«Ausgezeichnet» oder «bigott»? Reaktionen auf St. Galler Verhüllungsverbot
Es gibt Themen in der Schweiz, die bei der Leserschaft von swissinfo.ch mit Garantie zu hitzigen Reaktionen führen. Am letzten Sonntag haben im Kanton St. Gallen zwei Drittel der Stimmbürger für ein Verhüllungsverbot votiert – mit muslimischen Frauen im Hinterkopf. Unser Artikel ging viral, und die Reaktionen folgten auf dem Fuss. Hier eine repräsentative Auswahl aus den Kommentaren.
Am Abstimmungssonntag, 23. September, wurde St. Gallen nach dem Südschweizer Tessin der zweite Kanton in der Schweiz, der ein Verhüllungsverbot einführt. Das Resultat war zwar erwartet worden, trotzdem richtete es das Scheinwerferlicht von den drei nationalen Vorlagen weg auf den Nordwestschweizer Kanton.
Besonders auf der englischen und der arabischen Website von swissinfo.ch wie auch auf Social Media hagelte es Kommentare von Leserinnen und Lesern. Ein Drittel der Kommentare auf der englischen Website mussten wir wegen Verletzung der Nutzungsbedingungen ablehnen, weil sie zumeist beleidigend oder diskriminierend waren.
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Verhüllungsverbot nach dem Tessin nun auch in St. Gallen
Von den akzeptierten Kommentaren waren rund 50% einverstanden mit dem Verbot, und 10% dagegen. Rund 40% hatten eine neutrale Haltung gegenüber dem Islam und wollten sich andere Dinge von der Seele schreiben.
«Nichts mit Islam zu tun»
Beginnen wir mit den «Neutralen». Awake guy, der sich Sorgen um die Überwachung macht, schrieb: «Es hat nichts mit dem Islam zu tun – das ist nur eine Falle, um dies in westlichen Ländern zu fördern. Beim Verbot geht es darum, dass es illegal wird, sich mit bedecktem Gesicht in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Wie sonst können Kameras auf der Strasse, in Regierungsgebäuden wie der Post, an Verkehrsknotenpunkten wie U-Bahnen, Bahnhöfen und Flughäfen Gesichtserkennungs- und Ortungssoftware verwenden, wenn man eine Maske tragen darf?»
Rafiq Tschannen ist – wie viele andere Leserinnen und Leser auch – mit dem St. Galler Polizeidirektor einig, dass Burkas dort schlicht kein Thema seien: «Das Ganze ist blödsinnig. Wie viele St. Gallerinnen tragen eine Burka? Kennen Sie eine? Die einzigen Frauen in Burkas habe ich in Genf und Zürich gesehen, und das waren Touristinnen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, alle mit Gold- und Platin-Kreditkarten.»
Reto Derungs war auf der deutschsprachigen Facebook-Seite gleicher Meinung: «Da haben die St. Galler wieder einmal ein Problem gelöst, das gar keines ist. Ich habe in über 50 Jahren in der Schweiz noch nie eine verhüllte Frau auf der Strasse gesehen. Wir hätten ganz sicher wirkliche Probleme zu lösen, wie beispielsweise die über 50-Jährigen, die keine Arbeit mehr finden, die Jugendarbeitslosigkeit, grosse internationale Unternehmen, die ihre Arbeitsstellen aus der Schweiz abziehen, etc.»
Brigitte Reinhard fragte ebenfalls auf Deutsch: «Gilt dieses Verbot auch für das Tragen von Kapuzenpullis? Oder für die vermummten Fussballkrawallmacher? Und was macht man im Winter mit einem Schal vor dem Mund?»
«Entscheid respektieren»
Mehrere arabische Leser zitierten politische Rechte im Allgemeinen und das System der direkten Demokratie in der Schweiz im Besonderen. «Die Schweizerinnen und Schweizer haben das Recht, über alles abzustimmen, was sie betrifft, und alle sollten dies respektieren», schrieb Sutter Karamela.
«Arabische Länder verbieten Europäern, Alkohol zu trinken, und sie haben das Recht dazu», schrieb Amin Altayeb. «Nach der gleichen Logik haben die Schweizerinnen und Schweizer auch das Recht, das Tragen eines Niqabs zu verbieten.»
Doch nicht alle sind zufrieden mit dem Schweizer System: Juste Mustapha, zum Beispiel, schrieb: «Ich dachte, die Schweizerinnen und Schweizer seien Pioniere bei den Frauenrechten und deren Umsetzung. Ist das Tragen einer Burka kein Frauenrecht? Bitte versuchen Sie nicht, uns via die Demokratie zu täuschen.»
«Wenn Du in Rom bist…»
Demgegenüber aber war die Verteidigung der Frauenrechte eines der am meisten gelesenen Argumente für ein Verbot. «Ausgezeichnete Nachricht. Die Unterdrückung und Knechtung von Frauen im Islam ist in einer zivilisierten Gesellschaft absolut inakzeptabel», schrieb Yoseliani.
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Andere Argumente waren Varianten des Spruchs «Wenn Du in Rom bist, verhalte Dich wie die Römer,» und der Bedeutung der Integration.
«Es hat nichts damit zu tun, wer so etwas trägt», schrieb Stein. «Vor Jahren konnte man irgendetwas tragen, und keinen kümmerte es. Die Burka ist ein Symbol dafür, was eine Mehrheit (gottlob) hier nicht will. Für jene, die sich nicht in eine gesunde westliche Gesellschaft integrieren wollen, hat es hier keinen Platz. So einfach ist das.»
Barbara Spoerri schrieb: «Gehen Sie in ihre Länder und sehen Sie dort, was Frauen, die dort zu Besuch sind, alles beachten müssen. Wir Schweizerinnen und Schweizer haben immer das Gefühl, wir müssten alle aufnehmen und jedermanns Sprache lernen.»
«Das hat nichts mit Hass zu tun», schrieb Patty Taylor. «Sie wollen sich nicht den Gesetzen anderer Länder anpassen.»
Die Sicherheit war während der Abstimmungskampagne ebenfalls ein Faktor. «Diese Frauen (und vielleicht auch Männer), die eine Burka tragen, sind angsteinflössend», schrieb PropD. «Und nicht nur das. Man weiss nie, ob jemand, der darunter ist, bereit für eine kriminelle Tat wie einen Terroranschlag ist. Und man hat keine Chance, sie zu identifizieren.»
VeraGottlieb schrieb: «Mir ist egal, was und wo sie tragen… Das Gesicht aber sollte immer vollständig erkennbar sein.»
«Vielfalt annehmen!»
Schliesslich äusserte sich eine Minderheit explizit gegen das St. Galler Verhüllungsverbot.
«Ich bin überhaupt nicht für dieses Verbot», schrieb Luis Angeles. «Das ist, wie wenn man alten Frauen, die nach alter Schule religiös sind, verbieten würde, diese langen Kirchenröcke zu tragen. […] Lasst und diesen Hass beenden. Seid positiv, nicht negativ.»
Dave76 schliesslich schrieb: «Ich kann es nicht glauben, wenn ich all die engstirnigen, bigotten Kommentare hier lese. Nehmt die Vielfalt an und feiert die Kulturunterschiede. Ihr solltet Euch alle schämen.»
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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