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Wie Katar mit Charity-Projekten Europa unterwandert

Le MUCIVI
Das Museum für Kulturen des Islam in La Chaux-de-Fonds. Patrice Schreyer/MUCIVI

In ihrem jüngst erschienenen Buch "Qatar Papers" decken die französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot auf, welche verdeckten Interessen das Hilfswerk Qatar Charity verfolgt und wie gross seine finanzielle Schlagkraft namentlich in der Schweiz ist. swissinfo.ch im Gespräch mit Georges Malbrunot.

Bei den Recherchen zu ihrem Buch stützten sich Chesnot und Malbrunot auf interne Dokumente einer durch die katarische Königsfamilie finanzierten NGO namens Qatar Charity. Die Papiere waren vor rund zwei Jahren durch ein Informationsleck nach aussen gelangt. Seither wurde die religiöse «Soft Power» durch den verdeckten Krieg, den die Golfstaaten gegen ihren kleinen Nachbarn führen, etwas gebremst.

+ So viel Geld steckt Katar in Schweizer Moscheen

Ein Kapitel der «Qatar Papers» ist der Schweiz gewidmet. Die Autoren präsentieren Belege, wonach Qatar Charity zwischen 2011 und 2014 mehr als 4 Millionen Franken in fünf Projekte muslimischer Organisationen gesteckt haben soll: in Prilly (Waadt), Biel (Bern), La Chaux-de-Fonds (Neuenburg) und Lugano (Tessin).

Gratistickets für Begegnung mit Georges Malbrunot​​​​​​​

Georges Malbrunot ist am 7. Mai im Rahmen der Dienstags-Reihe im Landesmuseum Zürich zu Gast. Als Medienpartnerin der Dienstags-Reihe bietet swissinfo.ch ihren Leserinnen und Lesern eine begrenzte Anzahl von Freikarten an. Die Tickets werden nach einem «First come, first serve-System» vergeben, also ohne Verlosung und ohne Fragebogen. Schreiben Sie einfach eine E-Mail mit Ihrem vollständigen Namen und Ihren Kontaktdaten an thomas.waldmeier@swissinfo.ch.

Wie die Autoren betonen, kommt dabei dem algerisch-französischen Ehepaar Mohamed und Nadia Karmous, die dem imposanten Musée des civilisations de l’Islam vorstehen, eine zentrale Rolle zu. Das Zentrum hat mindestens sieben Geldüberweisungen in der Höhe von insgesamt 1,4 Millionen Franken erhalten.

swissinfo.ch: Was haben die ersten Reaktionen auf Ihr Buch bei Ihnen ausgelöst?

Georges Malbrunot: Gegen die politische Vereinnahmung durch irgendwelche Kreise ist kein Kraut gewachsen. Es gibt einen latenten Krieg zwischen Katar und seinen Nachbarstaaten. Letztere profitieren von unseren Enthüllungen und sehen sich in ihren Befürchtungen und Beschuldigungen gegenüber Katar bestätigt. Die Sympathisanten der Muslimbrüder hingegen bestreiten die von uns dargelegten Fakten oder spielen sie herunter. Doch auf diese Art von Debatte lassen wir uns nicht ein.

Das ist kein Buch gegen den Islam. Es bezichtigt die islamischen Vereinigungen nicht, Hochburgen der Jihadisten zu sein und behauptet auch nicht, die aufgedeckten Finanzierungen seien illegal.

Wir warten mit Fakten auf. Unser Buch warnt vor den Gefahren, die durch diese Gefolgschaft gegenüber den Muslimbrüdern von Qatar Charity ausgeht. Ziel der Bewegung ist es, ihr Prinzip eines politischen Islams über die geltende Rechtsordnung zu stellen, was letztendlich das Entstehen von Parallelgesellschaften fördert.

Christian Chesnot, Georges Malbrunot
Christian Chesnot und Georges Malbrunot bei ihrer Ankunft auf dem französischen Militärflughafen in Villacoublay am 22. Dezember 2004. Die beiden Journalisten waren von der Islamischen Armee im Irak entführt und während vier Monaten festgehalten worden. Keystone / Michel Euler

swissinfo.ch: Geht Katar bei der angestrebten Einflussnahme auf Europa anders vor als Saudi-Arabien?

G.M.: Nach den blutigen Anschlägen vom 11. September 2001 geriet Saudi-Arabien unter Druck. Der Staat hält sich seither bedeckt und arbeitet in diesen Fragen mit dem Westen zusammen. Der Finanzierung von Moscheen oder weiteren Projekten tut dies jedoch keinen Abbruch, auch wenn es offiziell verlauten lässt, es handle sich um private Initiativen. Katar hat seine relative Zurückhaltung dazu genutzt, sich Einfluss zu erkaufen und ein bedeutender Operateur auf dem islamischen Finanzmarkt in Europa zu werden. Dies zusammen mit der Türkei, einer engen Verbündeten und letzten Streithelferin auf dem islamischen Finanzmarkt in Europa.

swissinfo.ch: Gerade in der Schweiz stammen die Muslime vorwiegend aus der Türkei und dem Balkan …

G.M.: Es wird interessant sein, vor Ort zu beobachten, ob und wie sich die durch katarische Gelder alimentierten Verbindungen entwickeln, die durch türkisches Personal implementiert werden könnten. Dennoch: Obwohl die Türkei unter Erdogan den Muslimbrüdern nahesteht, pflegt sie eine eigene Praxis des Islams, die sich von jener Katars und der arabischen Länder unterscheidet.

swissinfo.ch: Ist dieser Missionierungswille Katars also Teil des Kampfes um den sunnitischen Führungsanspruch?

G.M.: Das ist tatsächlich einer der Faktoren im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar, denen es um mehr Einfluss in Europa, Afrika und Asien geht. Katar hat zumindest in Europa den Vorteil, dass es an die Netzwerke der bestens organisierten islamischen Bruderschaften angeschlossen ist. Dadurch kann das Golf-Emirat im Gegensatz zu den von Saudi-Arabien unterstützten salafistischen Netzwerken die investierten Finanzmittel überwachen und ihre Verwendung kontrollieren.

swissinfo.ch: Sie schreiben, Katar verfolge mit dieser Vernetzung das Ziel, in den europäischen Ländern ansatzweise Mikro-Gesellschaften zu schaffen. Tatsächlich?

G.M.: Das hat uns überrascht. Wie die internen Dokumente zeigen, ist dies eine Konstante. Eine Zielsetzung von Qatar Charity besteht – wie in dem von Scheich Ahmad al-Hamadi geleiteten Programm Al-Ghaith zum Ausdruck kommt – darin, das Verbreiten der islamischen Identität in Europa und der ganzen Welt zu fördern. Dies geschieht durch den Bau von Moscheen, die als eigentliche Lebenszentren verstanden werden, wenn möglich mit Schulen, Einkaufszentren, Kinderkrippen, muslimischen Begräbnisstätten, medizinischen Zentren, Gemeinschaftszentren und Wohnungen. Es geht also darum, das muslimische Individuum durch den von den Muslimbrüdern gepredigten globalen Islam von der Geburt bis zum Tod zu begleiten. Das sind zweifellos Ansätze zu Gegengesellschaften, die das Entstehen von Parallelgesellschaften begünstigen – was langfristig gefährlich werden könnte.

swissinfo.ch: Ihre Enthüllungen wecken den Eindruck, es falle den europäischen Regierungen schwer, diesen Missionierungsaktivitäten etwas entgegenzuhalten, wie auch immer sie zur Trennung von Religion und Staat stehen mögen …

G.M.: Mit einer Ausnahme: Das Vereinigte Königreich fördert das Entstehen solcher Parallelgesellschaften. Deshalb liegt das Hauptquartier von Qatar Charity auch in London.

In den uns zugestellten Dokumenten beklagt sich Qatar Charity indessen über die Schwierigkeit, in Deutschland muslimische Schulen zu eröffnen, weil es dafür eine vertragliche Vereinbarung mit dem Staat braucht. Italien wiederum kennt das Gesetz der acht Promille, wonach der Staat 0,8 Prozent der gesamten Einnahmen aus Lohn- und Einkommenssteuern an Vereinigungen verschiedener Konfessionen abgibt. Und in Frankreich wird derzeit über eine Reform des Laizitätsgesetzes debattiert, mit der die externe Finanzierung eingedämmt und Finanzierungstransparenz gewährleistet werden soll.

Es trifft jedoch zu, dass die einzelnen Länder etwas überfordert wirken. Man ist sich nicht im Klaren darüber, welche politischen Massnahmen in den Nachbarländern ergriffen werden. Hinzu kommt, dass das Thema bisweilen im Wahlkampf instrumentalisiert wird oder gewisse Bürgermeister es vorziehen, Problemen aus dem Weg zu gehen, indem sie von Qatar Charity unterstützte Projekte gutheissen oder sich ganz einfach um diese zugegebenermassen komplexen Fragen foutieren.

swissinfo.ch: Reagiert die Schweiz anders?

G.M.: In der Schweiz geniessen Vereinigungen einen starken Rechtsschutz. Es ist daher nicht möglich, in Erfahrung zu bringen, wer hinter den Geldspenden steht, es sei denn, es komme zu einer Untersuchung. Somit können all die Vereinigungen Geld entgegennehmen, von wem immer sie wollen.

swissinfo.ch: Seit dem 11. September fordern gewisse Regierungen, wie etwa jene Frankreichs und der Schweiz, die Muslime sollten sich organisieren, um ihre Vertreter zu bestimmen. Wurde dadurch nicht dem Missionierungseifer Katars und der Muslimbruderschaft Vorschub geleistet, die über die organisatorischen Mittel verfügen, in diesen Bereich vorzudringen?

G.M.: In der Tat, das hat man in Frankreich gesehen, wo Nicolas Sarkozy den Muslimbrüdern mit der Union des Organisations Islamiques de France (UOIF) die Türen geöffnet hat. In Italien übernimmt die Unione delle Comunità Islamiche d’Italia (UCOII) diese Rolle. In Deutschland ist es die IGD, der deutsche Ableger der Muslimbrüder. Nun ist nicht jeder, der in diesen Moscheen betet, ein Muslimbruder, doch über diese Finanzierungen und Vereinigungen verschaffen sich die Muslimbrüder mit ihrer politischen Ideologie, wenngleich diskret,  weiterhin Gehör.

swissinfo.ch: Die von Ihnen gesammelten Daten enden anfangs 2017. Halten die festgestellten Dynamiken an?

G.M.: Nein, sie sind fast ganz zum Erliegen gekommen, seit die Golfstaaten im Juni 2017 eine Blockade gegen Katar verhängten, mit der sie unter anderem die Schliessung von Qatar Charity verlangten. Katar musste in der Folge bei seinen Investitionen etwas kürzertreten. Der Staat hat Anstrengungen unternommen, manchmal aber auch nur so getan als ob. So wurde beispielsweise Qatar Charity in London geschlossen, im Anschluss daran aber Nectar Trust ins Leben gerufen, hinter dem wiederum Qatar Charity steckt. Katar hat seine Investitionen zwar reduziert, jedoch nie ganz eingestellt. Abgesehen davon akzeptieren immer weniger Banken, vor allem in Frankreich, Geldtransfers von Qatar Charity.

In Katar werden die Geldflüsse der heimischen NGOs fortan durch das Büro des Emirs kontrolliert und verwaltet. Bei Golfstaaten braucht es eben viel Druck, bis den Versprechen erste Taten folgen.

Anfänge und Ausbreitung der Muslimbruderschaft

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von Hassan al-Banna, einem Volksschullehrer und geistlichen Führer, in der ägyptischen Stadt Ismaïlia gegründet.

Al-Banna verfolgte zwei Ziele: der britischen Präsenz in Ägypten und Palästina den Kampf anzusagen und die ägyptische Gesellschaft wie auch den restlichen Nahen Osten zum ursprünglichen Islam zurückzuführen. Dies mithilfe der Scharia (dem islamischen Rechtssystem). Mit seinem erklärten Ziel der Verbreitung islamischer Werte stand er im Widerspruch zum arabischen Nationalismus.

Die Muslimbruderschaft schuf soziale und assoziative Strukturen, die es ihr erlaubten, die jüngeren Generationen in ihrem Geiste zu erziehen. Die Bewegung wuchs rasch an und weitete sich schon bald auf andere Länder im Nahen Osten aus, vor allem Syrien, Palästina und Jordanien.

1954 verbot Nasser die Organisation, worauf zahlreiche Muslimbrüder in Saudi-Arabien Zuflucht suchten.

Saïd Ramadan, Schwiegersohn und spiritueller Erbe des Begründers der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna, liess sich im August 1958 in Genf nieder, wo er 1961 das Centre islamique de Genève gründete, das älteste seiner Art in Europa, welches sich der Verbreitung des Islam verschrieb. Es stellte gewissermassen die erste Etappe seines gross angelegten Projekts dar, in den wichtigsten europäischen Hauptstädten islamische Zentren zu eröffnen.

Ramadan soll schon 1982 die gezielte Islamisierung Europas geplant haben. 2001 entdeckte der Nachrichtendienst des Bundes das angeblich von Ramadan verfasste Strategie-Papier am Wohnsitz von Youssef Moustafa Nada.

(Übertragung aus dem Französischen: Cornelia Schlegel)

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