Verhüllungsverbot nach dem Tessin nun auch in St. Gallen
Der Kanton St. Gallen verbietet das Burka-Tragen in der Öffentlichkeit. Die Stimmberechtigten sagten mit gut 67% deutlich Ja zur Vorlage. St. Gallen ist der zweite Kanton nach dem Tessin mit einem Burka-Verbot.
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
4 Minuten
swissinfo.ch und Agenturen
Im Kanton St. Gallen soll künftig bestraft werden, wer im öffentlichen Raum sein Gesicht verhüllt, sofern dies «die öffentliche Sicherheit oder den religiösen oder gesellschaftlichen Frieden bedroht oder gefährdet». Ob eine solche Bedrohung oder Gefährdung vorliegt, ist in jedem einzelnen Fall zu beurteilen.
Zur Abstimmung war es gekommen, weil die Jungsozialisten und die Jungparteien der Grünen und Grünliberalen das Referendum gegen die Vorlage ergriffen hatten. Der Kantonsrat hatte das Gesichtsverhüllungs-Verbot Ende 2017 mit den Stimmen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) beschlossen. Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) und das linksgrüne Lager waren dagegen.
«Verbot ist wirkungslos»
Justiz- und Polizeidirektor Fredy Fässler (Sozialdemokratische Partei, SP) zeigte sich nicht überrascht vom Ja zum Verhüllungsverbot. Allerdings werde die Regelung kaum etwas bewirken. Die Regierung habe dies schon vor der Abstimmung gesagt, erklärte Fässler der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
«Ich selber habe im Kanton St. Gallen noch nie eine Burkaträgerin gesehen», so Fässler. Auch könne er sich keine Situation vorstellen, in der die Bedingungen des Verbots erfüllt wären. Er geht davon aus, dass die St. Galler Polizei Burkaträgerinnen nicht büssen wird, sofern sich jemals solche im Kanton zeigen sollten.
Präventive Wirkung
Die SVP erhofft sich vom Verbot eine präventive Wirkung. Auch CVP-Vertreter sprachen sich dafür aus: Eine solche Ausdehnung des bestehenden Vermummungsverbots mache Sinn und entspreche einem Bedürfnis der Bevölkerung.
Die Gegner – FDP, SP, Grüne und GLP – sprachen von einem «Gesetz für die Galerie». Zudem sei es bereits heute strafrechtlich verboten, eine Frau zum Tragen einer Burka zu zwingen. Das neue Gesetz sei überflüssig und vage formuliert. Die Umsetzung wäre komplett willkürlich.
Eidgenössische Abstimmungen: alles Wichtige während der Abstimmungsphase für Sie auf den Punkt gebracht. Abonnieren Sie unseren Newsletter.
Fussballfans im Visier
Bereits seit zwei Jahren kennt der italienischsprachige Kanton Tessin ein Verhüllungsverbot. Bis heute trifft es vor allem vermummte Fussballfans. Burka-Trägerinnen wurden bisher kaum gebüsst.
Seit Juli 2016 gab es 37 Verfahren sowie einige Verwarnungen ohne Polizeibericht. Im ersten Halbjahr 2018 wurden im Tessin etwa zehn verhüllte Gesichter registriert. Fälle von verschleierten Frauen sind an einer Hand abzuzählen.
Externer Inhalt
#VerhüllungsverbotExterner Link: Die Stimmbeteiligung lag bei tiefen 35,8 Prozent. Was denkt die schweigende Mehrheit im Kanton St.Gallen?
Das Thema Vermummungsverbot ist auch auf nationaler Ebene aktuell. Das «Egerkinger Komitee» lancierte die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Diese verlangt, dass in der ganzen Schweiz niemand im öffentlichen Raum das Gesicht verhüllen darf.
Dem Bundesrat geht diese Burka-Initiative zu weit. Sie problematisiere ein seltenes Phänomen und greife in die bewährte kantonale Regelungsautonomie ein. Die Landesregierung will es weiterhin den Kantonen überlassen, über ein Verhüllungsverbot zu entscheiden.
In einem Gegenvorschlag zeigt sie sich aber bereit, die Regeln zu verschärfen. Zum einen sollen Kontakte mit bestimmten Behörden nur unverhüllt stattfinden dürfen. Zum anderen soll jeglicher Zwang, das Gesicht zu verhüllen, unter Strafe gestellt werden.
Seit Ende Juni läuft dazu ein Konsultationsverfahren. Danach kommt die Vorlage vors Parlament. Über Initiative und Gegenvorschlag abgestimmt wird voraussichtlich erst 2019.
Meistgelesen Swiss Abroad
Mehr
Freiburger gründet «Tinder der Berge» für die Liebe in der Höhe
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Wie soll man den Schleier verstehen? Er sei heute Mittel zur Betonung der Identität, Religion werde zur Schau gestellt, sagt ein Experte.
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Nach Frankreich, Belgien, einigen italienischen Städten und kürzlich dem Kanton Tessin könnte die Schweiz demnächst das nächste europäische Land sein, das die Gesichtsverschleierung an öffentlichen Orten verbietet. Das Stimmvolk wird sich vermutlich in den nächsten Jahren zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» äussern müssen, für die zurzeit Unterschriften gesammelt werden. Am Montag hat die Grosse Kammer…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Auf nationaler Ebene läuft derzeit die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Die Initianten vom so genannten «Egerkinger Komitee» haben bis am 15. September 2017 Zeit, die nötigen 100’000 gültigen Unterschriften zu sammeln.
Auch Genossen wollen die Schleier lüften – aber wie?
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Sie halte gar nichts von einer Burka, sagt die Basler SP-Ständerätin Anita FetzExterner Link, «nicht nur aus feministischen Gründen, sondern weil wir hier eine ‹Face-to-face-Kultur› haben. Es ist Teil unserer Kommunikation, dass man sich ins Gesicht schaut.» Aber sie sei in der Stadt Basel in den letzten zwanzig Jahren höchstens zwei oder drei vollverschleierten Frauen…
Arabische Touristinnen passen sich an, die Tessiner Hoteliers atmen auf
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Auf 1. Juli ist im Tessin das umstrittene Gesetz in Kraft getreten, welches eine vollständige Gesichtsverhüllung untersagt. Bisher wurden erst zwei Bussen wegen Verstosses gegen das so genannte «Anti-Burka-Gesetz» verteilt, wie von den Gemeindepolizeien zu erfahren ist. In Chiasso wurde jüngst eine Frau in unmittelbarer Nähe zum Grenzübergang mit 100 Franken gebüsst. In Locarno wurde…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Es war eine gesuchte Provokation: Die Konvertitin Nora Illi trat in Locarno gemeinsam mit dem französisch-algerischen Geschäftsmann Rachid Nekkaz auf, der in Frankreich und Belgien gegen Verhüllungsverbote kämpft. Auf der Piazza Grande von Locarno hatten sich Gegner und Befürworter des soeben in Kraft gesetzten Burka-Verbots versammelt. Am 22. September 2013 hatte das Tessiner Stimmvolk mit…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Es war eine Volkabstimmung, die weit über die Landesgrenzen für Aufsehen sorgte: Am 22. September 2013 sagten 65,4 Prozent der Stimmenden im Tessin Ja zu einer Volksinitiative, die ein Verbot der Gesichtsverhüllung in der Verfassung festschreibt – ein Primeur für die Schweiz. Diese Woche nun verabschiedete das Tessiner Kantonsparlament eine landläufig als Anti-Burka-Gesetz bezeichnete Vorlage,…
Von der Schwierigkeit, das Burka-Verbot umzusetzen
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Eigentlich hätte das Burka-Verbot im Tessin demnächst in Kraft treten sollen. Das Kantonsparlament wird sich im kommenden Dezember mit der Änderung des entsprechenden Gesetzesartikels befassen. Danach läuft die Referendumsfrist. Das Tessin ist der bisher einzige Kanton, in dem die Vollverschleierung gemäss Verfassung verboten ist. Für die rechtspopulistische Lega handelt es sich um einen «historischen» Entscheid.…
Ihr Abonnement konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Fast fertig... Wir müssen Ihre E-Mail-Adresse bestätigen. Um den Anmeldeprozess zu beenden, klicken Sie bitte den Link in der E-Mail an, die wir Ihnen geschickt haben.
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch