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Irans Öffnung bestätigt sich in Genf

Der iranische Aussenminister Mohammad Javad Zarif steht der Presse am Mittwoch, 16. Oktober in Genf Red und Antwort. Keystone

Nach zehn Jahren der Hinhaltetaktik scheinen die Gespräche mit Iran über dessen Atomprogramm aus einer Sackgasse herauszufinden. Für Professor Mohamed-Reza Djalili ist dies das Fazit, das aus den Gesprächen dieser Woche in Genf gezogen werden kann.

Es ist eine Premiere im Iran-Dossier: Die Chefdiplomaten aus Teheran und Brüssel haben sich zu einer gemeinsamen Erklärung durchgerungen.

Zum Ende der Konferenz, zu der sich am 15. und 16. Oktober im Genfer Palais des Nations iranische Vertreter mit den fünf Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats und Deutschland (E3+3) getroffen haben, unterzeichneten die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton und der iranische Aussenminister Mohammad Javad Zarif die gemeinsame Erklärung.

Darin ist unter anderem zu lesen: «Bezugnehmend auf die positive Stimmung der ersten Ministerkonferenz in New York am 26. September präsentierte der Aussenminister der islamischen Republik Iran die grossen Züge eines Plans als Verhandlungsbasis. Ein Vorschlag, der von den E3+3 als wichtiger Beitrag betrachtet und sorgfältig geprüft wird.»

Die Erklärung erwähnt auch ein neues Treffen in Genf, das vom 7. bis 8. November dauern soll. Dieser neuen Verhandlungsrunde sollen technische Sitzungen von Experten für Atomkraft und Sanktionen vorausgehen.

Mohamed-Reza Djalili, emeritierter Professor am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID) analysiert die ersten Resultate der Genfer Verhandlungsrunde.

swissinfo.ch: Die Verhandlungen in Genf wurden mit einer gemeinsamen Erklärung abgeschlossen, eine Premiere in diesen Gesprächen. Ist dies ein Zeichen für einen echten Fortschritt?

Mohamed-Reza Djalili: Mit dem optimistischen Wind, der in diesen zwei Tagen durch Genf wehte, erwartete man offenkundig einen Durchbruch. Das ist zwar nicht ganz der Fall. Doch die Tatsache, dass eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet und ein nächstes Treffen vereinbart wurde, lässt hoffen.

15. Juni 2013: Hassan Rohani wird als Nachfolger von Mahmud Ahmadinedschad zum iranischen Präsidenten gewählt. Zwei Tage danach, an seiner ersten Pressekonferenz als designierter Präsident, kündigt er an, der Iran sei zu mehr Transparenz betreffend seines Atomprogramms bereit und wolle seine Beziehungen zu den USA und dem Rest der Welt verbessern, beharre aber weiterhin auf seinem Recht, Uran anzureichern.

28. August 2013: In einem Quartalsbericht schreibt die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA, Iran habe seine Urananreicherung erhöht. Doch mit 186 kg um 20% angereichertem Uran bleibe es unter den Erwartungen jener weiter angereicherten 240 bis 250 kg, die zum Bau einer Atombombe nötig sind.

27. September 2013: US-Präsident Barack Obama und Hassan Rohani führen ein Telefongespräch – eine Premiere seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1980 nach dem Geiseldrama in der US-Botschaft in Teheran. Obama tönt eine «einmalige Chance» an, das Atom-Dossier vorwärtszubringen.

swissinfo.ch: Die gemeinsame Erklärung erwähnt auch Vorbereitungs-Treffen von Experten für Atom- und Sanktionsfragen vor der nächsten Verhandlungsrunde. Ist das ernsthaft gemeint?

M.-R.D.: Das ist sehr positiv. Durch dieses Treffen in Genf kann wieder ein gemeinsames Vertrauen zwischen dem Iran und den sechs anderen Staaten entstehen. Während der drei nächsten Wochen werden Experten die nächste Verhandlungsrunde vorbereiten, die zu etwas konkreteren Vorschlägen führen könnte.

Die Diplomaten haben nun Zeit, sich mit ihren Regierungen abzusprechen, welche Antworten sie auf die iranischen Vorschläge geben wollen. Diese Elemente kennen wir nicht, denn die Teilnehmer haben sich entschieden, sie geheim zu halten.

swissinfo.ch: Versucht Iran nicht wie früher auch schon, einfach etwas Zeit zu gewinnen?

M.-R.D.: Wäre das der Fall, hätte man das nächste Treffen erst in sechs Monaten angesetzt. So ist es aber nicht, denn Präsident Rohani hat es sehr eilig. Die wirtschaftliche Situation ist katastrophal. Er wurde vor allem gewählt, um diese wieder zu verbessern.

Alle Ultras, die sich gegen den neuen iranischen Präsidenten gestellt haben – es sind viele –, warten nur auf eine Möglichkeit, ihn zu stürzen. Sogar der Revolutionsführer zögerte, die Diskussionen wieder anzustossen. Präsident Rohani hat daher mehr Eile als die sechs anderen Regierungen, die an den Verhandlungen teilnehmen.

swissinfo.ch: Bedeutet das, dass selbst eine teilweise Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran schwerer wiegt als die nuklearen Fähigkeiten Teherans?

M.-R.D.: Ganz klar. Rohani ist an einer Normalisierung der Beziehungen zum Westen interessiert, um die Wiederbelebung der iranischen Wirtschaft zu finanzieren. Sollte man im Atomdossier rasch vorankommen, wäre es möglich, gewisse Sanktionen aufzuheben, wie etwa jene, die den iranischen Bankensektor treffen. Für die iranische Wirtschaft wäre das eine frische Brise.

Der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter ist am 16. Oktober in Genf mit seinem iranischen Amtskollegen Mohammad Javad Zarif zusammengekommen. Thema des Gesprächs waren die Fortschritte bei den laufenden Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm.

Dabei ging es namentlich darum, die künftigen Etappen des Verhandlungsprozesses mit den sechs Staaten auszulegen, wie das Schweizer Aussenministerium EDA erklärte.

Zudem hätten die beiden Aussenminister die bilateralen Beziehungen zwischen dem Iran und der Schweiz sowie die Schweizer Rolle bei der Vertretung der US-Interessen im Iran besprochen.

Am 17. Oktober wird sich Burkhalter in Neuenburg zudem mit Catherine Ashton treffen, ihres Zeichens EU-Aussenbeauftragte und Verhandlungsführerin bei den Atomgesprächen in Genf.

Dabei sollen nebst dem Iran auch die diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union auf der Traktandenliste stehen.

(Quelle: SDA)

swissinfo.ch: Könnte es, falls die aktuellen Verhandlungen positiv ausgehen, neue Perspektiven für den gesamten Nahen Osten eröffnen, der mit dem Krieg in Syrien unter Druck steht?

M.-R.D.: Bestimmt. Die iranische Regionalpolitik könnte dadurch besser in Betracht gezogen werden. Und das könnte einen Einfluss auf die syrische Frage haben.

Es könnte auch zu einer Annäherung zwischen Riad und Teheran führen, denn gegenwärtig herrscht eine Art Kalter Krieg zwischen Saudi-Arabien und Iran. Es wäre eine Annäherung, welche die Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Regionen mildern könnte. Das hätte enorme Auswirkungen auf die gesamte Region.

Iran ist ein sehr stabiles Land, verglichen mit seinen Nachbarn Irak, Syrien, Pakistan, Afghanistan. Die Spannungen, welche die Region seit drei Jahren erschüttern, könnten sich dadurch legen.

swissinfo.ch: Welche Interessen verfolgt Russland in dieser Geschichte?

Die Russen zeigen sich in den Verhandlungen sehr flexibel, viel mehr als Frankreich, das im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern viel härtere Positionen vertritt.

swissinfo.ch: Schafft es China, dass seine Stimme in den Verhandlungen gehört wird?

M.-R.D.: Peking ist durch seine wirtschaftlichen Beziehungen eng mit Teheran verbunden, besonders seit dem Öl-Embargo. China ist an guten Beziehungen mit Iran interessiert, namentlich was Afghanistan, Pakistan und die Golfregion betrifft. China ist – wie Russland – mit Iran über die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit verbunden.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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