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P26 – Schweizer Geheimarmisten sollen rehabilitiert werden

Ausstellung im unterirdischen Treppenhaus des Museums Sasso San Gottardo, einer ehemaligen Festung
Festungs-Feeling: Die Ausstellung im unterirdischen Treppenhaus des Museums Sasso San Gottardo. swissinfo.ch

Sie ist ein höchst umstrittenes Kapitel in der Geschichte der Schweiz im Kalten Krieg: die geheime Schweizer Widerstandsorganisation P26. Eine Ausstellung im Festungsmuseum Sasso San Gottardo rollt nun ihre Geschichte neu auf. Fast 30 Jahre nach ihrer Enttarnung legt der Ausstellungsmacher einen neuen Fokus auf die angebliche "private Schweizer Geheimarmee". 

Der Wind hat gedreht. Lange begegnete die Öffentlichkeit der geheimen Kaderorganisation P26 und ihren Mitgliedern mit Skepsis und Argwohn.

Von einer «Geheimtruppe von Spionen» war die Rede, deren Mitglieder auch in Friedenszeiten über Sprengstoff und Waffen verfügten, um im Kalten Krieg, konkret im Falle einer Besetzung der Schweiz durch kommunistische Staaten Widerstand zu leisten.

Ausstellungsplakat
Das Plakat zur Ausstellung. Drohten der neutralen Schweiz im Kalten Krieg die Ketten des Kommunismus? Die Mitglieder der P26 sorgten jedenfalls für den Ernstfall vor. zvg

Diese Lesart lag auch an den Umständen, wie die Existenz dieser Organisation im Jahr 1990 enttarnt wurde. Im Zuge der Aufarbeitung der Affäre um Bundesrätin Elisabeth Kopp stiessen parlamentarische Untersuchungskommissionen (PUK) auf 900’000 Fichen der Bundespolizei und damit auch auf die «Geheimarmee». Die P26 wurde enttarnt und kurz darauf aufgelöst.

Neue historische Einsichten

Es dauerte lange, bis die Enthüllungen und Einschätzungen der PUK relativiert beziehungsweise neu eingeordnet wurden.

Inzwischen aber ist klar, dass viele Schlussfolgerungen aus dem Beginn der 1990er-Jahre der historischen Wahrheit nicht standhalten.

Massgeblichen Anteil an neuen Einordnung hat der Aargauer Historiker Titus Meier. Er hat in seiner Dissertation «Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall. Die Schweiz im Kalten Krieg»Externer Link (NZZ Verlag 2018) die Geschichte der P26 akribisch dokumentiert. Meiers These: die Geheimarmee ist eine «Mär».

Geheimorganisation P26

Das Projekt P26 ist ein Kind des Kaltes Krieges: Damals (vom Mauerbau 1961 bis zum Mauerfall 1989) geht in Westeuropa die Angst vor einer Invasion durch Armeen der kommunistischen Ostblockstaaten um. Feindbild der Schweiz war die Sowjetunion.

Im Kalten Krieg betrieben Geheimdienste des Ostblocks in der Schweiz aktive Spionage. Sie vermassen Strassen und Brücken, produzierten detailliertes Kartenmaterial für ihre Panzertruppen und legten hierzulande mit Sprengfallen gesicherte, geheime Materialdepots an.

Für den Fall, dass die Schweiz von Truppen des Warschauer Paktes teilweise oder ganz besetzt worden wäre, hätte die geheime Kaderorganisation P26 den Bundesrat im Exil mit täglichen Lageberichten versorgt. Die Organisation war gedacht als letztes Instrument in einer Schweiz unter totalitärer Herrschaft durch den kommunistischen Feind. Die P26 sollte den gewaltlosen Widerstand der Bevölkerung unterstützen, gefährdete Personen schützen und und Kriegsverbrechen der Besatzer dokumentieren.

Das Plakat zur Ausstellung «TopSecret» zeigt eine rote und in Ketten gelegte Schweiz voller gelber Hämmer und Sicheln, den Symbolen des Kommunismus.

Die Organisation mit ihren rund 400 Mitgliedern war demnach primär eine Kader- und Ausbildungsorganisation, die «Vorbereitungen für den Widerstand im feindbesetzten Gebiet» traf. Im Falle einer teilweisen oder vollständigen Besetzung der Schweiz durch «den Russen», wie der Feind damals genannt wurde, soll ein Netzwerk die Bevölkerung mit Informationen versorgen. Dabei war Geheimhaltung oberstes Gebot. Dieses ging so weit, dass sich die Mitglieder untereinander kaum kannten.

Dies bestätigten P26-Veteraninnen, die dieser Tage an einem Podiumsgespräch im Festungsmuseum Sasso San Gottardo auf dem Gotthard-Pass teilnahmen. Anlass war die Eröffnung der Sonderausstellung «Top secret P26»Externer Link.

Etwa die Mittelschullehrerin Susi Noger aus St. Gallen, die zur Funkerin ausgebildet wurde und unter dem Decknahmen «Tina» aktiv war. Nur ihr Ehemann wusste von ihrer Tätigkeit.

«Die Geheimhaltung war keine Belastung für mich. Entscheidend war, an nichts Illegalem teilzuhaben», so Noger. Schwieriger war es wohl, nach der Auflösung der Organisation unter Androhung von Strafen bis 2009 nicht öffentlich darüber reden zu dürfen.

Symbolträchtiger Ort

André Blattmann, ehemaliger Chef der Schweizer Armee, sprach zu Recht von einem «symbolträchtigen Ort» für die Ausstellung. Denn auch die unterirdische Verteidigungsanlage Sasso San Gottardo auf dem Gotthard-Pass war lange streng geheim. Heute ist sie ein Museum. Ein 400 Meter langer und feuchter Gang führt zum Raum, in dem nun die sehr textlastige Dokumentation zur P26 zu finden ist.

An der Eingangstreppe hängen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1990 mit den gigantischen Titeln zur angeblichen Geheimarmee im «Schnüffelstaat Schweiz». Dokumentiert werden die damalige Bedrohungslage und der Aufbau der Organisation. 

Mehr

«Am Ende gibt es meine Abrechnung mit der PUK-EMD von 1990», sagt Kurator Felix Nöthiger von der Stiftung Pro Castellis. Er setzt sich seit Jahren für eine Rehabilitierung der ehemaligen P26-Mitglieder ein. Und dort zieht er Bilanz: «Dreissig Jahre nach dem Skandal um eine ‹illegale, bis an die Zähne bewaffnete geheime Privatarmee› sind die Fakten endlich gewürdigt, die skandalisierenden Falschmeldungen der PUK EMD korrigiert.»

Der Vollständigkeit muss ergänzt werden, dass einige Akten zum Dossier P26 im Bundesarchiv verschwunden beziehungsweise unauffindbar sind. Zudem bleiben gewisse Original-Dokumente bis 2041 unter Verschluss.

Die Ausstellung «Geheimsache P26», Sasso San Gottardo, bis 13. Oktober 2019, Informationen: www.sasso-sangottardo.chExterner Link

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