, als ein vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump unterstützter Kandidat von den UNO-Mitgliedstaaten abgelehnt wurde. Denn bis dahin lag die Leitung der IOM immer bei den USA.

Politik, Geld und steigender Bedarf

Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA im nächsten Jahr wirft Trump – dessen Migrationspolitik von Menschenrechtsgruppen scharf verurteilt wurde – weiterhin einen Schatten auf die Zukunft der internationalen Organisation, weil er in den Umfragen gut dasteht.

Anderswo, sowohl in Ziel- wie in Transitländern, haben die Regierungen Massnahmen zur Eindämmung von Migration ergriffen. Dazu gehören Abschiebungen, die Unterbringung von Asylsuchenden in Drittstaaten und die Verweigerung rechtzeitiger Hilfe für überfüllte und ungeeignete Boote auf hoher See.

Der weltweite Anstieg von Migration und Vertreibung hat die Ressourcen der Organisation stark beansprucht.

Die USA sind das Land, das den grössten Beitrag an die IOM leistet. Deren Budget ist in den letzten vier Jahren von zwei Milliarden Dollar auf drei Milliarden Dollar gestiegen. Die Finanzierungsbeiträge an die Organisation sind freiwillig, fast das gesamte Budget ist für spezifische Programme vorgesehen.

Externer Inhalt

Pope tritt ihr fünfjähriges Mandat in einer Zeit an, in der irreguläre Migration zunimmt – wegen Konflikten, den Auswirkungen des Klimawandels, banden- und geschlechtsspezifischer Gewalt und zunehmender Armut infolge der Corona-Pandemie und der weltweiten Inflation.

Eine der Regionen, in denen die irreguläre Migration am stärksten zugenommen hat, ist Mittelamerika. Hier ist eine Rekordzahl von Menschen aus Ländern wie Venezuela, Kuba, Haiti angekommen, und sogar solche vom afrikanischen Kontinent und aus Afghanistan nach einer gefährlichen Reise durch den Darién, den Dschungel zwischen Kolumbien und Panama.

In den letzten Jahren erlebten viele Migrant:innen unterwegs in ein neues Leben in den USA Abschiebungen und Inhaftierungen. Dabei wurden kleine Kinder von ihren Familien getrennt.

Auf eine Frage von SWI swissinfo.ch, wie sie mit den USA im Hinblick auf die Situation der Migrant:innen an der mexikanischen Grenze zusammenarbeiten werde, sagte Pope, die IOM müsse mit den Mitgliedstaaten zusammenwirken, «um mehr reguläre Zugänge zu schaffen, inklusive Zugänge über Arbeit, humanitäre Wege oder solche für die Familienzusammenführung».

Sie wies darauf hin, dass die meisten Migrant:innen von der Aussicht auf Arbeit angezogen werden, und sagte, die IOM könne dabei helfen, Migrant:innen mit Arbeitgebern zusammenzubringen, auch solche ohne gute Ausbildungen.

«Ausserdem müssen wir erkennen, was die Migration überhaupt auslöst, und die Hilfe fortsetzen, die auf die Stabilisierung von Gemeinschaften abzielt, die sonst auf der Flucht wären. Es muss eine Kombination sein», ergänzte sie mit Begriffen und Konzepten, die man bereits von der jetzigen US-Regierung kennt.

Pope, die bereits unter Präsident Barack Obama mit dem Thema Migration befasst war, erklärte gegenüber SWI swissinfo.ch, dass sie bald lateinamerikanische Länder besuchen wolle, um zu erörtern, wie die humanitären Situationen angegangen werden können, die entlang dieser Routen entstanden sind. «Wir sind mit der Terminfindung beschäftigt», sagte sie.

Lösungen finden

Ihre erste Reise wird sie aber nach Äthiopien führen, wo sie Vertreter:innen der Afrikanischen Union treffen wird. Danach steht ein Treffen mit Vertreter:innen der Europäischen Union in Brüssel an.

Sie betonte, dass es neben der Migration aus Entwicklungsländern in Richtung Europa und Nordamerika auch wichtig sei, mit allen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, in die Migrant:innen gehen, einschliesslich der arabischen Golfstaaten, um einen besseren Schutz für migrierte Arbeiter:innen zu gewährleisten. Die Arbeitsbedingungen in Katar im Vorfeld der Fussballweltmeisterschaft 2022 zeigten, dass es zu Missbräuchen komme.

Doris Meissner, Direktorin des US-Programms für Einwanderungspolitik bei der Denkfabrik Migration Policy Institute, sagte gegenüber SWI, sie erwarte, dass Pope «Energie und eine neue Generation in die Führung der IOM bringen wird».

Die IOM ist eine internationale Organisation, die 1951 gegründet wurde, um auf die Migration aus Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zu reagieren. In das UNO-System wurde sie 2016 integriert.

Sie hat heute 175 Mitgliedsstaaten und unterstützt mehrere Dutzend Millionen Menschen. Im Jahr 2022 Externer Linkwaren es über 31 Millionen Menschen, die von der IOM-Krisenreaktion unterstützt wurden, und weitere 6,3 Millionen Menschen, welche die IOM mit Informationen über den Zugang zu regulären Migrationswegen unterstützte.

Es wird eine Herausforderung sein, neue Energie in eine Organisation zu bringen, die sich am Scheideweg der humanitären Hilfe befindet, während die zahlenden Staaten von einwanderungsfeindlichen politischen Bewegungen geprägt werden.

«Wir müssen mit Gesprächen dort ansetzen, wo die Menschen herkommen, um diese menschlicher zu machen», sagte Pope.

Seit der Verabschiedung des Globalen Pakts für Migration der Vereinten Nationen im Jahr 2018 – aus dessen Verhandlungen sich die Trump-Präsidentschaft zurückgezogen hat und dessen «Vision» die Biden-Administration lediglich befürwortet hat – haben sich nur wenige der Wege geöffnet, welche die «sichere, geordnete und reguläre Migration» erleichtern, die der Pakt fördern sollte.

Den Migrant:innen bleibt oft nur die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, um legal in ein Land einreisen zu können. Die nationalen Gesetze und die Rechtsprechung sowie die internationalen Konventionen haben sich jedoch für die Definition des Flüchtlingsstatus als etwas einschränkend erwiesen.

«Es ist ganz klar, dass die Länder, die im Laufe der Jahre eine Führungsrolle bei der Einführung und Aufrechterhaltung dieser Grundsätze übernommen haben, wirklich zu kämpfen haben», sagte Meissner, die auch ehemalige Leiterin des US Immigration and Naturalization Service (INS) ist.

Sie wagte die Prognose, dass es im Falle einer Wiederwahl Trumps im nächsten Jahr «zu einer scharfen Wende in Fragen des Umgangs mit Migration auf globaler Ebene sowie in den Vereinigten Staaten und der Behandlung von Einwanderung kommen wird».

«Viele der heutigen Probleme lassen sich mit den Instrumenten, die derzeit für den humanitären Schutz zur Verfügung stehen, nicht lösen. Dazu gehören der massive Klimawandel, gescheiterte Staaten und kartellartige kriminelle Elemente, die eine regierungsweite und internationale Zusammenarbeit und Lastenteilung erfordern», sagte Meissner.

«Das ist der Punkt, an dem die Diskussion ansetzen muss. Wir sollten auf humanitären und Schutzmassnahmen aufbauen und diese erweitern, anstatt sie abzubauen.»

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