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Krieg auch in Friedenszeiten

Kambodscha gehört zu den am meisten von Personenminen heimgesuchten Ländern der Welt. Keystone

Trotz Fortschritten bleiben die Personenminen in über 70 Ländern der Welt eine Geissel. Die Aktion gegen Minen wird koordiniert vom Genfer International Centre for Humanitarian Demining. Dieses möchte alle Sprengkörper vernichten.

«Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Atombomben und Personenminen. Atombomben sind die Waffen der Reichen, Personenminen jene der Armen. Es gibt aber auch eine Gemeinsamkeit: Bei beiden Waffen überschattet der Krieg auch Friedenszeiten.»

Mit diesen Worten wurde im Jahr 1997 der Friedensnobelpreis an die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL) vergeben. Doch 15 Jahre später sind diese Sprengkörper weiterhin eine Quelle von grosser köperlicher Qual und gesellschaftlichem Ausschluss.

«Alle zwei Stunden gibt es ein neues Opfer», sagt Jacqueline Raemy Bessa, Sprecherin der Schweizer Sektion von Handicap International, die sich für die Entminung einsetzt. Schätzungsweise sollen seit 1975 Personenminen mehr als eine Million Menschen getötet oder entstellt haben – meistens Zivilisten.

Ausser dass sie die Sicherheit für Personen gefährden, schliessen diese Minen auch grosse Flächen von jeglicher Nutzung aus. Zum Beispiel für die Landwirtschaft. Womit sie auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung behindern. Schliesslich hindern sie Vertriebene an der Rückkehr und am Wiederaufbau.

Mehr als ein Drittel der Länder auf dieser Welt sind verseucht von Personenminen, Streubomben und ähnlichen Sprengkörpern, sagt Pascal Rapillard vom Genfer Internationale Centre for Humanitarian Demining(GICHD).

«In Laos, einem der am meisten betroffenen Länder, wurden 2010 nur 0,2% der kontaminierten Flächen gesäubert. Es wird ein Jahrhundert dauern, um alles wieder zu normalisieren.» Immerhin seien in den vergangenen Jahren enorme Schritte nach vorn gemacht worden, und die Personenminen stellten kein endloses Problem mehr dar.

Streubomben in Syrien

Das GICHD, 1998 gegründet, vereint Dutzende von unabhängigen Experten im Kampf gegen die Bodenminen, für die Eliminierung sowohl der Minen als auch anderer Explosivkörper und gefährlicher Munition.  

Das Centre in Genf dient dabei als Anlaufstelle für Information und Beratung und als Partner der Vereinten Nationen in der Realisierung von nationalen Minenräumungs-Programmen.

«Wir arbeiten an internationalen Standards und unterstützen die Ländern bei der Definition einer Personenminen-Strategie», sagt Rapillard. Dieses Zentrum sei auf Initiative der Schweiz hin entstanden, während der Verhandlungen über die Vereinbarung von Ottawa. Diese verbietet Gebrauch, Lagerung, Herstellung und Transport von Personenminen.

Die rund 160 Unterzeichner-Staaten verpflichten sich ausserdem, ihre bestehenden Lager zu zerstören und verminte Flächen zu säubern. Die Schweiz, eines der ersten Unterzeichner-Länder, hat ihre Minen 1999 zerstört, als die Konvention in Kraft trat.

Es liege am GICHD, diese Länder im Erfüllen ihrer Pflichten zu unterstützen, sagt Rapillard. «Wir gehen auch auf spezifische Anfragen ein. Kürzlich wurden wir vom NGO Human Rights Watch über unsere Meinung angefragt. Es ging um einen in Syrien gedrehten Videofilm, der die Entdeckung einer vermutlichen Steubombe zeigt.» Erst nachdem das GICHD den Sprengkörper als Streubombe identifiziert habe, sei die Nachricht über die Medien verbreitet worden.  

Weniger Opfer

Für die Organisationen, die vor Ort tätig sind, also NGO, Private, Militärs und andere, sind die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Entminung enorm.

Weiträumige Regionen werden nur schwer erreicht, und oft genug gibt es keinerlei Kartenmaterial über die Lage der Minenfelder, wie in Afghanistan.

Ausserdem seien längst nicht alle Regierungen begeistert davon, ihre verminten Flächen säubern zu lassen, so Handicap International.

Trotz allem bezeichnet der GICHD-Vizedirektor die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte als ausserordentlich. «Die auf diplomatischer und politischer Ebene getroffenen Entscheide sind konkret an Ort umgesetzt worden. Eine recht ungewöhnliche Entwicklung, zumindest im Umfeld der Abrüstung», so Rapillard.

Dank der Ottawa-Vereinbarung sind Tausende von Quadratkilometern Fläche geräumt und 45 Mio. Minen zerstört worden. Auch wurde der Handel stark unterbunden. «Innert 20 Jahren fiel die geschätzte Anzahl von Minenopfern von 20’000 auf 5000. Länder wie Burundi oder Jordanien gelten heute als praktisch minenfrei.»

Auch was die Einsicht betreffe, habe sich Vieles verändert: «In der 1980er-Jahren wurden Personenminen als völlig legitim erachtet. Es wäre damals völlig illusorisch gewesen, ihre Abschaffung zu verlangen. Heute sind diese Sprengkörper ausser in wenigen Ländern mit einem Stigma behaftet. Kaum ein Land würde es gegenwärtig noch wagen, den Einsatz dieser Waffen zuzugeben.»

Die USA haben zwar das Ottawa-Abkommen nicht unterzeichnet. Dennoch nutzen sie seit einem Jahrzehnt keine Personenminen mehr, so Rapillard. Er hofft, dass die Streubomben-Konvention, seit 2010 in Kraft, denselben stigmatisierenden Effekt auf den Gebrauch dieser Art von Sprengbomben auslöst. «Auch jene Regierungen, die nicht unterschreiben, werden vom Gebrauch absehen, um sich internationale Proteste zu ersparen.»

Wie empflindlich Länder auf solche Proteste reagieren, zeigt der Konflikt 2008 zwischen Russland und Georgien. Die beiden Länder hätten sich gegenseitig gebrandmarkt, Streubomben einzusetzen, so Rapillard. Und dies, obwohl bis heute keines der beiden Länder der Konvention beigetreten sei.

Kriegshandlungen disziplinieren

Um effektiver zu werden, hat sich das GICHD für seine künftige Strategie zwei Prioritäten vorgenommen: Erstens die Kompetenz der nationalen Behörden zu verbessern, und zweitens mehr Transparenz in die Dimensionen des Ganzen zu bringen.

«Zwar weiss man, ob ein Land betroffen ist. Aber man kennt die genaue Grösse der Kontaminierung nicht und weiss auch nicht genau, wo überall Sprengkörper liegen», so Rapillard.

Früher, als die Recherche-Methoden noch weniger präzis waren, wurde die Grösse der kontaminierten Flächen tendenziell zu hoch ausgewiesen. Eine Studie aus dem Jahr 2004, die 15 Entminungsprogramme auf einer Fläche von 292 Quadratkilometern untersuchte, zeigt auf, dass tatsächlich nur 2% der Fläche Minen- oder andere Kriegsrückstände enthielt.

Laut Rapillard ist es notwendig, dass minenverdächtigte Zonen und Flächen reduziert werden, indem sie anders oder zutreffender umschrieben werden. Damit liessen sich Gelder und Ressourcen einsparen. Alle in der Entminung tätigen Akteure sind somit aufgerufen, ihre Kriterien zu vereinheitlichen. «Die Information sollte besser gehandhabt werden», sagt Rapillard.

Das GICHD wünscht sich, dass eines Tages global vereinbart wird, wie mit sämtlichen Sprengkörpern umzugehen ist. Zum Beispiel ein Umgang auf der Basis des Internationalen Netzwerks explosiver Waffen (Internat. Network on Explosive Weapons, INEW). Das INEW ist ein Zusammenschluss von Nichtregierungs-Organisationen, das klarere Regeln für den Einsatz von Sprengkörpern in bewohnten Gebieten verlangt.

«Damit würden wir uns in Richtung einer Disziplinierung des Krieges bewegen», sagt Rapillard. Und eines Tages in Zukunft würde jeder Krieg als Barbarei empfunden werden.

Diese Minenart ist, breit angelegt, erstmals im Zweiten Weltkrieg eingesetzt worden.

Ziel war, gewisse strategische Räume zu schützen (Grenzen, Brücken, Militärbasen). Auch sollte damit die Bewegungsfreiheit des Feindes beschnitten werden.

Die Besonderheit dieser Minen besteht darin, dass sie nicht das Töten, sondern das Verstümmeln bezwecken.

Mit der Zeit ist ihre Gebrauch auch gegen die zivile Bevölkerung ausgedehnt worden. Damit lassen sich ganze Gemeinden terrorisieren und der Zugang zu bewirtschafteten Böden wird versperrt.  

Seit den 60er-Jahren sind schätzungsweise 110 Millionen Personenminen gestreut worden.

Betroffen sind über 70 Ländern. Stark vermint sind Afghanistan, Kambodscha, Laos, Angola, Iran, Iraq und Kroatien.  

In den Zeughäusern lagern zur Zeit noch 170 Mio. solcher Minen, schreibt die NGO Handicap International.  

Zwölf Länder, die das Ottawa-Abkommen nicht unterzeichnet haben, lassen sich das Recht nicht nehmen, weiterhin Personenminen zu produzieren: China, Kuba, Indien, Pakistan, Iran, Burma, Nord- und Südkorea, Russland, Singapur, USA und Vietnam.

Doch nur Indien, Pakistan und Burma produzieren effektiv noch Personenminen. 

Laut Handicap International haben 2012 vier Länder Minen aktiv eingesetzt: Israel, Burma, Syrien und Libyen. 

2010 wurden 4’191 Opfer gezählt, 2008 waren es 5’502.  

2010 sind 200 Quadratkilometer Fläche gesäubert worden, 2008 waren es 160.  

(Quelle: Landmine Monitor, UNO

1997 war die Schweiz eines der ersten Länder, das das Abkommen zur Minenverbot (Konvention von Ottawa) unterzeichnet hat. 1998 wurde es von den Schweizer Räten ratifiziert.

2008 hat Bern auch die Streubomben-Konvention unterzeichnet. Der Prozess der Ratifikation ist noch im Gang.

Im Rahmen der Antiminen-Strategie 2012-2015 setzt die Schweiz jährlich 16 Mio. Fr. ein. Für das Geld werden Experten entsandt sowie Projekte zur  Minenenträumung, Vernichtung von Streubomben und anderen Sprengabfällen begleitet.   

Rund die Hälfte dieses Betrags geht an das Genfer International Centre for Humanitarian Demining GICHD.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist engagiert im Bereich der humanitären Entminung und informiert über die Gefahren, die von Minen ausgehen, und über die Hilfe, die Opfern zustehen.   

Die Schweizer Armee bietet einen kostenlosen Service für jene an, die Minen, Sprengkörper und Streubomben-Blindgänger neutralisieren.

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

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