«Antizionismus ist keine Politik der SP Schweiz»
Beim Israel-Palästina-Konflikt wirkt die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) gespalten. Während einzelne Mitglieder Israel mittels parlamentarischer Vorstösse und Fragen einseitig mit Kritik eindecken, verabschiedete die Partei vor einem Jahr eine Resolution gegen Antisemitismus, in der sie sich teilweise auch vom Antizionismus distanziert.
Kürzlich griffen wir in einem Artikel die Frage auf, warum manche Politiker und Politikerinnen aus dem linken Spektrum Israel regelmässig mit Kritik eindecken. Rebekka Wyler, Co-Generalsekretärin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), nimmt im Interview Stellung zur Position ihrer Partei.
swissinfo.ch: Die SP hat vor rund einem Jahr eine Resolution gegen Antisemitismus beschlossen. Was war der Anlass?
Rebekka Wyler: Das Thema beschäftigt uns schon seit über 100 Jahren, der Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus ist konstitutiv für die politische Linke. In letzter Zeit kam aber immer häufiger der Vorwurf gegenüber Exponenten der SP Schweiz auf, es gebe Antisemitismus auch in unserer Partei. Wir wollten ein für alle Mal Stellung nehmen, dass wir keinen Antisemitismus tolerieren, auch nicht in den eigenen Kreisen.
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swissinfo.ch: In der Resolution steht auch explizit, das Existenzrecht Israels dürfe nicht in Frage gestellt werden. Warum wurde dies ebenfalls in die Resolution genommen?
R.W.: Die Diskussion um Antisemitismus lässt sich nicht ganz von der Nahostpolitik trennen, wir wollten unsere Position zum ganzen Themenkomplex klarstellen. Wir wollten eine Stellungnahme, die man in der Öffentlichkeit verwenden und auf die man verweisen kann. So dass auch parteiintern klar ist, was gilt.
swissinfo.ch: Interpretiere ich die Formulierung in der Resolution zum Existenzrecht Israels richtig, dass die SP Schweiz sich offiziell auch vom Antizionismus distanziert?
R.W.: Antizionismus ist keine Politik der SP. Die SP hat in diesem Bereich ein breites Spektrum an Meinungen. Wir haben in der SP Leute, die Mitglied der Gesellschaft Schweiz – Israel sind, wir haben Leute, die sich selbst explizit als Zionisten oder Zionistinnen bezeichnen würden, und es gibt aber natürlich auch die anderen, die das hinterfragen. Antizionismus, solange er nicht antisemitisch ist, sondern die Besatzungspolitik Israels oder die Lebensumstände der Palästinenser kritisiert, finde ich eine vertretbare politische Meinung. Die natürlich nicht von allen SP-Mitgliedern geteilt werden muss. Wichtig ist aber, zwischen Antisemitismus und Antizionismus zu unterscheiden.
Im Mai 2019 verabschiedete die SP eine Resolution gegen AntisemitismusExterner Link, die unter anderem den Bundesrat und das Parlament dazu auffordert, sich zur Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance AllianceExterner Link zu bekennen. Zudem hielt sie fest: «Wir dulden sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Partei keinen Antisemitismus und gehen entsprechend mit geeigneten Mitteln aktiv gegen Antisemitismus vor.» Die Partei stellte auch klar, dass das Existenzrecht Israels nicht in Frage gestellt werden dürfe.
swissinfo.ch: Die SP bekennt sich in der Resolution zur Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance. Diese ist nicht ganz unumstritten…
R.W.: Richtig.
swissinfo.ch: …auch in der SP. Was ist an ihr problematisch?
R.W.: Die SP-Geschäftsleitung hat die Resolution einstimmig gutgeheissen. Aber es ist schon so: Wir sind sowohl parteiintern als auch extern hart kritisiert worden. Das Problem ist ja nicht die Definition selbst, sondern die aufgeführten Beispiele. Haben Sie diese angeschaut?
swissinfo.ch: Ja, das habe ich. Wenn ich die Beispiele richtig verstehe, zählt Antizionismus gemäss dieser Definition auch zu Antisemitismus. Ich könnte mir vorstellen, dass das heikel ist.
R.W.: In den Beispielen hat es einige dabei, die suggerieren, dass Kritik an Israel grundsätzlich unzulässig ist. Wir sind aber der Meinung, dass die Beispiele nicht integraler Teil der Definition sind.
swissinfo.ch: Teilt die SP die Position des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, wonach Kritik am Staat Israel beziehungsweise an seiner Politik nicht generell antisemitisch ist, solange man diese Kritik so tätigt, wie man sie auch an allen anderen Staaten tätigen würde?
R.W.: Ja.
swissinfo.ch: Und was bedeutet «so wie man sie auch an allen anderen Staaten tätigen würde»?
R.W.: Man kann nicht Israel für Vertreibungen kritisieren und zur Situation in Burma oder in der Türkei nichts sagen, oder behaupten, Vertreibungen dort seien nicht so schlimm. Ich finde, einzelnen Personen in der SP kann man durchaus den Vorwurf machen, sie mässen nicht mit gleichen Ellen, nicht aber uns als Partei.
swissinfo.ch: Wenn man die Vorstösse und Fragen von SP-Vertretern im Parlament durchgeht, findet man etliche Gehässigkeiten gegenüber Israel, hingegen habe ich keinen einzigen Vorstoss gefunden, der sich kritisch über palästinensische Organisationen äussert. Ist das nicht an sich schon ein doppelter Standard, wie die SP ihn in der Resolution verurteilt?
R.W.: Das Problem ist, dass diese Vorstösse von einzelnen Personen eingereicht werden. Es gibt keine Generallinie von der Partei, die befiehlt, eine bestimmte Anzahl Vorstösse zum Nahostkonflikt einzureichen, wovon je die Hälfte pro oder contra zu sein habe. Es gibt Menschen innerhalb und ausserhalb der SP, die durch die Palästina-Frage stark bewegt werden. Das wirft bei mir persönlich manchmal auch Fragen auf, weil viele dieser Personen meines Wissens keinen persönlichen Bezug zum Nahen Osten haben und ich mich frage, weshalb sie derart viel Energie auf genau dieses Thema verwenden.
swissinfo.ch: Die SP wirkt beim Israel-Palästina-Konflikt gespalten. Täuscht der Eindruck?
R.W.: Nein, dieser Eindruck täuscht nicht. Das ist aber in praktisch allen Parteien so. Zudem hat sich das in der SP über den Lauf der Zeit geändert: Die Gründung des Staates Israel war eine direkte Folge des Holocausts, daher war die Solidarität mit Israel zu Beginn gross. Obwohl es schon damals Vertreibungen und Tote gab. Aber das sah man zwischen den 1940er- bis 1960er-Jahre aus anderer Perspektive. Dann kam der palästinensische Terror, von dem auch die Schweiz betroffen war. Ab dann gingen innerhalb der Linken zwei Flügel auseinander: Die einen geben sich in der Tradition des Anti-Imperialismus antizionistisch, andere halten an der traditionellen Solidarität mit Israel fest.
swissinfo.ch: Wie ist das Verhältnis zwischen der SP und anderen linken Parteien bei der Nahost-Politik? Ist die SP die erste linke Partei, die sich so klar positioniert?
R.W.: Meines Wissens ist die SP die einzige Partei, die sich öffentlich positioniert hat. Persönlich gehe ich davon aus, dass bei den Grünen die pro-palästinensische Fraktion stärker ist als in der SP. Die Grünen haben eine andere Tradition, da sie erst in den 1980er-Jahren entstanden sind. Die SP ist ja viel älter, es gab die Partei lange vor der Gründung des Staates Israels.
swissinfo.ch: Wie ist das Verhältnis der SP zur Kampagne «Boykott – Desinvestition – Sanktionen gegen Israel bis zum Ende von Apartheid und Besatzung in Palästina» (BDS)? Gibt es Kräfte innerhalb der SP, die eine Distanzierung von der BDS verhindern?
R.W.: Die SP hat im Prinzip kein Verhältnis zu BDS. Es gibt einzelne Parteimitglieder, die Mitglied bei BDS sind. Solange eine Organisation nicht verboten ist, kann die SP ihren Mitgliedern nicht sagen, sie dürften kein Mitglied sein. Für uns gibt es keinen Anlass, uns explizit von BDS zu distanzieren. Wir unterstützen sie aber auch nicht. BDS hat uns wegen unserer Resolution stark kritisiert.
swissinfo.ch: Laut Antisemitismus-Bericht gibt es einen spezifisch linksradikalen Antisemitismus, der im Unterschied zu anderen Formen von Antisemitismus auffallend häufig israelbezogen ist. Wie erklären Sie sich das?
R.W.: Das ist so. Das habe ich selbst erlebt, weil ich in Kontakt war mit Linksaussen-Organisationen. Ich erkläre mir das mit der anti-imperialistischen Schiene, die Israel als Aggressor wahrnimmt. Es ist eine sehr unkritische und einseitige Solidarität mit jenen, die man als Opfer identifiziert.
swissinfo.ch: Ich bin politische Vorstösse der letzten Jahre durchgegangen und es ist auffallend: Pro-palästinensische Vorstösse stammen von linken Politikerinnen und Politikern und pro-israelische von Rechten. Man hat auch den Eindruck, dass Lobby-Organisationen sich gezielt an Parteimitglieder wenden. Warum gibt es diese Aufteilung «pro-Palästina links und pro-israelisch rechts»? Ich finde das irritierend.
R.W.: Es ist auch irritierend. Und es war nicht immer so. In den 1930er-Jahren gab es Kontakte zwischen Nazis und palästinensischen Exponenten, weil sie beide nicht wollten, dass Juden sich in Palästina ansiedeln.
Für mich ist es ein 60er-Jahre-Diskurs: Israel wurde plötzlich zum Aggressor und die Linken solidarisieren sich mit den Opfern, also mit den Palästinensern, die vertrieben wurden. Dazu kommt, dass Israel immer eine nahe Zusammenarbeit mit den USA hatte. Aus anti-amerikanischen Beweggründen war man dann auch gegen Israel.
Für die Rechten stellte sich diese Frage nie in dieser Form. Die Rechten waren logischerweise immer anti-kommunistisch. Und es gab Kontakte zwischen palästinensischen Organisationen und Regimes im Ostblock. Deshalb wurde es zu einer politischen Frage, obwohl ich diesbezüglich Ihre Meinung teile, dass das irritierend ist. Es hat mit Links und Rechts eigentlich nichts zu tun, sondern ist eine Folge des Kalten Krieges.
swissinfo.ch: Die Debatte über linke Formen von Antizionismus findet auch in anderen Ländern statt, zum Beispiel in Deutschland. Gibt es Unterschiede zur Schweiz?
R.W.: In Deutschland ist die Debatte wegen der Geschichte ungleich exponierter. Trotz aller Mitschuld der Schweiz kann man hierzulande aus einer Warte eines Unbeteiligten urteilen. In Deutschland ist das nicht möglich. Dort ist Kritik an Israel viel explosiver. Denn polemisch gesagt hat Nazi-Deutschland ja direkt dazu geführt, dass der Staat Israel gegründet wurde.
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