Kuba vor den Wahlen: Die Schweiz hat der Diktatur Gemeindeautonomie gebracht
Die Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit in Kuba bekam bislang kaum Aufmerksamkeit. Dabei hat sie Gemeinden und Regionen Autonomie verschafft – und damit dem sozialistischen Regime wohl auch zu einer effizienteren Verwaltung verholfen.
Am 26. März wählt Kuba eine neue Nationalversammlung. Das macht kaum Schlagzeilen. Denn es geht um Nichts.
«Zur Wahl stehen handverlesene Politiker:innen, die dem System treu sind», sagt Markus Glatz. Glatz ist Schweizer Leiter der Internationalen Zusammenarbeit in Kuba.
Er sagt: «Eine freie Wahl gibt es nicht.» Das ist offensichtlich: Es gibt nur so viele Kandidierende wie Parlamentssitze.
«Es ist mehr eine Bestätigungsabstimmung als eine Wahl», sagt auch Yanina Welp, Research Fellow am Albert Hirschman Centre on Democracy in Genf. Spannend sei einzig die Stimmbeteiligung. Bei den Gemeindewahlen im November 2022 war sie so niedrig wie noch nie.
Dass Kuba nach Ende der Castro-Ära keine politische Öffnung erlebte, hängt laut Welp mit dem Zusammenspiel von Armee und Kommunistischer Partei zusammen. «Die Armee ist stark und auch wirtschaftlich wichtig», sagt Welp. Die Partei wiederum spiele eine zentrale Rolle bei der Koordination der Macht.
Repression und Wirtschaftskrise
Gegenwärtig steckt Kuba in einer tiefen Wirtschaftskrise. «Wirtschaftlich ist die Lage dramatisch, es herrscht Knappheit und Inflation», sagt Welp. «Die Proteste haben dies offengelegt, aber die repressive Reaktion konnte sie bisher eindämmen.»
Den Demonstrationen im Zuge der Pandemie – den grössten in langer Zeit – begegnete das Regime mit Härte: Manche Demonstrant:innen wurden 2022 zu mehreren Jahrzehnten Gefängnis verurteilt, wie unter anderem die BBCExterner Link berichtete. Zu den Verurteilten gehörten auch Minderjährige.
Glatz beschreibt die Wirtschaftskrise als die heftigste seit dem Untergang der Sowjetunion. Die Pandemie, Kubas Abhängigkeit von Russland und das Wirtschaftsembargo der USA seien Faktoren. «Die Probleme sind aber grösstenteils hausgemacht: Das Festhalten an der Planwirtschaft bringt aus meiner Sicht das Land nicht weiter.»
Er vergleicht die Entwicklung in Kuba mit Ländern wie Laos oder Kambodscha, die Glatz in seiner Zeit in der Ostasienabteilung der DEZA betreute.
«Diese Länder haben über die letzten Jahre gesehen vergleichsweise hohe Wachstumszahlen. Sie sind auch sozialistisch regiert, aber verfolgen ein staatskapitalistisches Modell, das auch den Privatsektor zulässt und für ausländische Investitionen attraktiv ist.»
Ohne Wirtschaftsreformen finde Kuba aus der Krise nicht hinaus, ist Glatz überzeugt – und sieht dort eher Veränderungspotenzial als auf politischer Ebene.
Doch Glatz Arbeit in Kuba endet wohl, bevor es zu einem Wandel kommt.
DEZA-Tätigkeit ist «Grundpfeiler»
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit der Schweiz DEZA beendet ihre Länderprogramme in Lateinamerika. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zieht sich also auch aus Kuba zurück.
Das markiert das Ende einer langen besonderen Beziehung: Von der kubanischen Revolution 1959 bis 2015 war die Schweiz Vermittlerin zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba. Seit es in Havanna eine US-Botschaft gibt, ist diese Rolle überflüssig.
Momentan ist die Tätigkeit der DEZA «der Grundpfeiler» der Beziehungen Schweiz-Kuba, heisst es im Bericht Kooperationsausstiegsprogramm 2022-2024Externer Link.
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Seit 2000 engagiert sich die DEZA in Kuba und von Beginn weg nur im Bereich der Lokalentwicklung. «Dort haben wir bis heute eine Wirkung erzielen können», sagt Glatz, «sowohl bei der Bevölkerung, als auch auf Ebene des politischen Systems.»
Lokalentwicklung nach Vorbild der Schweiz
Im autokratischen und zentralistischen Kuba hat die Arbeit der DEZA die Lokalentwicklung nach Vorbild des föderalen Systems der Schweiz ermöglicht.
Was heisst das konkret? Glatz sagt: «Auf Provinz und Gemeindeebene können Budgets lokal erstellt werden – unter Einbezug der Zivilbevölkerung. Das ist in Kuba doch aussergewöhnlich.» Dabei setzen die Gemeinden auf partizipative Elemente: Mehr als ein Drittel der 168 kubanischen Gemeinden führen Bevölkerungsbefragungen durch; über 50 haben Bürgerportale eingerichtet.
Von kubanischer Seite sei man dem Schweizer Engagement offen begegnet. «Hürden mussten wir keine abbauen», sagt Glatz. «Die Regierung hat sehr geschätzt, dass wir auf lokaler Ebene, in der Landwirtschaft, im Tourismus und in der Bauwirtschaft Prozesse für lokale Entwicklungen angestossen haben.» Die Schweizer Projekte haben mitangestossen, dass es nun Kleinstunternehmen und privatbetriebene Restaurants gibt.
Marmelade und Tomatenpüree
Heute ist das Schweizer Lokalentwicklungsprojekt ein Regierungsprogramm: Aus Pilotprojekten ist die Plattform PADIT hervorgegangen, die nun unter anderem von Kubas Wirtschaftsministerium und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP getragen wird.
In der Provinz Cienfuegos beispielsweise ermöglicht PADIT vier Lebensmittelproduktionsinitiativen, die insgesamt um die zwei Tonnen am Tag produzieren – Tomatenpüree, eingelegtes Gemüse, Marmeladen.
Diese Produkte werden lokal verwaltet und auf Märkten und in Läden verkauft.
Die Umkehr des zentralistischen Prinzips
Doch das Entscheidende an PADIT sind eben nicht neue Geräte oder Produktionsmengen, sondern die Umkehr des zentralistischen Prinzips: Die Bedürfnisse im Lokalen abklären und davon auszugehen.
Per Mail erklärt Jesus Rey Novoa, lokaler Koordinator der Plattform: «PADIT in Cienfuegos hat die Art verändert, wie die Regierungsbehörden mit den Bürger:innen und der Wissenschaft in Austausch treten.» PADIT fördere «Partizipation, Kommunikation und Digitalisierung der Bürgerschaft – von der Entwicklung bis zur Umsetzung von Entwicklungsstrategien im Lokalen.»
Man könnte sagen: Ein Land lernt das Prinzip, dass die Menschen vor Ort am besten wissen, was gut für sie ist.
Diese Entwicklung der Lokalverwaltung sieht Rey Novoa im Interesse des ganzen Landes – oder wie er es ausdrückt «im Sinne eines strategischeren und harmonisierten Ansatzes für interterritoriale Interessen».
Stabilisiert PADIT das Regime?
PADIT ist heute Teil von Kubas Plan zur Erreichung der UNO-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und enthält auch soziale Komponenten. Doch die Dezentralisierung zielt auch auf eine «effiziente Regierung» ab und soll die kubanische Verwaltung verbessern. Besteht da das Risiko, dass die Lokalentwicklung und Dezentralisierung die kubanische Regierung strukturell stützen und das System stabilisieren?
Markus Glatz findet die Frage berechtigt: «Bis zu einem gewissen Grad besteht die Gefahr sicher. Wir unterstützen Partizipation auf lokaler, aber auch auf nationaler Ebene, um beispielsweise Prozesse für Bürgerbeteiligung und dezentrale Budgetplanung zu fördern.» Dies stärke die Gemeinden, mehr Autonomie zu gewinnen und den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen ihrer Bürger:innen besser nachzukommen.
Veränderung in engen Grenzen
Armando Chaguaceda ist überzeugt, dass eine Plattform wie PADIT auf der lokalen Ebene Veränderungen herbeiführen kann.
Aber in sehr engen Grenzen: In einem Staat, der nicht nur zentralistisch, sondern auch autoritär ist, entscheide immer der staatliche Akteur, wie weit die Partizipation gehen darf. «Das Subsidiaritätsprinzip ist schwierig zu entwickeln, weil den Gemeinden Rechte und Ressourcen fehlen, um ihre Autonomie zu nutzen.»
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Chaguaceda ist Politologe in Mexiko – und in Havanna aufgewachsen. In Kuba hat er die kanadischen Entwicklungszusammenarbeit von nahem erlebt. «Solche Programme sind mehr therapeutisch als transformativ.» Vor allem für die direkt Beteiligten hätten sie eine Wirkung.
«Die Effekte sind psychologische Wellness, das Erlernen neuer Fähigkeiten und dass eine Gruppe nicht-autoritäre Ausdrücke und Kenntnisse erlernt», sagt Chaguaceda. Weiter glaubt Chaguaceda, dass die Wirkung der Projekte verpufft, sobald die Finanzierung endet.
Die Schweiz geht, PADIT bleibt
Die Zukunft von PADIT ist über 2024 hinaus dank dem UNDP und weiteren Geldgebern gesichert. Die Gemeindeautonomie ist in Kubas neue Verfassung von 2019 eingegangen.
Die Schweiz klopft sich dafür im Bericht «Kooperationsausstiegsprogramm 2022 bis 2024» selbst auf die Schulter: Sie listet dies unter «Bisherige Resultate der DEZA in Kuba» auf. Es ist eine der «wesentlichen Innovationen» der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, die in Kubas Gesetze und Politik eingingen. Andere sind Kubas Massnahmen gegen den Klimawandel, das Anerkennen des Privatsektors und dass rassistische, sexistische und homophobe Diskriminierung strafbar sind.
Abstimmungen ohne Beobachter:innen
Kuba ist eine Diktatur, die Volksabstimmungen durchführt – zuletzt im Herbst, als das neue Familiengesetz angenommen wurde, welches gleichgeschlechtliche Ehen zulässt. Die Abstimmungen finden gänzlich ohne unabhängige Beobachter:innen statt.
Dass die Wahlen in Kuba kaum Schlagzeilen machen, stimmt nicht ganz. Das offizielle Propaganda-Organ «Granma» titelt: «Mit der Abstimmung vom 26. werden wir das Vaterland, die Revolution und den Sozialismus verteidigen».
Unabhängige Journalist:innen gibt es in Kuba kaum. Die Verfassung verbietet private Medien.
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