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Kleiner Anschub für die Musikausbildung

Das Klavier ist das in der Schweiz am häufigsten gespielte Instrument. Keystone

Ein Bundesbeschluss, der am 23. September zur Volksabstimmung kommt, möchte die Jugendmusikförderung in der Schweiz verbessern. Wird dieser angenommen, könnte dies die Kantone zur Harmonisierung ihrer Musikausbildung veranlassen.

Der Bundesbeschluss, über den das Volk abstimmen wird, ist ein Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Jugend + Musik» des Dachverbandes der Institutionen, die sich um Musikpraxis und -ausbildung von Kindern und Jugendlichen kümmern.

Zufrieden mit dem Gegenentwurf, beschloss das Initiativkomitee im März dieses Jahres, nach den Parlamentsdebatten sein Volksbegehren zurückzuziehen.

Der Bundesbeschluss schlägt keine konkreten Massnahmen vor, bringt aber eine gewisse Anzahl von Grundsätzen an. Zuallererst heisst es im Text, dass Bund und Kantone die Musikausbildung fördern. Dann beauftragt er Bund und Kantone, Prinzipien für den Zugang von Jugendlichen zur Musikpraxis und die Förderung der Begabtesten zu bestimmen.

Schliesslich präzisiert der Beschluss, falls die Bemühungen der Kantone nicht zu einer Harmonisierung der Ziele führten, werde der Bund «im nötigen Mass» Gesetze erlassen.

Breite Unterstützung

Im Parlament gab vor allem diese Einmischung des Bundes zu reden. In der Schweiz fällt nämlich die obligatorische Schulausbildung unter die Zuständigkeit der Kantone. Der Bund interveniert nur dann, wenn sich diese unter sich nicht einigen können oder Lücken zutage treten.

Am Ende der Debatten hat sich eine grosse Mehrheit der politischen Parteien für den Bundesbeschluss ausgesprochen. Von den grossen Parteien empfiehlt nur die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) ein Nein für die Abstimmung vom 23. September. «Diese wichtige Frage fällt unter die Zuständigkeit der kantonalen Politik», ist auf der Internetseite der Partei zu lesen.

Die parlamentarischen Debatten zeigten jedenfalls, dass die Musik bei den Politikern grosse Unterstützung geniesst. Mehrere Redner betonten, die Musik sei ein wichtiger Teil der schweizerischen Kultur. Aber nicht nur.

Weitere Tugenden seien, wurde unterstrichen, dass die Musik die verschiedenen nationalen Kulturen zusammenbringe, der Jugendgewalt vorbeuge, die Entwicklung des Kindes stimuliere und die Integration der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz fördere.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Gleichbehandlung

Eine Erhebung des Bundesamts für Statistik (BFS) von 2008 über das Kulturverhalten in der Schweiz – unter anderem im Musikbereich – zeigte, dass in der Schweiz 20% der Bevölkerung ein Instrument spielen und 16% Gesang praktizieren. Kann man da wirklich noch von einem Problem in der Musikausbildung sprechen?

Die Anhänger des Bundesbeschlusses sind der Ansicht, dass der Zugang zur Musikausbildung von Kanton zu Kanton unterschiedlich ist. «Es ist eine Frage der Gleichbehandlung für alle Kinder «, sagt Josiane Aubert von der Sozialdemokratischen Partei (SP) gegenüber swissinfo.ch.

Nach Meinung der Berichterstatterin der zuständigen Nationalratskommission müssen alle Kinder die Möglichkeit haben, auf eine musikalische Ausbildung einzugehen. «Was wir aber sehen ist, dass der Zugang dazu je nach Kanton ziemlich ungleich ist, namentlich auf der Qualitätsebene des Unterrichts an den Schulen. Wir meinen, dass die Kantone die Verantwortung tragen, dass den Kindern gut ausgebildetes Lehrpersonal vorgesetzt wird», so Aubert.

Ist es aber nicht illusorisch, während der obligatorischen Schulzeit, deren Programme bereits ziemlich belastet sind, noch Musik zu lernen? «Wir wollen nicht aus allen Kindern in der Schweiz professionelle Musiker machen», antwortet die sozialdemokratische Nationalrätin. «Wir wollen lediglich, dass sie die Möglichkeit des Zugangs zur Musik haben und zu allem, was diese vom jüngsten Alter an bietet.»

Teils überlastete Konservatorien

Um Musik richtig zu lernen, erweist sich ein Durchlauf in einer Musikhochschule oft als notwendig. Aber auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Kantonen, und die Zahl der Plätze genügt der Nachfrage manchmal nicht.

«Der Zugang zum Konservatorium gehört zu den Fragen, die von den Kantonen und dem Bund diskutiert werden müssen», betont Aubert. «Gewisse Kantone verfügen über kein Gesetz bezüglich Musikschulen. Wie sollen da die Kinder ausgewählt werden, die ins Konservatorium gehen dürfen oder eben nicht? Werden nur jene aufgenommen, deren Eltern dies bezahlen können? Darüber müssen wir nachdenken.»

Der Dirigent Olivier Neuhaus, der schon mehrere Blasorchester in den Kantonen Freiburg und Bern geleitet hat, führt keine Kampagne hinsichtlich der Abstimmung vom 23. September. Aber auch er anerkennt, dass eine Hilfe von aussen notwendig ist.

«Eine Ausbildung hoher Qualität mit gut qualifizierten Lehrern kostet sehr viel. Die Musikvereine und die Eltern haben nicht unbedingt die Mittel dazu, was gewisse Türen verschliessen kann. Eine Unterstützung ist also wünschenswert auf der Ebene der Musikhochschulen und der Privatschulen», so Neuhaus gegenüber swissinfo.ch.

Junge Talente

Der Bundesbeschluss verlangt auch eine Geste zugunsten von Jugendlichen mit musikalischem Potenzial. «Wir wissen, dass man sehr früh beginnen muss, um eine Karriere in der Musik zu machen», sagt Josiane Aubert.

«Das bedeutet, dass man gleichzeitig studiert und eine spezifische Ausbildung macht, wie bei den Sportlern. Man kann nicht 20 Jahre warten, bis man Berufsmusiker wird, das ist zu spät. Die Kantone müssen einen Studiengang für junge Talente bereitstellen, mit angepasstem Stundenplan.»

Olivier Neuhaus ist auch der Meinung, dass man jene mehr fördern sollte, die eine Begabung für eine Kunstbranche zeigen. «In der Musik sind die Möglichkeiten, auch wenn es sie gibt, weniger zahlreich als im Sport.»

Die Schwierigkeiten für junge Talente liegen für den Dirigenten jedoch anderswo. «Das Problem ist mehr, eine Arbeitsstelle zu finden als die Förderung in der Jugendzeit. Viele Personen sind talentiert und gut ausgebildet, landen aber schliesslich in der Arbeitslosigkeit. In der Musik gibt es viele Berufene, aber wenig Auserkorene», so Neuhaus.

Subtiles System

Der Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung enthält keine konkreten Massnahmen, er begnügt sich mit der Festlegung einiger Grundsätze. Kann er überhaupt etwas in Bewegung setzen?

Josiane Aubert ist davon überzeugt: «Eine Annahme dieses Beschlusses durch das Volk wäre ein sehr starkes Zeichen, mit einem Verfassungsartikel, der die massgebliche Rolle der Musik für die Entwicklung der Bevölkerung betont.» Die Kantone müssten folglich ihre Praxis in diesem Bereich harmonisieren, sonst werde der Bund auf zusätzliche Weise handeln.

«Unser Subsidiaritätssystem ist sehr subtil», so Aubert weiter. «Sobald ein solcher Verfassungsartikel angenommen wird, bedeutet dies, dass die Kantone ihre Arbeit machen müssen. Und weil sie keine Lust haben, dass sich der Bund einmischt, werden sie es tun.»

Die Initiative «Jugend+Musik» wurde am 18. Dezember 2008 mit 154’193 Unterschriften eingereicht.

Die parlamentarische Debatte dauerte von April 2010 bis März 2012.

Am 16. März 2012 wurde der Gegenentwurf in der Schlussabstimmung im Nationalrat mit 156:31 Stimmen bei 8 Enthaltungen und im Ständerat mit 31:6 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen.

Am 16. März 2012 hat das Initiativkomitee beschlossen, die Initiative «Jugend+Musik» zugunsten des Gegenvorschlages «Jugendmusikförderung» zurückzuziehen.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat 2008 eine Erhebung über das Kulturverhalten in der Schweiz durchgeführt, darunter auch im Bereich Musik. Es war die erste umfassende Umfrage dieser Art.

Die Erhebung zeigt, dass in der Schweiz 20% der Bevölkerung ein Instrument spielen und 16% Gesang praktizieren.

Klavier und Gitarre sind die meist gespielten Instrumente: Sie werden von 34% bzw. 21% der musizierenden Personen gespielt, das heisst von 7% bzw. 4% der einheimischen Bevölkerung.

Fast zwei Drittel der Personen, die Gesang praktizieren, tun dies in einem Chor oder mit Musikern. Nur 36% singen allein.

Bei den Instrumenten sieht es anders aus: 63% der Leute, die ein solches spielen, tun dies allein. Bei jenen, die in Gruppen spielen, sind die am meisten geschätzten Möglichkeiten Blasorchester oder -kapellen (13%), Rockbands oder E-Musik-Gruppen (6%), klassische Orchester (4%), Weltmusik-Gruppen (3%) sowie Jazz-, Blues- und Country-Formationen(2%).

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud

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