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Kriegsmaterial-Exporte wieder im Rampenlicht

Die Schweiz exportierte 2011 für 872,7 Millionen Franken Kriegsmaterial. Keystone

Das schweizerische Kriegsmaterialgesetz ist zu wenig transparent betreffend Endabnehmer der Exporte. Laut Rechtsexperten ist das Gesetz zwar griffig, doch müsse besser kontrolliert werden, ob es in der Praxis korrekt umgesetzt wird.

Die Kritik, formuliert in einer Studie von Wissenschaftern der Universitäten Bern und Zürich, erfolgte nach der Aufhebung eines sechsmonatigen Verbots für Kriegsmaterial-Exporte nach Katar im Dezember 2011.

Das Verbot war eingeführt worden, nachdem Munition des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag (mehrheitlich im Besitz der Schweizer Regierung), die nach Katar exportiert worden war, plötzlich in Libyen auftauchte. Eine klare Verletzung des schweizerischen Kriegsmaterialgesetzes.

«Militärischer Logistik-Fehler»

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das alle Kriegsmaterial-Exporte überprüft, sprach von einem «militärischen Logistik-Fehler».

Für Alexander Spring, Co-Autor der vom unabhängigen Think-Tank Foraus (Forum Aussenpolitik) in Auftrag gegebenen Studie «Schweizerische Munitions-Exporte unter der Lupe – Divergenz zwischen Gesetz und Praxis», gibt es einen Mangel an Transparenz im Zusammenhang mit dem Entscheid, die Exporte nach Katar wieder aufzunehmen, und dem Kontrollbesuch im Golfstaat.

«Wir wissen nichts über diese Nachlieferungs-Kontrollen», sagt Spring gegenüber swissinfo.ch. «Bei diesem ‹militärischen Logistik-Fehler› wissen wir nicht, ob ein Angestellter der Schweizer Botschaft in Katar ins Munitionsdepot ging und einige Schachteln anschaute, oder ob es Experten aus dem Verteidigungsministerium waren, die wirklich die Kompetenz haben, eine Nachlieferungs-Inspektion durchzuführen.»

Kontrolle über diplomatische Kanäle

Auf eine entsprechende Frage von swissinfo.ch antwortet Simon Plüss, Chef der Export-Kontrolle im Seco, per E-Mail, es habe keine Nachlieferungs-Kontrolle stattgefunden, «weil Katar schon früher bestätigt habe, dass die Schweizer Munition wegen eines Logistikfehlers den libyschen Rebellen geliefert worden sei».

Laut Plüss reisten Schweizer Regierungsvertreter zweimal nach Doha, um detaillierte Informationen über den Vorfall zu erhalten und zu erörtern, wie das Problem gelöst werden könnte.

«Das Seco entscheidet, ob und in welchen Fällen es Nachlieferungs-Kontrollen durchführt. Das Prozedere und das Ziel jeder Überprüfung muss von Fall zu Fall mit dem Destinationsland definiert werden. Und dies geschieht über diplomatische Kanäle», so Plüss.

Exporte nach Indien

Auch Tobias Schnebli von der pazifistischen Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) spricht von einem Mangel an Transparenz bezüglich der Endabnehmer der Kriegsmaterial-Exporte. Gegenüber swissinfo.ch bezeichnet er den Export von Maschinen- und Sturmgewehren 2011 zugunsten der Polizei in den indischen Bundesstaaten Orissa und Jharkhand als fragwürdig.

Die beiden Bundesstaaten waren in den letzten Jahren Schauplatz von blutigen Unruhen zwischen maoistischen Aufständischen (Naxaliten) und indischen Regierungstruppen, bei denen es Tausende von Toten gab.

2011 exportierte die Schweiz für rund 7,4 Millionen Franken Kriegsmaterial nach Indien (2010 für 6,03 Mio.). Damit stand Indien an 16. Stelle beim Import von schweizerischem Kriegsmaterial.

Rekrutierung von Minderjährigen

«Es ist erwiesen, dass in Orissa die Polizei Minderjährige unter 16 Jahren für den Kampf gegen die Rebellen in der Region rekrutierte», sagt Schnebli und verweist auf einen Brief der Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch an den Ministerpräsidenten des indischen Bundesstaates Orissa (siehe Link).

«Das Seco erklärte uns, es werde Stichproben durchführen. Die Nichtregierungs-Organisationen (NGO) müssen vom Seco verlangen, dass sie diese Inspektionen begleiten können, damit sie selber sehen können, wer die Endempfänger dieser Waffen sind. Denn wenn das nicht geschieht, wird es für die Armee oder die Polizei zu einfach, das Ganze zu verschleiern», so der GSoA-Vertreter.

Heikle Souveränität

Nachlieferungs-Stichproben könnten die Souveränität eines Landes beeinträchtigen, sagt Simon Plüss vom Seco. Die Beteiligung eines unabhängigen Beobachters sei «sehr delikat» und sollte mit «Vorsicht» in Betracht gezogen werden.

Die Kriegsmaterial-Exporte nach Orissa und Jharkhand müssten «im Licht des spezifischen Falles» betrachtet werden. In einigen Fällen habe die Schweiz das Recht auf Durchführung von Nachlieferungs-Inspektionen festgelegt und eine schriftliche Bestätigung gefordert, dass die Waffen nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden dürfen.

«Es muss beachtet werden, dass einige der gelieferten Waffen zum Schutz von wichtigen Persönlichkeiten (VIP) bestimmt sind und auch gebraucht werden», sagt Plüss.

«Solche Waffen sind ziemlich teuer, und deren Bedienung und Wartung erfordern höhere Fachkenntnis. Deshalb werden sie von gut ausgebildeten Sondereinheiten verwendet und nicht an gewöhnliche Polizeitruppen abgegeben. Dieser Umstand beschränkt das Missbrauchsrisiko.»

Unsicherheiten trotz griffigem Gesetz

Das Schweizer Gesetz verbietet den Export von Kriegsmaterial in Länder, die in bewaffnete Konflikte involviert sind und wo eine grosse Möglichkeit existiert, dass das Material an einen «unerwünschten Endempfänger» weitergegeben wird.

Das Kriegsmaterialgesetz schliesst Exporte an Orte aus, wo es zu systematischen Menschenrechts-Verletzungen kommt oder wo das Risiko besteht, dass die Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Das Gesetz zieht auch Friedenserhaltung, Verbot von Kindersoldaten, Einhaltung von internationalem Gesetz sowie Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Betracht.

2011 exportierte die Schweiz für rund 872,7 Millionen Franken Kriegsmaterial, 36% mehr als 2010. Diese Zunahme führt das Seco auf den 258,1-Mio.-Verkauf von militärischen Trainingsflugzeugen an die Vereinigten Arabischen Emirate zurück.

Alexander Spring von Foraus und Tobias Schnebli von der GSoA sind sich einig, dass die Schweiz eines der griffigsten Kriegsmaterialgesetze der Welt habe. Änderungen des Gesetzes wären für Spring aber dennoch angebracht, weil es immer noch rechtliche Unsicherheiten enthalte. Und für Schnebli bietet das Gesetz «zu viel Interpretations-Spielraum bei der Anwendung».

Spring hinterfragt auch den wirtschaftlichen Nutzen der Kriegsmaterial-Exporte, die lediglich 0,4% des Bruttoinland-Produktes (BIP) der Schweiz ausmachen. Dagegen ist Jan Atteslander vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse der Ansicht, die schweizerische Rüstungsindustrie sei ein wichtiger Zubringer von hoch qualifiziertem Personal und Produkten für andere Industriebranchen.

Von 2007-2011 erhöhte sich das Volumen der Rüstungsgeschäfte rund um den Globus im Vergleich zum Zeitraum 2002-2006 um 24%.

Auf die beiden grössten Rüstungsexporteure USA (30%) und Russland (24%) entfällt mehr als die Hälfte der weltweiten Lieferungen. Auf Platz drei folgt Deutschland (9%) an 4. Stelle steht Frankreich (8%), auf Rang 5 Grossbritannien (4%).

Die beiden grössten Exporteure lieferten weiterhin Waffen an Länder, die vom Arabischen Frühling betroffen sind. Obwohl die USA 2011 ihre Waffenexport-Politik in diese Region überprüft haben, bleiben sie weiterhin ein wichtiger Rüstungslieferant für Ägypten und Tunesien.

Mit einem Anstieg um 580% steigerte vor allem Syrien die Waffenimporte seit dem Jahr 2002 deutlich. Die syrischen Rüstungsimporte von 2007-2011 stammten zu 78% aus Russland.

Indien war im Zeitraum 2007-2011 mit einem Anteil von 10% der grösste Waffenimporteur der Welt. Die anderen vier wichtigsten Rüstungsimporteure kommen ebenfalls aus Asien: Südkorea (6%), Pakistan (5%), China (5%) und Singapur 4%).

(Quelle: Stockholmer Friedensforschungs-Institut Sipri)

Der Rüstungs- und Technologiekonzern Ruag, der mehrheitlich im Besitz des Bundes ist, hat 2011 mit 97 Mio. Franken mehr Gewinn erzielt.  Das ist ein Plus von 5,9%.

Die Fokussierung und Risikominimierung in den Kerngeschäften Luft-und Raumfahrt sowie der Sicherheits- und Wehrtechnik habe sich bewährt, begründete Ruag das positive Ergebnis am Donnerstag. Beim Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) legte das Unternehmen um 12,5% auf 110 Mio. Franken zu.

Der Umsatz blieb indessen in etwa auf Vorjahresniveau. Der Konzern setzte im vergangenen Jahr 1,77 Mrd. Franken um. 

Insgesamt erzielte Ruag mit zivilen Anwendungen 48%, mit militärischen 52% seines Nettoumsatzes. Das Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) – und damit die Schweizer Armee – ist mit 37% der grösste Einzelkunde.

Der erste von vielen Kriegsmaterialexport-Skandalen erschütterte die Schweiz 1968, als im nigerianischen Bürgerkrieg Flugzeuge des IKRK von in der Schweiz hergestellten Raketen getroffen wurden.

10 Jahre später wurde bekannt, dass vom Schweizer Konzern Pilatus hergestellte PC-7-Trainingsflugzeuge leicht umgebaut werden konnten, um Bomben zu tragen. Die PC-7 sollen vom US-Geheimdienst CIA 1962 in Laos eingesetzt worden sein. Auch in Burma, Guatemala, Mexiko, Chile, Bolivien und Nigeria kamen sie zum Einsatz. In neuerer Zeit wurden PC-7 in Irak, Südafrika und Darfur gesichtet.

1972 lancierten Pazifisten die erste von drei Initiativen für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten, die vom Schweizer Stimmvolk, wie die beiden anderen auch, klar abgelehnt wurde.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

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