«Journalisten müssen sich in den Griff bekommen»
Wie haben sich Massenmedien und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft in den letzten 40 Jahren verändert? Otfried Jarren hat seine Karriere dieser Frage gewidmet.
Als Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und MedienforschungExterner Link der Universität Zürich beschäftigt sich Otfried Jarren mit der Struktur der Medien sowie deren Verbindung zur Politik. Er ist auch Präsident der Eidgenössischen Medienkommission EMEKExterner Link.
Dieser Artikel ist Teil der Berichterstattung über die International Public Media Conference am 4. März in Bern, wo Jarren das Schlusswort hielt.
Er brachte seine Meinung ein über die Zukunft öffentlicher Medien, die Demokratie und die Frage, wie sich Journalismus anpassen muss, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit im digitalen Zeitalter zurückzugewinnen.
swissinfo.ch: Ohne Journalismus keine Demokratie! Das steht im Manifest des jungen Schweizer Onlinemagazins «Republik»Externer Link. Trifft dieser Leitspruch zu, oder ist er übertrieben?
Otfried Jarren: Journalismus spielt eine beobachtende, vermittelnde und kritische Rolle in der Gesellschaft. Er handelt im Namen der Öffentlichkeit. Er bietet die Möglichkeit, Debatten über gesellschaftlich relevante Themen zu führen. Er provoziert Kommentare. Er bewertet und verbindet. All dies ist konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft. All dies wird von Social Media nicht gemacht.
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swissinfo.ch: Spielt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer demokratischen Gesellschaft eine besondere Rolle?
O.J.: Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte aufgrund seiner Finanzierung so unabhängig wie möglich von wirtschaftlichen und politischen Kräften sein. Er sollte genügend sicher finanziert sein, um einen soliden, überzeugenden Journalismus zu bieten sowie eine Berichterstattung aus allen Regionen und Kantonen, auf Bundesebene, europäischer Ebene – aus der ganzen Welt.
Dazu braucht es viele Korrespondenten und Büros, und Journalisten müssen Zeit und Geld haben, um ordentliche Recherchen durchzuführen. Unabhängigkeit ist das oberste Ziel.
swissinfo.ch: In vielen europäischen Ländern ist das Vertrauen in die Medien bemerkenswert gering; Vorwürfe von Fake News und «Lügenpresse» sind weit verbreitet. Was ist passiert? Ist dies die Schuld der Medien oder vielmehr ein Fall von veränderten Erwartungen der Öffentlichkeit?
O.J.: Die Medien sind mit den vorherrschenden politischen Institutionen verbunden. Ein Vertrauensverlust in Parteien oder Verwaltungen kann so auf die Medien «abfärben» – weil sie zu nah sind, weil Medien und Journalismus zu nah an der Macht sind.
Medien und Journalismus müssen in der Lage sein, Distanz zu halten. Sie sind nicht bloss Kanäle, um das, was die Mächtigen sagen wollen, weiterzugeben. Die Nähe zur Macht kann korrumpieren.
Es gibt jedoch einige Populisten, wie den US-Präsidenten, welche die Medien angreifen, weil sie (zu Recht) deren Unabhängigkeit und Urteilsfähigkeit fürchten. Dass aber eine Person der öffentlichen Hand die Medien als Lieferanten von Fake News bezeichnet, ist falsch; das ist nicht zulässig.
Die Medien müssen Politiker beobachten und kritisieren. Pauschale populistische Äusserungen zielen nur darauf ab, demokratische Institutionen in Zweifel zu ziehen und zu delegitimieren, um ihrer Glaubwürdigkeit zu schaden.
Natürlich können und sollen wir Fehler von Medien und Journalisten kritisieren – aber auf angemessene Weise. Wenn man Grundstrukturen der Demokratie in Frage stellt, verlässt man den Bereich der möglichen Debatten. Demokratie basiert auf Gewaltenteilung und Kritik, nicht aber auf der Verunglimpfung von Institutionen.
swissinfo.ch: Im Jahr 2017 sagten Sie, dass sich der Journalismus nur selbst retten könne. Wie kann er das tun? Sehen Sie vielversprechende Signale?
O.J.: Journalisten, Journalistinnen, Fachleute und Kollegen müssen sich in den Griff bekommen und sich selbst organisieren. Im Moment wird das nicht oder nicht genug getan. Es liegt an ihnen, die Praxis des Journalismus weiterzuentwickeln. Sie müssen auch sicherstellen, dass intern journalistische Normen und Regeln durchgesetzt werden. Sie tun das, aber viel zu wenig.
swissinfo.ch: Gibt es so etwas wie «unabhängigen Journalismus»?
O.J.: Der Journalismus ist immer so unabhängig, wie es seine Macher wünschen. Die Gesellschaft erwartet ein hohes Mass an Unabhängigkeit. Wer nicht als unabhängig wahrgenommen wird, muss mit negativen Folgen rechnen – die Glaubwürdigkeit wird sinken.
swissinfo.ch: Gibt es so etwas wie «Qualitätsjournalismus»?
O.J.: Journalismus ist Journalismus – für mich ist die professionelle Arbeit aller Journalisten und Journalistinnen gleichermassen wichtig.
swissinfo.ch: Ein britischer Parlamentsausschuss veröffentlichte letzte Woche einen Bericht, in dem Facebook kritisiert und mehr Regulierung solcher Unternehmen empfohlen wurde. Ist eine stärkere Aufsicht über Social-Media-Plattformen erforderlich? Oder sind sie, wie einige behaupten, einfach nur neutrale Plattformen?
O.J.: Die Regulierung von Social Media ist notwendig, weil sie einige Seiten hat, die der Demokratie schaden. Die Geschäftsabläufe von Social-Media-Unternehmen sind nicht transparent. Anteile an diesen Plattformen werden ihren Nutzern verweigert. Die Plattformen wollten nicht für verschiedene Verstösse gegen das Kommunikationsrecht verantwortlich gemacht werden.
Die Plattformen haben auch keine universelle Kommunikation mit ihren Nutzern, obwohl sie eine Ideologie der Partizipation fördern. Sie sprechen von Gemeinschaft und Kooperation, nutzen diese aber nur für ihr eigenes wirtschaftliches Ziel der Bereicherung. Die institutionellen Auswirkungen von Social Media sind beträchtlich, und wir müssen mehr Forschung, Reflexion und Diskussion darüber fördern.
swissinfo.ch: Nach einer 40-jährigen Karriere in der Erforschung von Medien- und Kommunikationstrends in Deutschland und der Schweiz planen Sie Ihre Pensionierung. Mit welchem Grad an Optimismus oder Pessimismus verlassen Sie die Welt der Medien?
O.J.: Hoffentlich kann und werde ich weiterhin an der Analyse und Debatte teilnehmen. So würde ich es mir wünschen…. Ich werde es mit Freude und optimistisch tun. Aber es gibt für alles eine Zeit.
International Public Media Conference
Am 4. März, ein Jahr nachdem die «No Billag»-Initiative abgelehnt wurde, fand in Bern die International Public Media ConferenceExterner Link (IPMC) statt. Die Konferenz wurde gemeinsam von SRG SSR, dem Bundesamt für KommunikationExterner Link, der Eidgenössischen MedienkommissionExterner Link und der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und MedienwissenschaftExterner Link organisiert. Das Programm finden Sie hierExterner Link.
swissinfo.ch bot am 4. März Live-Streaming-Zugang zur Konferenz.
(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)
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