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Internationale Sanktionen als Mittel zum Dialog

Reparaturwerkstatt in Yangon: Die internationalen Sanktionen haben die Wirtschaftsentwicklung in Burma in vielen Sektoren gebremst. Keystone

Nach fast 20 Jahren sind die internationalen Sanktionen gegen Burma gelockert worden. Ein solcher Druck auf Staaten kann für Professor Thomas Biersteker ein sehr effizientes Mittel sein – als Stimulierung zur Demokratisierung, nicht als Strafe.

Ein historisches Ereignis nach dem anderen in Burma: Nach der Einrichtung einer Zivilregierung im März 2011, nach der Wahl der Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi ins nationale Parlament am vergangenen 1. April, hat die Europäische Union EU am 23. April die Suspendierung der internationalen Sanktionen gegen das Land für ein Jahr beschlossen.

Diesem Entscheid, der die fast 20-jährige Isolation Burmas beendet, folgte auch die Schweiz.

Die Mitte der 1990er-Jahren ergriffenen EU-Sanktionen sahen Handelseinschränkungen und die Sperrung von Visa, Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen von Personen im Umkreis der Militärjunta sowie ein Rüstungsgüterembargo vor, das weiterhin aufrechterhalten wird. Ab kommenden Mai ist es also (wieder) möglich, im «burmesischen Eldorado», wie es viele nennen, zu investieren.

Wie das Eidgenössische Volkswirtschafts-Departement (EVD) am Donnerstag mitteilte, hat die Schweizer Regierung «nach dem Grundsatz vor einer Woche beschlossen, die Sanktionen gegenüber Myanmar (Burma) zu lockern. Damit reagiert er auf die in den letzten Monaten verzeichneten Fortschritte in den Bereichen Menschenrechte und Demokratisierung in diesem südostasiatischen Land».

Nach der Rückkehr von einem dreitägigen Besuch in Burma äusserte sich der Chef der Abteilung Asien und Ozeanien im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Beat Nobs,»optimistisch» hinsichtlich der Lage in dem Land. Die jüngsten politischen Reformen würden neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen.

Für die EU-Aussenminister soll die einjährige Suspendierung der Sanktionen zu einer «Intensivierung des Dialogs mit Burma führen und die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung unterstützen, die das Land eingeleitet hat».

Verfrühter Entscheid?

In der internationalen Presse weisen allerdings einige Beobachter darauf hin, dass die Gründe für die Sanktionen – nämlich Menschenrechtsverletzungen – immer noch bestünden.

Die Gewalt des burmesischen Staatsapparates bei den Auseinandersetzungen mit ethnischen Minderheiten bleibe weiterhin ein ernsthaftes Problem, schreibt die US-Zeitschrift The Nation. Dabei weist das Blatt namentlich auf den gegenwärtigen Konflikt im nördlichen Staat Kachin (eine der 14 Verwaltungseinheiten des Landes) hin. Ein Konflikt, der laut der Nichtregierungs-Organisation (NGO) Human Rights Watch mindestens 75’000 Zivilisten in die Flucht getrieben hat.

Verschiedene Organisationen, die sich für die Menschenrechte in Burma einsetzen, darunter die Vereinigung Schweiz-Burma, machen darauf aufmerksam, dass nach wie vor 1000 Oppositionelle im Gefängnis sind. Ausserdem bleibt das Parlament weiterhin unter Kontrolle der Militärs oder ihrer Alliierten, trotz des Wahlsiegs der Opposition.

Ist die Suspendierung der Sanktionen gegen Burma also verfrüht? «Das glaube ich nicht, auch wenn es stimmt, dass es noch viele Menschenrechtsverletzungen gibt», sagt Thomas Biersteker gegenüber swissinfo.ch. Er ist Professor am «Institut de hautes études internationales et du development» in Genf.

«Der Beschluss der EU fällt in den Rahmen der Verhandlungsbeziehungen zwischen demjenigen, der die Sanktionen erlässt und jenem, der ihnen unterworfen ist», erklärt der Experte für internationale Sanktionen.

Keine Strafe, sondern Dialog-Förderer

«Im Moment der Suspendierung der Sanktionen ist die Situation im betroffenen Land oft noch weit davon entfernt, perfekt zu sein», sagt Biersteker, der sich in seiner Arbeit vor allem mit UNO-Sanktionen befasst. «Man kann immer mehr machen, aber an einem gewissen Punkt ist es notwendig, einen ersten Schritt zu machen, um weitere Reformen zu fördern.»

Auch wenn man die Sanktionen suspendiere, werde der Druck weiter aufrechterhalten, so Biersteker. «Gleichzeitig beweist man aber eine gewisse Flexibilität. Die Sanktionen sollen nicht als Strafmassnahme, sondern als Anreiz zu einem Dialog zwischen den Parteien dienen.»

In diesem Zusammenhang könnten die Sanktionen «in Kraft» sein, ohne dabei «angewendet» zu werden. Thomas Biersteker zitiert das Beispiel von Konfliktländern wie Liberia oder Demokratische Republik Kongo. «Im Moment der Unterzeichnung von Waffenstillstands-Abkommen oder der Lancierung von Verhandlungen über ein Mehrparteiensystem sind die Sanktionen in Kraft. Diese werden aber erst angewendet, wenn die Parteien den eingegangenen Verpflichtungen zuwiderhandeln.»

Bemerkenswert sei der Fall Liberia, betont Biersteker. «Die Präsidentin des Landes, Ellen Johnson Sirleaf, will die Sanktionen weiterhin aufrechterhalten, um eben gerade zu verhindern, dass irgendjemand den Übergangsprozess stören kann.»

Mangelnder Wille

«Die internationalen Sanktionen der EU, der USA oder der UNO sind sich ähnlich. Alle haben ein klar definiertes Ziel im Visier: Prominente Personen, politische Parteien, Firmen, Wirtschaftszweige oder eine bestimmte Region eines Landes, wie zum Beispiel Darfur in Sudan.»

Der einzige Unterschied sei die Skala, auf der die Sanktionen ergriffen würden, sagt Biersteker. «Die Sanktionen der EU werden ’nur› von den 27 Mitgliedstaaten angewendet, jene der UNO von allen Mitgliedstaaten der Weltorganisation, also von mehr Ländern.»

Das heisse jedoch nicht, dass die Sanktionen der UNO wirksamer seien. Im Gegenteil: «Die europäischen Sanktionen sind oft ausführlicher und vollständiger, weil ein politischer Kompromiss leichter zu finden ist.»

Man müsse auch in Betracht ziehen, dass einige Länder nicht immer die Kapazität oder den Willen hätten, Sanktionen durchzusetzen. «Man denke an Nachbarländer, die besondere Beziehungen zum sanktionierten Staat haben.»

Nicht forcieren

Biersteker räumt ein, dass Sanktionen nicht immer eine positive Wirkung hätten. «Vor allem dann, wenn man nicht über die nötigen Kenntnisse der Situation verfügt oder das sanktionierte Land von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt wird. Wie das in Somalia der Fall war. Es wurde überhaupt keine Expertengruppe gebildet, und man wusste nicht, wie man genau handeln sollte. Es gab keine einzige politische Kraft, die man unterstützen konnte.»

Zudem könnten Sanktionen die autoritäre Rolle eines Regimes noch verstärken. «Der Staat ist in der nationalen Wirtschaft stärker präsent. Es kann zu humanitären Konsequenzen kommen.»

Aufgrund einer von ihm mitverfassten Studie über 20 Jahre UNO-Sanktionen ist Thomas Biersteker zu einem wichtigen Schluss gekommen: «Sanktionen sind wirksamer, wenn man beabsichtigt, ein gewisses Verhalten ‹einschränken› zu wollen. Weniger wirksam sind sie dagegen, wenn man jemanden zwingen will, die eigene Handlungsweise zu ändern.»

Das habe man im vergangenen Jahr in Libyen sehen können. «Die Sanktionen haben die Kapazität Gaddafis eingeschränkt, auf Gelder Zugriff zu nehmen, um Waffen zu importieren und seine Söldnertruppe zu unterhalten.»

Die USA und die EU haben Mitte der 1990er-Jahre Sanktionen gegen Burma verhängt wegen der von der Militärjunta begangenen Menschenrechtsverletzungen.

Die Schweizer Regierung hat sich den EU-Sanktionen im Jahr 2000 angeschlossen.

Die Sanktionen gegen Burma enthalten ein Lieferungsverbot von Kriegsmaterial und Rüstungsgütern, die für Repressionszwecke genutzt werden könnten; ein Einfuhr- und Erwerbsverbot für Holz, Kohle, Metalle, Edel- und Schmucksteine; Sperrung der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von Personen und Unternehmen aus dem Umkreis der Militärjunta; ein Einreise- und Durchreiseverbot für Personen aus dem Umkreis der Militärjunta.

Infolge der von Burmas Präsident Thein Sein, der seit März 2011 an der Macht ist, durchgeführten Reformen haben die EU und verschiedene andere Länder wie die USA, Australien, Norwegen und die Schweiz die Suspendierung des grössten Teils der Sanktionen angekündigt. Das Rüstungsmaterial-Embargo bleibt weiter bestehen.

Sanktionen sind ein wichtiges Instrument, um Frieden und Sicherheit durchzusetzen.

Als UNO-Mitglied ist die Schweiz verpflichtet, die vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen umzusetzen. Ihr steht jedoch frei, europäische Sanktionen umzusetzen oder nicht.

Umfassende Sanktionen gelten unterschiedslos für Staaten und deren Bürgerinnen und Bürger. Sie haben oft erhebliche negative humanitäre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sowie auf Drittstaaten.

Aufgrund der negativen Erfahrungen mit den Irak-Sanktionen während der 1990er-Jahre werden heute von der UNO nur noch gezielte Sanktionen verhängt. Solche richten sich direkt an natürliche und juristische Personen, welche für einen Friedensbruch oder die Bedrohung der internationalen Sicherheit verantwortlich sind.

Gegenwärtig setzt die Schweiz Sanktionen gegenüber folgenden Ländern um: Irak, Liberia, Myanmar (Burma), Simbabwe, Côte d’Ivoire, Sudan, Demokratische Republik Kongo, Weissrussland, Nordkorea, Libanon, Iran, Somalia, Guinea, Eritrea, Libyen, Syrien.

Massnahmen wurden auch gegenüber Personen oder Organisationen erlassen, die Verbindungen haben mit Al Kaida oder den Taliban, gegenüber bestimmten Personen aus der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien und gegenüber bestimmten Personen in Zusammenhang mit dem Attentat auf Rafik Hariri (Libanon).

(Quellen: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; Staatssekretariat für Wirtschaft)

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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