Kommen auch Autofahrer an die Kasse?
Jetzt zeigt sich, ob die Appelle von Greta & Co. in der Schweizer Politik ankommen. Das Parlament diskutiert über eine Totalrevision des CO2-Gesetzes. Gefeilscht wird, wer, wo, wie viel Emissionsprozente einsparen soll. Ein Zankapfel ist die Abgabe auf Treibstoffen. Bleibt das Auto eine heilige Kuh oder wird es zur Milchkuh?
Der grösste CO2-Verursacher in der Schweiz, der motorisierte Verkehr, der jährlich 15 Millionen Tonnen CO2 ausstösst, kommt klimatechnisch nicht vom Fleck. Bürgerliche Politiker bekämpfen Lenkungsabgaben seit Jahren erfolgreich. Auf Brennstoffen wie Heizöl und Erdgas hingegen ist im neuen CO2-Gesetz sogar eine Erhöhung der bereits bestehenden CO2-Lenkungsabgabe geplant. Aber auf Treibstoffen wie Benzin und Diesel ist keine Lenkungsabgabe vorgesehen.
«Lenkungsabgabe auf Treibstoffen ist notwendig»
Unter liberalen Politikerinnen und Politikern wollte sich kurz vor den Eidgenössischen Wahlen bisher kaum jemand an einer unpopulären Treibstoff-Lenkungsabgabe die Finger verbrennen.
Eine Ausnahme ist Jürg Grossen, Nationalrat der Grünliberalen Partei (GLP). «Für mich ist sie nicht vom Tisch», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Wir werden auf jeden Fall eine CO2-Abgabe auch auf Treibstoffen beantragen.» Der GLP-Präsident rechnet mit der Unterstützung der Grünen, der Sozialdemokraten und Teilen der FDP, welche eine solche Abgabe eigentlich in ihrem Positionspapier erwähnt.
Keine Treibhausgase ab 2050
CO2-neutral will die Schweiz bis 2050 werden, wenn es nach dem Willen der Regierung geht. Das bedeutet, dass die Bevölkerung und die Unternehmen im Land bis zu diesem Zeitpunkt unter dem Strich keine Treibhausgase wie CO2, Methan oder Stickoxid mehr ausstossen werden. Bis jetzt ist das allerdings nicht verbindlich, sondern erst eine Absichtserklärung.
GLP-Präsident Grossen ist von einer CO2-Abgabe auch auf Treibstoffen überzeugt. «Sie ist notwendig und zwar jetzt, wenn man eine ehrliche und vernünftige Klimapolitik machen will», sagt er.
Dass diese Abgabe wirksam sei, zeige sich bei den Emissionen für Heizöl und Gas, auf denen in der Schweiz seit 2008 eine CO2-Abgabe von 96 Franken pro Tonne erhoben werde. Die durch diese Brennstoffe verursachten CO2-Emissionen sind seit 1990 um fast 30 Prozent gesunken.
Keine Angst vor Gelbwesten?
Laut dem GLP-Präsidenten sollte die Abgabe für Benzin im gleichen Rahmen liegen, also rund 25 Rappen pro Liter.
Aufstände wie jene der «Gelbwesten» in Frankreich fürchtet Grossen nicht. «25 Rappen machen weniger aus als die natürlichen Schwankungen. Das bedeutet ein paar hundert Franken Abgaben pro Jahr. Ausserdem gäbe es – wenn es nach Grossens Vorstellungen geht – wie bei den Brennstoffen einen Teil des Geldes zurück in Form von weiteren Beiträgen an die Krankenkassenprämien jedes Einzelnen.
Noch weiter gehen die Forderungen der Grünen. Fraktionschef Balthasar Glättli argumentierte in der SRF-Sendung «Rundschau», eine Erhöhung von 40 bis 50 Rappen pro Liter Benzin sei nötig.
Im vorliegenden Gesetzes-Entwurf ist derzeit lediglich eine Benzinpreis-Erhöhung von 10 bis 12 Rappen angedacht, welche die Treibstoff-Importeure und -Hersteller auf die Autofahrer im Inland überwälzen dürften.
Langfristig ist die Wirkung grösser
Je höher der Preis, umso geringer die Nachfrage, sagt ein ökonomisches Gesetz. «Beim Benzin reichen aber wenige Rappen wahrscheinlich nicht, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu erreichen», sagt ETH-Professor Massimo Filippini, der an den Auswirkungen von Lenkungsabgaben forscht. «Eine Erhöhung von 20 bis 30% wäre effektiver.»
Filippinis Studien zeigen, dass die kurzfristige Reduktion der Benzinnachfrage durch eine Einführung einer bescheidenen CO2-Abgabe nicht sehr gross sein würde. Langfristig gesehen werde die Reduktion jedoch höher sein, weil die Haushalte energieeffizientere Autos kaufen oder vermehrt auf den öffentlichen Verkehr umsteigen würden.
Was sagen die Leute an der Tankstelle?
Bei der nicht repräsentativen Umfrage von swissinfo.ch an einer Berner Tankstelle sagten einige der befragten Autofahrer, dass eine Benzinpreiserhöhung ihre Autonutzung ändern würde.
Wer, wie der befragte Herr im orangen Shirt, aufs Auto angewiesen ist, stört sich tendenziell eher an Benzinpreiserhöhungen als Städter, zeigen Filippinis Studien. «Die Einführung einer CO2-Abgabe würde die ländlichen und die Gebirgsregionen stärker treffen, als die urbanen, wo es mehr Alternativen zum Auto gibt, zum Beispiel ein grösseres Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln.»
Der ETH-Forscher schlägt deshalb eine Rückerstattung vor: «Die CO2-Abgabe ist eine Lenkungsabgabe, das impliziert, dass die Abgaben an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt werden. Um die regionalen Auswirkungen zu verringern, sollten die ländlichen und Gebirgsregionen anteilsmässig mehr Geld bekommen.»
GLP-Nationalrat Grossen bezweifelt, ob die Randregionen durch eine CO2-Abgabe auf Treibstoffen benachteiligt würden.
«Ich lebe selber in einer ländlichen Region. Hier gibt es viele Leute, die zwar aufs Auto angewiesen sind, aber nicht zu den Vielfahrern gehören, sondern kurze Strecken zurücklegen.» Ziel der Lenkungsabgabe sei schliesslich, dass Vielfahrer mehr bezahlen müssten und die anderen dank der Rückerstattung insgesamt entlastet würden, sagt Grossen.
CO2-Gesetz in der kleinen Kammer
Verpflichtet hat sich die Schweiz im Rahmen des Pariser Klimaabkommens, ihre Treibhausgase bis 2030 gegenüber 1990 um die Hälfte zu reduzieren. Dafür muss das CO2-Gesetz stark überarbeitet werden. Ende 2018 lehnte die grosse Parlamentskammer das Gesetz ab. Weil es in der Debatte stark abgeschwächt wurde, verweigerte Links-Grün die Unterstützung mit Stimmenthaltungen, wodurch die Nein-Stimmen der SVP die Ja-Stimmen der bürgerlichen Mitte-Parteien überwogen.
Ab heute debattiert die kleine Kammer ein neues CO2-Gesetz. Das sind die wichtigsten Massnahmen:
Heizöl und Erdgas
CO2-Abgaben auf Brennstoffen (Heizöl und Erdgas). Diese sollen von heute 120 auf 210 Franken pro Tonne CO2 erhöht werden.
Flugverkehr
Abgaben auf Flugtickets von 30 bis 120 Franken.
Strassenverkehr
Eine Ausweitung der CO2-Abgabe auf Treibstoffe ist nicht vorgesehen.
Die Emissionsvorschriften für Neuwagen im Gleichklang mit der EU von heute 130 Gramm CO2 pro 100 Km auf 95 Gramm reduziert werden.
Stark umstritten ist jedoch der geplante Ausbau der Kompensationspflicht der Treibstoffimporteure, mit der indirekt CO2-Kosten auf die Benzinpreise umgelegt werden. Der Bundesrat will, dass die Importeure 90 Prozent der Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten oder die Zugabe von erneuerbaren Treibstoffen ausgleichen müssen.
10 Rappen pro Liter bis 2024, 12 Rappen ab 2025: Um so viel darf der Benzinpreis maximal erhöht werden. Mit dem Geld sollen die Treibstoff-Importeure mehrheitlich im Ausland Klima-Projekte finanzieren.
Klimafonds
Im neuen Fonds landen höchstens ein Drittel der CO2-Abgabe und 49% der Erträge aus der Flugticketabgabe. Er soll mit maximal 450 Millionen Franken pro Jahr geäufnet werden. Der Rest wird an Bevölkerung und Wirtschaft zurückverteilt. Aus dem Fonds werden etwa Massnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen von Gebäuden finanziert.
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