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Das Schweizer Zivilverteidigungsbuch in Japan

Zivilverteidigung Demo 1969
Genf, Dezember 1969: Einige hundert Personen demonstrieren gegen das vom Bund gratis an alle Haushalte abgegebene Zivilverteidigungsbuch. Darin werden Pazifismus und Seperatismus in die Nähe feindlicher Mächte gerückt. Keystone

Gedacht war das sogenannte Zivilverteidigungsbuch eigentlich für die Schweizer Bevölkerung: Es sollte sie wappnen für den Kalten Krieg. Auf Anklang stiess es aber vor allem in Japan.

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1969 wurde das so genannte Zivilverteidigungsbuch an alle Haushalte der Schweiz verschickt. Das Handbuch sollte die Bevölkerung einerseits auf einen Angriff vorbereiten, andererseits auch wachsam machen gegenüber Unterwanderungen durch den Feind.

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie «Die Schweiz im Kalten Krieg». swissinfo.ch beleuchet darin verschiedene Aspekte der damaligen Schweiz, die als neutrales Land zwischen den Blöcken stand und sich gleichzeitig klar dem Westen zuordnete.

Doch der Höhepunkt des Kalten Krieges und damit der zähe Konsens jener Jahre war vorüber. Das Buch stiess auf Widerstand: Es wurde aus Protest zurückgeschickt, an Militärparaden auf die Strasse geworfen, öffentlich verbrannt.

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Zivilverteidigung – ein Buch zur falschen Zeit

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Grund für die Empörung war die Darstellung politischer Gegner als subversive Feinde der Demokratie. Das Büchlein stilisierte jede Kritik, wie beispielsweise pazifistische Positionen, als roten Teppich für die Sowjetarmeen herauf.

Wer sich durch das Büchlein nicht angegriffen fühlte, machte sich darüber lustig: Tipps, wie man sich auf die Atombombe vorbereiten kann, wirkten Ende der 1960er-Jahre naiv – es wurde auch als «militärischer Infantilismus» bezeichnet.

Heute gilt das Büchlein in der Schweiz vielen als Realsatire über den Kalten Krieg. Andernorts hingegen machte es Karriere.

Japanische Übersetzung 1970

In «Zivilschutz», der Zeitschrift der Behörde, die hinter dem Büchlein steckte, vermeldete man 1971 in einer Mischung aus Kränkung und Stolz, dass das  verspottete Büchlein «unerwartete Schützenhilfe aus dem Fernen Osten» erhalten habe: Das Zivilverteidigungsbuch sei auf Japanisch übersetzt worden.

zwei Bücher liegen nebeneinander
Das Schweizer Zivilverteidigungsbuch und das ins Japanische übersetzte Exemplar. swissinfo.ch

Tatsächlich verkauft sich das Buch in Japan seit 1970 leise aber kontinuierlich. Masato Naruse ist Geschäftsleiter des Verlags Hara ShoboExterner Link, in dem das Buch 1970 erschien.

Naruse sagt, junge japanische Staatsangestellte hätten sich um die Übersetzung des Textes gekümmert: In privaten Sitzungen lasen sie den Originaltext und übersetzten diesen ins Japanische. Buchstruktur, Illustrationen und Layout sind identisch. Sogar das Vorwort von Bundesrat Ludwig von Moos wurde übernommen.

Japan befand sich damals in einer turbulenten Zeit: Der japanisch-amerikanische Sicherheitsvertrag sowie die Absicht, diesen zu verlängern, führten zu ausgedehnten Studentenprotesten.

Und angesichts der atomaren Bedrohung im Kalten Krieg wollten die Übersetzer das Interesse der Bevölkerung an der Zivilverteidigung erhöhen. Im «Zivilschutz» von 1971 wurde stolz vermerkt, dass die Japaner zum ersten Mal «den Begriff des Notvorrates» kennenlernten.

Die Suche nach einem Verleger gestaltete sich schwierig. Am Ende druckte der Hara-Shobo-Verlag in Tokyo, der auf die Publikation von Büchern und Texten zu Kriegsthemen spezialisiert ist, 3000 Exemplare.

Die Schweizer Zivilschützer sprachen von «grossem Interesse in allen Kreisen des Inselvolkes». Doch Naruse relativiert: «Am Anfang wurde es nicht so viel verkauft, aber es gab Leute, die daran interessiert waren.»

zwei offene Bücher mit erklärenden Zeichnungen.
Japanische Staatsangestellte übersetzt den Schweizer Text originalgetreu und verwendet dieselben Illustrationen. swissinfo.ch

Doch das Schweizer Militär und die Zivilverteidigung erfuhren im Japan der 1970er-Jahren grössere Beachtung. Das Konzept der bewaffneten Neutralität und des Milizsystems, das aus allen Bürgern Soldaten machte, stiess auf Interesse. Konservative Wirtschaftskreise und Befürworter der «Selbsverteidigungskräfte» Japans idealisierten die Schweiz als wehrhaften «Igelstaat».

An dieser Vorbildfunktion gab es durchaus auch Kritik: So bezeichnete der japanische Historiker und Schweiz-Spezialist Morita Yasukazu das Zvilverteidigungsbuch als «schockierend». Er befürchtete, dass man das Image der in Japan als pazifistisch geltenden Schweiz zur Militarisierung der japanischen Gesellschaft nutzen könnte.

eine eingestürzte Autobahn.
In der Stadt Kobe stürzte die Schnellstrasse nach dem Erdbeben von 1995 ein. Keystone / Koji Sasahara

Neuauflage nach dem Kobe-Erdbeben 1995

Das Schweizer Zivilverteidigungsbuch stiess in Japan aber auch noch in einem ganz anderen Zusammenhang auf Interesse: Es wurde als Ratgeber für die Vorbereitung auf Naturkatastrophen genutzt.

So geriet das Buch nach dem ersten grossen Nachkriegserdbeben vom 17. Januar 1995 erneut in die Öffentlichkeit. Das Beben mit dem Epizentrum nahe der Stadt Kobe zerstörte 250’000 Häuser, verursachte schwere Schäden an Häusern, Strassen und Eisenbahnen – und kostete 6434 Menschen das Leben.

Ein gelber Buchumschlag mit japanischen Schriftzeichen.
Das Handbuch «Disaster Prepardness Tokyo» wurde an alle 7,2 Millionen Haushalte der Stadt verteilt. ©Tokyo Metropolitan Government

Nach der Katastrophe hielt der berührte Journalist Taro KimuraExterner Link das Buch in die Fernsehkamera und empfahl es als Tipp für die Notfallvorbereitung und den Katastrophenschutz. Die Nachfrage stieg sprunghaft an, doch von den wenigen Tausend Exemplaren waren keine mehr vorrätig – man druckte nach. Es folgten weitere Neuauflagen, beispielsweise 2003 anlässlich des Irak- Kriegs.

«TOKYO-Version» an 7,2 Millionen Haushalte verteilt

Als Reaktion auf das Tohoku-Erdbeben vom 11. März 2011 und dem Reaktorunfall von Fukushima wurde das Handbuch «Disaster Prepardness TokyoExterner Link» an alle 7,2 Millionen Haushalte in Tokio verteilt.

Das Buch geht hauptsächlich von einem schweren Erdbeben aus, und erklärt etwa wie man Verletzte versorgt oder wie man beispielsweise eine einfache Toilette baut.

Es enthält auch detaillierte Informationen zur Katastrophenvorbereitung, beispielsweise zur Vorratsmenge für Lebensmittel und Wasser. Nicht nur auf Katastrophen wird eingegangen, sondern auch auf Massnahmen, die bei Terrorismus und bewaffneten Angriffen helfen. Die Fixierung auf einen inneren Feind, die das Schweizer Original dominierte, fehlt aber.

Einwohner ausserhalb Tokios können das Buch seit 2015 für umgerechnet 1.40 CHF kaufen. Neben der kostenlosen «Tokyo Metropolitan Disaster Prevention AppExterner Link» und einer E-Book-Version, gibt es auch eine englischeExterner Link, eine chinesische und eine koreanische Version. Bisher wurden etwa 620’000 Exemplare verkauft.

Eine gelbe Doppelseite eines Buches mit grau-weissen Zeichnungen und Text.
Alles bereit für den Notfall? Diese Dinge sollten man laut Katastrophenschutz in Tokio auf Vorrat haben. ©Tokyo Metropolitan Government

Ein Longseller

Die Originalübersetzung des «Schweizerischen Zivilverteidigungsbuchs» ist unterdessen zu einem Longseller geworden. Mehr als 150’000 Exemplare wurden bisher verkauft.

Verleger Naruse sagt: «Auch nach dem Ende des Kalten Krieges wird es weiterhin als hilfreich für Katastrophen angesehen. Die ursprüngliche Version und der Inhalt von 1970 haben sich nicht geändert. Ich denke, das liegt daran, dass das, was wichtig ist, um sich selbst zu schützen, zeitlos ist.»

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