Erster Schritt für Pilotversuche mit Cannabis
Das Verbot wissenschaftlicher Forschung über den Freizeitkonsum von Cannabis könnte bald aufgehoben werden. Eine Mehrheit des Nationalrats will über eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes diskutieren.
Die Forschung zur Regulierung des Cannabismarkts in der Schweiz soll unter strengen Auflagen erlaubt werden. Der Nationalrat hat heute mit 100 zu 85 bei zwei Enthaltungen entschieden, auf eine Änderung des BetäubungsmittelgesetzesExterner Link einzutreten.
Die Gesetzesänderung soll die Durchführung von Pilotversuchen für den Freizeitkonsum von Cannabis ermöglichen. Mit dem Ziel, zu erfahren, wie sich das Suchtverhalten und der Konsum verändern, wenn Cannabis kontrolliert abgegeben wird. Damit soll der Schwarzmarkt reduziert, der Strassenhandel eingedämmt, die Prävention gestärkt und die Betreuung von abhängigen Menschen verbessert werden.
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Es geht dabei um maximal auf fünf Jahre befristete und streng reglementierte Studien. Teilnehmende müssen über 18 Jahre alt sein und beweisen können, dass sie bereits Cannabis konsumieren. Zudem muss die Forschung auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt sein, und es sollen maximal 5000 Personen zugelassen werden.
Die Details des Geschäfts werden nun in den dafür zuständigen Parlamentskommissionen der beiden Räte ausgearbeitet und anschliessend dem Plenum zur Diskussion vorgelegt.
Laut Jean-Félix Savary, Generalsekretär der Westschweizer Gruppierung für SuchtstudienExterner Link (GREA), haben die neugewählten Abgeordneten damit bereits ein erstes Signal gesetzt.
swissinfo.ch: Was sagen Sie zur Abstimmung im Nationalrat?
Jean-Félix Savary: Es ist schade, dass sich die Debatte wieder um den Jugendschutz drehte. Denn die Pilotversuche sind ganz klar auf Konsumierende über 18 Jahre ausgelegt, sowie auf die Legalisierung von Cannabis, solange es sich um wissenschaftliche Forschung handelt. Die Frage stellt sich dabei, ob die Wissenschaft legal ist.
Der Wunsch einer Mehrheit des Nationalrats, auf die Pilotversuche einzutreten, ist ein sehr klares Signal, dass man hier vorwärtskommen will. Die Schweiz beginnt, für die Veränderung bereit zu sein, auch wenn die Experten seit 30 Jahren sagen, dass die Politik geändert werden müsse und der Bundesrat seit 20 Jahren für eine Regulierung des Cannabismarkts einsteht.
«Die Schweiz beginnt, für die Veränderung bereit zu sein.»
Mit diesem Wunsch, die Forschung zu blockieren, ging die Tendenz in den letzten 15 Jahren aber eher in Richtung einer Schliessung. Gegenwärtig wird eine neue Bewegung eingeleitet, welche die Debatte über einen neuen Ansatz eröffnen könnte.
swissinfo.ch: Was könnten diese Pilotversuche bringen?
J.-F.S.: Es stimmt, das Thema ist bereits hinlänglich bekannt. Es gibt eine Vielzahl von Studien, und in mehreren Ländern werden zahlreiche Modelle ausprobiert. Man sieht gut, was funktioniert und was man nicht machen sollte.
In der Schweiz werden Pilotversuche verlangt, um festzuhalten, wie das in jeder Stadt funktioniert und sich dann an die lokalen Gegebenheiten anpassen zu können. Der Föderalismus könnte uns erlauben, dass jeder Kanton sein eigenes Modell hat, das an seine eigene Sensibilität angepasst ist.
«Der Föderalismus könnte uns erlauben, dass jeder Kanton sein eigenes Modell hat, das an seine eigene Sensibilität angepasst ist.»
Auf jeden Fall gibt es genügend Beweise, die zeigen, dass eine Reglementierung des Cannabismarkts besser ist als ein Verbot. Jetzt muss die Debatte über das Modell geführt werden: Verkauf in Apotheken, über Cannabiskonsumenten-Verbände, usw.
swissinfo.ch:Die Gegner befürchten, die Pilotprojekte könnten ein erster Schritt in Richtung einer Liberalisierung sein. Wie denken Sie darüber?
J.-F.S.: Es geht hier um wissenschaftliche Studien. Das bedeutet somit, dass diese Personen Angst davor haben, dass die Ergebnisse die Überlegenheit der Regulierung gegenüber einem Verbot beweisen.
Und falls das der Fall ist, warum nicht in diese Richtung gehen? Natürlich gehen wir davon aus, dass die Ergebnisse dieser Tests besser sein werden als die aktuelle Situation. Aber wir wollen es wissenschaftlich überprüfen.
swissinfo.ch: Was wären die Vorteile eines regulierten Cannabismarkts?
J.-F.S.: Auf internationaler Ebene ist die Debatte aus wissenschaftlicher Sicht abgeschlossen: Es gibt Tausende von überzeugenden Studien, welche die Überlegenheit der Regulierung gegenüber einem Verbot belegen. Wir müssen jetzt aber überlegen und entscheiden, was wir in der Schweiz wollen.
«Wenn das Produkt legal ist, werden die Menschen weniger Angst davor haben, darüber zu reden und um Hilfe zu bitten.»
Wenn wir das Beispiel von Quebec betrachten, können wir feststellen, dass man Cannabis nirgends sieht, es hat nicht einen einzigen Dealer auf den Strassen, und es wurden Mittel zur Prävention und Unterstützung der Konsumierenden bereitgestellt.
Man stellte einen leichten Rückgang des Konsums bei Jugendlichen fest, weil der Zugang für Minderjährige eingeschränkt wurde, und der Schwarzmarkt ist stark zurückgegangen. Im Gegenzug bemerkte man eine leichte Zunahme des Konsums bei älteren Erwachsenen, die Cannabis vor allem als Medikament benutzen.
In der Schweiz würde eine Regulierung erlauben. Die Qualität und Dosierung der Produkte zu kontrollieren. Die Konsumentinnen und Konsumenten könnten wählen, was sie konsumieren wollen, während das heute auf der Strasse eine reine Lotterie ist.
Und vor allem, was Prävention und frühzeitige Intervention betrifft: Wenn das Produkt legal ist, werden die Menschen weniger Angst davor haben, darüber zu reden und um Hilfe zu bitten. Darüber hinaus könnte eine Cannabissteuer zur Finanzierung der Prävention eingeführt werden.
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(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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