Gemeinnütziger Status beflügelt ehemalige UNO-Nachrichtenagentur
IRINs Wiedergeburt als unabhängige Agentur soll eine schonungslose, kritische Berichterstattung über die milliardenschwere globale Hilfsindustrie möglich machen. Dies liess der ehemals unter Kontrolle der Vereinten Nationen stehende Pressedienst in Genf verlauten.
«Es ist die Krönung von zwei Jahren harter Arbeit, von Stress, Tränen und Abenteuer», erklärte Heba Aly, die Direktorin von IRINExterner Link, im Oktober vor rund 100 Gästen bei der Einweihung des neuen Hauptsitzes der Agentur in Genf.
Nach fast 20 Jahren als Teil des UNO-Büros für humanitäre Hilfe (OCHA) hatte IRIN sich im Januar 2015 von den Vereinten Nationen abgespalten, um eine unabhängige Medienorganisation zu werden, deren Augenmerk dem Bereich der humanitären Hilfe gilt. 2016 wurde IRIN schliesslich als Schweizer Verein neu gegründet.
Mit ihrem Netzwerk von 170 freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten in 70 Krisenregionen der Welt will die Agentur eine zentrale Quelle werden für eigenständige Reportagen vor Ort und für Analysen von humanitären Krisen und Trends. IRIN will nach eigenen Aussagen die humanitäre Welt, welche die Agentur in Sachen Transparenz ironisch mit dem Vatikan vergleicht, ins Rampenlicht stellen.
«Tendenziell monopolisieren eine Handvoll Spender und eine Handvoll riesiger Hilfsorganisationen diese 20-Milliarden-Dollar-Industrie. Und was Kontrolle und Transparenz ihrer Arbeit angeht, ist das Niveau extrem niedrig», sagte Ben Parker, bei IRIN zuständig für Unternehmensprojekte und eine neue investigative Einheit.
Unabhängigkeit
IRIN, das «Integrierte Regionale Informationsnetzwerk», war von der UNO 1995 gegründet worden, im Zuge des Völkermords in Ruanda, um über humanitäre Notsituationen zu berichten. Unter Kontrolle der UNO sah sich die Agentur jedoch zunehmend mit Restriktionen konfrontiert, was zu redaktioneller Selbstzensur oder dem Bann der Berichterstattung über bestimmte Themen führte. So wiesen UNO-Beamte zum Beispiel 2013 die Redaktion von IRIN an, nicht mehr über den Krieg in Syrien zu berichten, weil es Befürchtungen gab, die Berichterstattung könnte Syrien-Gespräche zum Scheitern bringen, in welche die UNO verwickelt war.
«Es war immer eine schwierige Balance, eine redaktionell unabhängige Nachrichtenagentur innerhalb einer UNO-Organisation zu haben, die selber reale Einsätze vor Ort hatte», erklärte Aly gegenüber swissinfo.ch. «Es bestand immer diese Unschärfe, ob IRIN innerhalb oder ausserhalb des Systems stand.»
Sich von der UNO abzuspalten, und mit einem viel kleineren Budget (etwa 2 Millionen Dollar statt der früheren 11 Millionen) auskommen zu müssen, war keine einfache Entscheidung. IRIN glaubt aber, dass die Agentur von einem «unabhängigen Standpunkt» aus einen viel besseren Job machen kann.
«Ausserhalb der UNO zu stehen, ermöglicht uns, weiter über diese wichtigen Themen zu berichten, ohne mit der UNO verhängt zu sein. Dies gibt uns mehr Unabhängigkeit, um den Sektor kritisch analysieren zu können», erklärte Aly.
«Wir haben jetzt sogar mehr Unterstützung von der UNO, denn es gibt viele Leute innerhalb des Systems, die wollen, dass bestimmte Themen diskutiert werden, dies aber nicht aus ihren eigenen Institutionen heraus tun können.» Oft erhalte IRIN Hinweise auf mögliche Themen oder Ideen für Reportagen von Leuten innerhalb des UNO-System zugespielt.
Valentin Zellweger, Schweizer UNO-Botschafter in Genf
«Die Ankunft von IRIN in Genf ist eine sehr gute Nachricht für die Stadt und die umfangreiche humanitäre Gemeinschaft, die hier ihre Basis hat. Die Agentur wird die lokale Medienszene stärken und eine bedeutende Stimme für unabhängige Analysen im humanitären Sektor einbringen, der schon lange die Notwendigkeit für grössere Rechenschaftspflicht und Transparenz anerkannt hat.»
Genf, das passt perfekt
Die IRIN-Direktorin erklärte, die neue Genfer Basis und die grosse humanitäre Tradition der Schweiz – Geburtsort des Roten Kreuzes und Sitz des Europäischen UNO-Hauptquartiers – passten «perfekt» zur Organisation. «Wir entschieden uns für Genf, weil es die globale Drehscheibe für humanitäre Aktionen und Debatten ist», erklärte sie.
Und der neue Status der Organisation als Nicht-Regierungsorganisation (NGO) mit ihren Statuten nach Schweizer Recht stelle die redaktionelle Unabhängigkeit sicher. Der gemeinnützige Status biete Flexibilität sowie eine relativ einfache Verwaltung und Governanzstruktur, sagte Aly.
«In Kenia, etwa, wo wir unser Hauptquartier hatten, als wir zur UNO gehörten, ist es administrativ betrachtet sehr schwierig, eine NGO zu etablieren. So gibt es zum Beispiel eine Menge von Bedingungen, wen man anstellen kann – was bis zu einem gewissen Grad auch in der Schweiz der Fall ist», sagte sie.
«Aber insgesamt ist es sicher einfacher hier. Und die Genfer Regierung hat viel getan, um für Organisationen wie die unsere eine einladende Umgebung zu schaffen. Wir erhielten viel Unterstützung, Logistik und Beratung vom Kanton und dem Genfer Begrüssungszentrum (CAGI) [Dienst für Neuankömmlinge im Internationalen Genf].»
Ein Nachteil Genfs sei, dass die Stadt extrem teuer sei, vor allem was Löhne und laufende Kosten angehe, räumte Aly ein. IRIN hat heute weltweit 12 Angestellte, mit einer kleinen, aber wachsenden Präsenz in Genf. «Und es ist schwieriger, Nicht-Europäer anzustellen, aber dies ist in ganz Europa ein Thema», fügte sie hinzu.
Finanzierung bereitet Kopfschmerzen
Dass die Organisation als gemeinnützig anerkannt ist, eröffnete eine Reihe potentieller Finanzierungsquellen, vor allem Zuwendungen. Aber die Beschaffung von Finanzmitteln war eine harte Lernerfahrung.
2015 hatte der malaysische Philanthrop Jho Low, Direktor der Jynwel Charitable Foundation (Wohltätigkeitsstiftung), IRIN eine Investition von 25 Millionen Dollar über 15 Jahre versprochen. Doch im Sommer 2016 wurde Low, ein Geschäftsmann mit Verbindungen zu Hollywood, in einer US-Gerichtsklage aufgeführt, bei der es um mehr als eine Milliarde Dollar angeblich unrechtmässig angehäufter Gelder geht, die eine Verbindung zum staatlichen malaysischen Investmentfonds 1MDB haben.
«Sobald wir uns der erhobenen Fragen bewusst wurden, zogen wir uns aus dieser Partnerschaft zurück», erklärte Aly. «Angesichts der Natur unserer Arbeit fanden wir, unter diesen Umständen sei dies keine angebrachte Partnerschaft. 2015 stammten 83% unserer Finanzierung von der Jynwel-Stiftung. Der Entscheid, uns aus dieser Partnerschaft zurückzuziehen, bedeutete also einen äusserst bedeutenden Wandel in unserer Finanzierungssituation.»
Zum Glück seien andere Spender rasch in die Bresche gesprungen, erklärte sie. Zurzeit erhält IRIN Gelder von den Regierungen der Schweiz und Schwedens, aus dem Schweizer Lotteriefonds und von philanthropischen Stiftungen in Europa und den USA. Die Schweiz war von Anfang an eine regelmässige Spenderin und unterstützt IRIN heute mit 250’000 Franken pro Jahr.
«Ein Grund, weshalb wir optimistisch in die Zukunft blicken, ist, dass Leute an unsere Arbeit glauben und diese schätzen. Und wenn wir Unterstützung brauchten, um am Leben zu bleiben, konnten wir bisher immer auf Spender zählen, die einsprangen», sagte Aly.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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