«Klein, aber fein»

Mit über 70% hat das Stimmvolk deutlich Ja gesagt zur "Erweiterung der Volksrechte".
Es hat sich damit für eine Mini-Reform entschieden: Ein Sieg für das Parlament.
Trotz Widerstand von links und rechts ein überraschend deutliches Resultat: Über 70% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wollen die neuen Volksrechte. In allen Kantonen wurde die Vorlage angenommen.
Lieber eine kleine Verbesserung der Volksrechte als weiterhin auf die grosse Revision zu warten, scheint sich ein grosser Teil der Stimmenden gesagt zu haben.
Damit haben sie sich für zwei Instrumente entschieden, die von der Linken als «Mini-Reform» und als wenig schlagkräftig eingeschätzt werden. Ausserdem befürchteten rechte Kreise einen Machtzuwachs des Parlaments.
Die neuen Volksrechte würden daher in der Praxis eher selten zur Anwendung kommen, vermuten die Gegner.
Links und rechts gelassen, Mitte zufrieden
Gegen die Änderung der Volksrechte hatte sich in den letzten Monaten Widerstand von allen Seiten formiert. Während die Sozialdemokraten (SP) dem Parlament Mutlosigkeit vorwarfen und von einer unnützen Mini-Reform sprachen, befürchtete die Schweizerische Volkspartei (SVP) eine kompliziertere Demokratie und einen Machtzuwachs des Parlaments.
Die beiden Parteien zeigten sich überrascht vom deutlichen Ja, tragen die Niederlage allerdings mit Fassung. Sie kündigten weitere Volksrechtsreformen an.
Erfreut zeigten sich dagegen die Freisinnig-Demokratische (FDP) und die Christlich-Demokratische Partei (CVP). Der Sieg über die Allianz von SVP und SP erfülle sie mit Genugtuung, hiess es.
Die «Koalition des Stillstandes» sei wider Erwarten deutlich geschlagen worden. Die Reform sei zwar ein kleiner, doch ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung. «Klein, aber fein», nannte sie CVP Generalsekretär Reto Nause.
Regierung überrascht
Für Justizministerin Ruth Metzler kam das deutliche Ja überraschend. Angesichts der schwierigen Vorgeschichte der Vorlage freue sie dies umso mehr, sagte sie vor den Medien.
Die Reform sei zwar ein kleiner Schritt, die Schweiz beweise damit ihre Reformfähigkeit. Mit Blick auf die Abstimmung per Internet sagte Metzler, dass der nächste Modernisierungsschritt ein grundlegender sein könnte.
Bundesverfassung wird entlastet
Mit den neuen Instrumenten soll es einerseits gelingen, die Bundesverfassung zu entlasten. Denn bisher mussten auch Gesetzesänderungen den Umweg über die Bundesverfassung nehmen, was diese mit Unwesentlichem überfrachtete.
Ausserdem wird das Stimmvolk bei gewissen Staatsverträgen mehr Mitsprache erhalten. Allerdings fällt zum Beispiel der Staatsvertrag mit Deutschland zum Thema Luftverkehr nicht in diese Kategorie.
Ursprünglich hatte die Regierung vorgesehen, eine umfassende Neugestaltung der Volksrechte zusammen mit der Erneuerung der Bundesverfassung an die Hand zu nehmen. Doch am Schluss blieben nur einige wenige Änderungen übrig.
Nach jahrelangem Ringen in beiden Räten hatte sich das schweizerische Parlament schliesslich zu einer Mini-Reform der Volksrechte durchgerungen. In einer direkten Demokratie wie der schweizerischen kommt den Volksrechten eine Schlüsselstellung zu.
Zwei neue Instrumente
Hauptpunkte der Reform zur «Änderung der Volksrechte» sind zwei zusätzliche direktdemokratische Möglichkeiten: Die neue «allgemeine Volksinitiative» und die Erweiterung des fakultativen Referendums für Staatsverträge.
Sie werden die bisherigen Volksrechte – die eidgenössische Volksinitiative und das Referendum – ergänzen.
Derzeit kann mit einer Initiative nur eine Änderung der Verfassung verlangt werden. Dies führt seit Jahrzehnten zu einer Überfrachtung der Bundesverfassung, weil viele Änderungen eigentlich in einem Bundesgesetz umgesetzt werden könnten.
Die «allgemeine Volksinitiative» soll hier nun Abhilfe schaffen. Sie schreibt nicht vor, ob eine Änderung auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe umgesetzt werden soll. Das Parlament soll dies stufengerecht selbständig entscheiden können.
Damit eine allgemeine Volksinitiative zustande kommt, werden 100’000 Unterschriften benötigt – gleich viele wie für die eidgenössische Volksinitiative. Allerdings kann bei dieser der genaue Text vorgegeben werden.
swissinfo, Christian Raaflaub
Zu den bisherigen Volksrechten – der Initiative und dem Referendum – kommen mit der Reform zwei neue Instrumente dazu.
Mit der Volksinitiative ist es heute möglich, Änderungen in der Verfassung zu verlangen. Die neue «allgemeine Volksinitiative» überlässt es dem Parlament, ob die Änderung auf Verfassungs- oder Gesetzesebene umgesetzt wird.
Die Initianten erhalten ein Beschwerderecht, falls die Umsetzung nicht nach ihrem Sinn ausfällt. Wird dem Anliegen Folge geleistet, ist keine Abstimmung nötig.
Mit dem fakultativen Staatsvertrags-Referendum werden alle völkerrechtlichen Verträge anfechtbar, die «wichtige rechtssetzende Bestimmungen» enthalten.

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