Könnte ein von der Schweiz ausgerichteter Gipfel der Ukraine Frieden bringen?
Die Schweiz hat angekündigt, dass sie eine internationale Konferenz zur friedlichen Beilegung des Krieges in der Ukraine ausrichten will. Eine Einordnung.
Das Land beruft sich dabei auf seinen Ruf als neutraler globaler Friedensvermittler – eine Position, die in letzter Zeit durch die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten in Frage gestellt worden ist.
Aber ist eine solche Konferenz angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Westen und anderen Ländern – vor allem China – über die Ukraine überhaupt durchführbar? Und wenn der Gipfel zustande kommt, was könnte er erreichen?
Einzelheiten der vorgeschlagenen Konferenz – wie Agenda, Teilnehmende oder Zeitplan – sind noch nicht bekannt. SWI swissinfo.ch wirft einen Blick auf einige der Möglichkeiten.
Was wissen wir bis jetzt über die Konferenz?
Nicht viel, ausser dass Genf offenbar als Austragungsort ausgewählt wurde. Dies führt zu Spekulationen in den Medien, dass die Schweiz die Dinge nach und nach ausarbeitet.
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis hofft auf die Teilnahme von Staatschefs und Staatschefinnen. «Das wäre mehr, als eine weitere Konferenz auf Ministerebene.»
Der Konferenzplan wurde auf Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos initiiert. Er wurde als gemeinsamer Plan der Schweiz und der Ukraine vorgestellt.
Im Jahr 2022 legte Selenski einen 10–Punkte–Friedensplan vor, der den Abzug aller russischer Truppen, die Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine und eine Untersuchung von Kriegsverbrechen vorsieht. Russland hat diese Vorschläge stets abgelehnt.
Vor dem WEF fand in Davos das vierte Treffen der Nationalen Sicherheitsberater zur Ukraine statt, an dem Vertreter:innen von 82 Ländern und internationalen Organisationen teilnahmen – nicht jedoch Russland und China. «Es geht nur darum, um des Redens willen zu reden», sagte ein Kreml–Sprecher. «Ohne unsere Teilnahme ist jede Diskussion aussichtslos.»
Würde Russland am vorgeschlagenen Gipfel teilnehmen?
Es scheint äusserst zweifelhaft, dass Russland überhaupt eingeladen wird.
Die grösste Herausforderung für die Schweiz besteht darin, die Teilnahme mächtiger Länder zu sichern, die Russlands Einmarsch in der Ukraine noch nicht vollständig verurteilt haben.
Ganz oben auf der Liste steht China, gefolgt von Ländern wie Indien, Südafrika, Saudi-Arabien und Brasilien – dem sogenannten «globalen Süden».
«Die Schweiz hat keine wirklichen Hebel, um insbesondere China und weitere entscheidende Staaten zu einer Teilnahme zu bewegen», schreibt die Neue Zürcher Zeitung. «Ein Problem könnte auch sein, dass sich die Schweiz mit der aktuellen Initiative stark an die ukrainische Friedensformel gebunden hat.»
Mehr
Die Schweiz als Vermittlerin – eine durchzogene Bilanz
Was könnte der Gipfel erreichen?
Das ist eine offene Frage, denn bisher wurden weder von der Schweiz noch von der Ukraine detaillierte Ziele genannt.
«Das Schweizer Aussenministerium geht davon aus, dass der geplante Gipfel erst der Beginn eines längeren Prozesses ist», sagte Philipp Burkhardt, Politikredaktor beim öffentlich-rechtlichen Radio SRF.
Die Genfer Friedenskonferenz würde wahrscheinlich nicht ausreichen, um den Frieden herbeizuführen, sondern eher um einen engeren internationalen Konsens über die Beendigung des Krieges zu erreichen.
Warum wurde die Konferenz jetzt ins Gespräch gebracht?
Der Krieg in der Ukraine wütet seit bald zwei Jahren. Ein entscheidender militärischer Sieg ist für beide Seiten nicht in Sicht.
Die Ukraine befürchtet, dass die westlichen Verbündeten ihre Entschlossenheit verlieren, ihr bei dem kostspieligen Unterfangen zu helfen, Russland zu schlagen. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten im Laufe dieses Jahres könnten einen Regimewechsel herbeiführen, der der Ukraine weniger positiv zugeneigt ist.
«Es ist eine clevere Strategie. Wenn es auf dem Schlachtfeld nicht gut läuft, will die Ukraine wenigstens auf diplomatischer Ebene einen Durchbruch feiern», heisst es in einem Leitartikel des Nachrichtenportals Watson. «Die Schweiz ist dabei ‹Mittel zum Zweck›. Wolodimir Selenski ging es bei seinem Besuch in Bern nicht so sehr um Waffen und Geld, sondern um das Prestige der Schweiz als neutrale Vermittlerin.»
Kann die Schweiz die Konferenz zustande bringen?
Diese Aufgabe ist ein grosser Test für das diplomatische Gewicht der Schweiz.
Als Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und als Depositarstaat der Genfer Konventionen hat die Schweiz seit Generationen den Ruf, erfolgreich bei gewalttätigen globalen Konflikten zu vermitteln.
Das Land kämpft jedoch darum, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, und wurde von Russland für seine Parteinahme für die Ukraine verurteilt.
Die Schweizer Medien betrachten das Angebot der Regierung, die Konferenz zu organisieren, als einen noblen, aber wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten Versuch, das internationale Ansehen des Landes zu wahren.
«Die Teilnahme Russlands ist unrealistisch, jene Chinas höchst ungewiss. Gegen die Konferenz spricht auch, dass der Krieg noch in vollem Gang ist. Solange beide Seiten Hoffnungen auf Erfolge mit kriegerischen Mitteln hegen, stehen Verhandlungen nicht im Vordergrund», schreibt der Tages-Anzeiger.
Für die Schweiz hätte ein Scheitern möglicherweise eine heilsame Wirkung. «Sie müsste endgültig einsehen, dass Neutralität und Gute Dienste im heutigen geopolitischen Umfeld keine Bedeutung mehr haben. Was zählt, sind Macht und Einfluss», meint Watson.
Cassis ist jedoch überzeugt, dass es einen neuen Ansatz braucht, um die Pattsituation zu durchbrechen. «Es wäre illusorisch, jetzt zu denken: Warten wir auf den UNO–Sicherheitsrat, um das Problem zu lösen», sagte er.
Mehr
Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch