Die Schweiz ringt um griffigere Tabakgesetze
Die aktuellen Schweizer Tabakgesetze sind im internationalen Vergleich eher liberal. Jetzt will die Regierung mit griffigeren Regeln endlich die WHO-Standards erfüllen. Eine Volksinitiative fordert gleichzeitig strengere Werbebeschränkungen. Jetzt entscheidet das Parlament, in welche Richtung es geht.
Wer am Bahnhof Bern aus dem Zug steigt, riecht Rauch. Er kommt von Fahrgästen, die vor der Abfahrt einen letzten Zug an ihren Zigaretten nehmen, mitten auf den Bahnsteigen.
Die neuen Raucherzonen sind Teil der jüngsten Schweizer Massnahmen im Kampf gegen das Rauchen, der Hauptursache aller vermeidbaren Todesfälle in der Schweiz. 9500 sind es pro Jahr, das entspricht 26 Todesfällen pro Tag. 27% der Bevölkerung über 15 Jahren rauchen in diesem Land.
800 Meter vom Berner Bahnhof entfernt steht das Bundeshaus. Dort wälzt das Schweizer Parlament seit 2016 das Tabakproduktegesetz (TabPGExterner Link).
Aus dem langjährigen Hin und Her zwischen den Parlamentskammern und der Exekutive lässt sich ablesen, wo sich die Achillesferse dieses Gesetzentwurfs befindet: Die Regulierung sieht Werbeeinschränkungen für Produkte der mächtigen Tabakindustrie im Land vor. Philip Morris International, British American Tobacco und Japan Tobacco International sind in der Schweiz ansässig.
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Weil die Schweiz Tabakwerbung für Jugendliche bis anhin nicht beschränkt, konnte sie auch die WHO-Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) nicht ratifizieren, den ersten bindenden multilateralen Vertrag in der Geschichte der Weltgesundheitsorganisation.
Siebzehn Jahre ist es her, dass die Schweizer Regierung diese Konvention unterzeichnetExterner Link hat und damit eigentlich versprach, die notwendigen Gesetzesanpassungen anzugehen. Zu ihnen gehören etwa Massnahmen gegen das Passivrauchen und Einschränkungen von Werbung für Tabakprodukte.
Doch die Jahre sind vergangen und die Schweiz gehört immer noch zu der kleinen Gruppe von Ländern, die der Konvention nicht beigetreten sind.
Druck für ein strengeres Gesetz
Frischen Wind brachte 2018 die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung», eingereicht mit über 100’000 Unterschriften von einer breiten Allianz aus dem GesundheitsbereichExterner Link, darunter Ärzte, die Krebsliga Schweiz und Präventionsorganisationen wie Sucht Schweiz.
Die Initiative verlangt ein Verbot jeglicher Werbung für Tabakprodukte, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Sie wird in der laufenden Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte erstmals im Nationalrat behandelt. Der Bundesrat empfiehlt sie zur AblehnungExterner Link. Er argumentiert: «Faktisch würde die Initiative einem vollständigen Werbeverbot gleichkommen.» Das gehe zu weit. Gleichzeitig wünsche der Bundesrat aber wesentliche Einschränkungen der Tabakwerbung, «um die Jugendlichen besser vor den Gefahren des Tabaks zu schützen.»
So empfiehlt die Landesregierung anstelle der Initiative entsprechende Verschärfungen im TabakproduktegesetzExterner Link. Über diese hat der Ständerat bereits im September 2019 beraten. Und tatsächlich: Strengere Regeln im Bereich der Werbung wurden beschlossen. Diese «erlauben das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs zu ratifizieren», sagt der Bundesrat. Damit werde dieses seit langem angestrebte Ziel erreicht. Die Initiative hat damit ihre Wirkung beim Gesetzgeber nicht verfehlt.
Die Gesundheitskommission des Nationalrats empfiehlt der grossen Kammer im Einklang mit dem Bundesrat, die Initiative abzulehnen und stattdessen den vom Ständerat eingebrachten GesetzesentwurfExterner Link anzunehmen. Dieser enthält auch Regelungen bezüglich Werbung für E-Zigaretten. Mehr als 45% der 16-Jährigen konsumieren diese neue Form des Tabaks wöchentlich.
Die Nationalratskommission will der Tabakindustrie aber keine Meldepflicht für Werbeausgaben auferlegen. Ebenso wenig soll Werbung für Tabakprodukte in Zeitungen und auf Websites verboten sein, die sich nicht explizit an Minderjährige richten.
Eine hitzige Debatte ist abzusehen. Mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier sehen im Gesetzesentwurf insgesamt einen Eingriff in die kommerzielle Freiheit der Unternehmen und in die Wahlfreiheit der Bürger. Andere sind der Ansicht, dass zumindest der minimal notwendige Schritt zum Schutz der Jüngsten unternommen werden müsse. Darum sei Werbung für alle Arten von Tabakprodukten in Gratiszeitungen und im Internet zu verbieten.
(Adaptation: Balz Rigendinger)
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