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Wenn die Schweiz nach Frieden sucht, bleibt Religion aussen vor

Buddhistische Mönche gehen auf einer Strasse, daneben eine Muslimin auf dem Bürgersteig.
Lernen, im Alltag nebeneinander und miteinander zu leben, ohne die eigene Weltanschauung aufgeben zu müssen: buddhistische Mönche begegnen einer Muslimin in einem Dorf in der Provinz Narathiwat im Süden Thailands. Keystone

In immer mehr bewaffneten Konflikten spielt Religion eine Rolle. Die Schweiz hat dies früh erkannt und einen Teil ihrer Friedenspolitik der Aufgabe verschrieben, Akteure mit verschiedenen Weltanschauungen an einen Tisch zu bringen. Dabei werden Lösungen gesucht, ohne viel über Religion zu reden. Typisch schweizerisch.

Thailand ist der breiten Öffentlichkeit vor allem als Ferienparadies bekannt. Doch 2004 eskaliert im Süden des Landes ein seit langem schwelender Konflikt, der bis heute über 6000 Tote und tausende Verletzte forderte. Muslimische Separatisten kämpfen für mehr Autonomie. Die Zentralregierung in Bangkok hat rund 65’000 Militärs, Paramilitärs und Polizisten in der Region stationiert.

Religion wird trennender Faktor

80% der knapp zwei Millionen Einwohner in dem Konfliktgebiet sind Muslime malaiischer Herkunft und Muttersprache. Sie bilden eine ethnische und religiöse kleine Minderheit in dem Staat, der sich als buddhistische Thai-Nation definiert. Auch wenn die Hauptursache des Konflikts in der Forderung nach Unabhängigkeit liegt, wird Religion immer mehr zu einem trennenden Faktor.

Seit 2013 führen die Konfliktparteien Friedensgespräche, Malaysia fungiert als offizieller Vermittler. Die buddhistische Minderheit im Süden fühlte sich jedoch durch die Art und Weise, wie der Konflikt bearbeitet wurde, alleine gelassen. In ihren Augen fehlte es der Regierung und den buddhistischen Gemeinschaften im Zentrum des Landes an Engagement und Bewusstsein für den Konflikt.

Wenig förderlich für den Friedensprozess radikalisierten sich in der Folge gewisse buddhistische Gruppierungen. Hier setzt der intrabuddhistische DialogExterner Link an, den das Schweizer Aussendepartement (EDA) zusammen mit der thailändischen Universität Mahidol und dem Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich (CSS) lanciert hat.

Schweiz setzt auf lokale Friedenskräfte

«Wir möchten, dass die buddhistischen Gemeinschaften des Südens eine positive Rolle im Friedensprozess spielen», erklärt EDA-Programmverantwortliche Sonya Elmer Dettelbacher. Um das zu erreichen, arbeite man mit lokal verankerten Personen zusammen, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen und die Zugang zu den extremistisch eingestellten Buddhisten haben. «Die Schweiz ist nicht Vermittlerin, sondern unterstützt lokale Friedenskräfte», so Elmer.

Dabei geht es nie darum, einer Gemeinschaft ihre Weltanschauung, also ihre Religion, abzusprechen: «Man kommt nicht weiter, wenn man über religiöse Dogmen streitet», sagt Elmer. Vielmehr sucht man mit Blick auf eine friedliche Zukunft nach Wegen für ein friedliches Nebeneinander- oder Zusammenleben im Alltag. «Nur so kann ein allfälliges Friedensabkommen überhaupt erfolgreich umgesetzt werden.»

Eine Gruppe von Männern sitzt in einem Halbkreis auf einer Wiese.
Muslimische und buddhistische Würdenträger aus den drei Südprovinzen Thailands im Dialog. Ziel ist es, Wege zu finden, gemeinsam das friedliche Zusammenleben zu fördern. ZVG

Pragmatische Ansätze aufgrund eigener Geschichte

Das Projekt in Thailand basiert auf Erkenntnissen, welche die Schweiz unter anderem auch aus ihren eigenen Religionskriegen gezogen hat. «Damals mussten Protestanten und Katholiken in der Schweiz eine politische Kultur finden, die möglichst integrativ wirkt und die hilft, gegenseitige Stigmatisierungen abzubauen», sagt Angela Ullmann, die am CSS für das Programm Kultur und Religion in Mediation (CARIMExterner Link) forscht. «Es galt, praktische und an die lokalen Gegebenheiten angepasste Alltagslösungen zu finden, jenseits von Ideologie und Wertedebatte.»

Auf lokaler Ebene beginnen und den Fokus nicht auf Religionsfragen sondern auf praktische Aspekte legen: «Diese beiden Leitsätze, die damals in der Schweiz zwischen Protestanten und Katholiken zu einer friedlichen Lösung führten, hat die Schweizer Aussenpolitik in ihr Engagement für ein friedliches Zusammenleben aufgenommen», so Ullmann.

Ausserdem widerspiegle die Art und Weise, wie die Schweiz in ihrer Friedensarbeit das Thema Religion in Konflikten angeht, das «typisch schweizerische Verständnis von Religion als Weltanschauung», sagt Ullmann. Religion ist also ein Bezugssystem, das seinen Mitgliedern hilft, die Welt zu verstehen und sich in dieser Welt zu bewegen. Eine Weltanschauung ist somit immer kollektiver Natur und kann auch säkular oder gar anti-religiös sein. «Dieser religionsneutrale Ansatz verzichtet bewusst auf eine Wertung und respektiert alle Weltanschauungen als real für die betreffenden Personen.»

«Schweiz darf sich nicht auf Lorbeeren ausruhen»

Das EDA verfügt seit anfangs der 2000er-Jahre über eine Abteilung für Menschliche Sicherheit (AMSExterner Link), die auch die Friedenspolitik beinhaltet; der Arbeitsbereich Religion, Politik, Konflikte (RPK) wurde 2004 ins Leben gerufen. Zu dieser Zeit banden Regierungen und NGOs kaum religiös motivierte politische Akteure in Friedensbemühungen ein: Im Zuge der Säkularisierung der westlichen Welt war Religion schlicht kein Thema mehr.

Weitere Projekte

Nebst dem inter-buddhistischen Dialog im Süden Thailands unterstützt die Schweiz weitere friedenspolitische Projekte, etwa in der Sahel-Zone, in Nigeria, Nordafrika und im Nahen Osten. Verstärkung erhält der EDA-Arbeitsbereich Religion Politik, KonflikteExterner Link vom CSSExterner Link in Zürich und von der Cordoba-StiftungExterner Link in Genf. Vor Ort arbeitet das EDA jeweils eng mit universitären Institutionen, Stiftungen, religiösen Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft zusammen.

«Die Schweiz erkannte vor knapp 20 Jahren als eines der ersten Länder diese Lücke und band diese häufig als schwierig geltenden religiösen Akteure in Pilotprojekte ihrer Aussenpolitik ein», sagt Ullmann, die im Bulletin 2018 zur schweizerischen SicherheitspolitikExterner Link des CSS ein Kapitel zum Thema publiziert hat. Dabei habe sich gezeigt, dass diese Einbindung in Konflikten, in denen diese Akteure eine wichtige Rolle spielen, ein «zentraler Baustein der Friedensförderung» sei. «Die Schweiz hat hier viel Pionierarbeit geleistet, doch darf sie sich nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen.»

Das EDA muss sich in seiner aussenpolitischen StrategieExterner Link alle vier Jahre neu zu diesem Engagement bekennen. Konflikte, in denen Religion eine Rolle spielt, werden in den kommenden Jahren wohl kaum von der Bildfläche verschwinden.

Gleichzeitig wird Westeuropa säkularer und Religion gilt heute als Privatsache. «Dadurch nimmt das Verständnis für Religionen und damit für deren Akzeptanz ab», beobachtet Ullmann und gibt zu bedenken: «Es ist wichtig, dass wir nicht plötzlich religiöse Analphabeten werden, denn mit Fragen des Zusammenlebens unterschiedlicher Weltanschauungen werden wir nicht nur in der Aussenpolitik weiter konfrontiert sein, sondern auch in der Schweiz.»

Politische Stabilität in Thailand als Herausforderung

Zurück nach Thailand: Hier ist es der Schweiz in Zusammenarbeit mit ihren Partnern in den letzten drei Jahren gelungen, buddhistische Einflussträger mit unterschiedlichem politischem Hintergrund, sowohl aus dem Konfliktgebiet als auch aus dem Zentrum des Landes für das Dialog-Projekt zu gewinnen. Moderate Stimmen, die ein Engagement mit den Muslimen eher befürworten, sind ebenso involviert wie Hardliner.

Kinder sitzen an einem Strassenrand im Gras und schauen zu, wie Panzerfahrzeuge vorbeifahren.
Was bringt die Zukunft? Das politischen Klima in Thailand ist instabil. Das macht die Friedensarbeit im Süden nicht einfacher. Keystone

Es entstand die intra-buddhistische Dialogplattform Weaving Peace Together (WPT), die im vergangenen August ein Positions-PapierExterner Link zur Situation der Buddhisten im Süden des Landes veröffentlichte. Mönche, Laien, Meinungsbildner, Akademiker, Mitglieder der Verwaltung und zivilgesellschaftliche Aktivisten tauschen sich hier über ihre unterschiedlichen Perspektiven auf den Konflikt und ihre Ängste und Befürchtungen aus.

Die Dialogplattform werde von einer breiten buddhistischen Gemeinschaft als repräsentativ anerkannt, sagt Elmer vom EDA, die das Projekt zurzeit vor Ort besucht. Auch seien bereits einzelne muslimische Vertreter zu einem Austausch eingeladen worden.

Angesichts des unberechenbaren politischen Klimas in Thailand gilt es allerdings abzuwarten, wie sich der Dialog weiterentwickeln wird.

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