Technische Entwicklung wartet nicht auf die Ärmsten
Die Digitalisierung der Landwirtschaft sei nicht mehr aufzuhalten, liest man dieser Tage oft. Die Rede ist von GPS-gesteuerten Traktoren, Jät-Robotern, Datenaustausch per Internet und Drohnen, die über die Felder fliegen. Gefordert sind nicht nur die Bauern in unseren Breitengraden. Der Trend hat auch die Kleinbauern im Süden und somit die Entwicklungshilfe längst erfasst.
«Noch in den 1990er-Jahren dachte man, der Computer und all die Neuen Medien beträfen die Entwicklungszusammenarbeit nicht», erinnert sich Manuel Flury. Er ist Co-Chef der Abteilung Globalprogramm Ernährungssicherheit bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Man ging davon aus, dass die Entwicklung der Technologie linear verläuft – und wurde bald eines Besseren belehrt.
«Die Technologie macht Sprünge, ansonsten wäre die Mobil-Revolution in Afrika nicht so erfolgreich gewesen», so Flury, der selber mehrere Jahre für die DEZA in und für Afrika tätig war. Uganda und Kenia beispielsweise gehören zu den Ländern, die bereits anfangs 2000 mit einem ziemlich guten Mobilfunknetz ausgestattet waren. Während einer Reise im Osten des Tschad vor rund zwei Jahren traf Flury bei einer Tränke für Rinder und Geissen auf eine Batterieladestelle für Handys: Ein Mann stand bei einem Motorrad, neben ihm ein mitgebrachter Generator, mit dem er die Handys der Viehhirten auflud. Die nächstgrössere Stadt lag rund 60 Kilometer entfernt.
Die Handys sind erschwinglich: In Kenia kostete eine SIM-Karte lange einen Dollar, nun sind es rund zwei, Übermittlungskosten für eine SMS fallen praktisch keine an. Es sei erstaunlich, wie viele Smartphones es in Afrika gebe, sagt Flury. «Von irgendwoher kommen sie kaputt nach Afrika, werden repariert und sind schliesslich für wenig Geld erhältlich.» Für die lokalen Kleinbauern eine Chance.
Denn so hatten sie plötzlich Zugang zu Informationen über den aktuellen Marktpreis ihrer Ware, die Transparenz diesbezüglich wurde erheblich verbessert. Die Digitalisierung führte zudem dazu, dass die Banken neue Geschäftsmodelle entwickelten. Meistens gekoppelt an eine Versicherung, öffneten diese den Kleinbauern die Tür zu Kleinkrediten und Bankgeschäfte konnten über das Mobilfunknetz abgeschlossen werden. In Kenia war dies schon vor rund zehn Jahren der Fall, die kilometerlange – und wohlmöglich vergebliche – Reise zur nächsten Bank blieb den Kleinbauern erspart.
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Hier setzt die Arbeit der DEZA an, wie Flury erklärt: Es gilt die Mobilfunk-Anwendungen auszuweiten und zu verbessern. Das Projekt AGRI-FIN MOBILEExterner Link beispielsweise will Kleinbauern, die kein Bankkonto besitzen und mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen müssen, den Zugang zu Finanzdienstleistungen per Handy erleichtern. Ernährungssicherheit und Lebensgrundlage sollen so verbessert werden.
Die DEZA beteiligt sich aber auch am Projekt AccessAgricultureExterner Link. Dieses hat zum Ziel, Beratungsinhalte im Bereich der Landwirtschaft für die Neuen Medien aufzuarbeiten und zugänglich zu machen. Auf einem VideoExterner Link erklärt eine Frau zum Beispiel, wie ihr Dorf in Uganda mit menschlichem Urin den Boden düngt, damit dieser wieder fruchtbarer wird. Dieses Video wird dann in diverse Sprachen übersetzt, um – zum Beispiel per Smartphone – möglichst viele Bauern in verschiedenen Ländern zu erreichen. Die verschiedenen Beratungshilfen kommen parallel zu Beratungen im Feld in Einsatz. «Die digitalen Möglichkeiten ersetzen den Kontakt von Mensch zu Mensch nicht, im Gegenteil, das ist weiterhin ein sehr wichtiger Aspekt», stellt Flury klar.
Sag niemals nie!
Kleinbauern können dank der Neuen Medien auch eine Wetterversicherung abschliessen. Dabei übernehmen Satelliten die Arbeit eines Inspektors: Die Bilder aus dem All geben Auskunft über den Zustand der Vegetation zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie werden verglichen mit dem Sollzustand. Sollte die Vegetation bereits dunkelgrün sein, ist aber erst hellgrün, bedeutet dies einen Schaden, für den die Versicherung einspringt. Auszahlungen wegen Ernteverlust können somit direkt und schnell an den betroffenen Bauern überwiesen werden. Die DEZA hat sich an der Erarbeitung eines Software-PaketsExterner Link beteiligt, das an Regierungen und Versicherungen verkauft wird. Die Regierungen brauchen es, um Ernteverluste vorauszusagen, und die Versicherungen, um damit ein Versicherungsmodell für Kleinbauern zu entwerfen.
«Es ist nicht auszuschliessen, dass Drohnen früher oder später auch Dienstleistungen für Kleinbauern im Süden erbringen werden.» Manuel Flury, DEZA
Drohnen könnten noch genaueres Bildmaterial liefern als Satelliten. Doch bis jetzt ist deren Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit kein Thema. Dennoch, sei es nicht auszuschliessen, «dass Drohnen früher oder später auch Dienstleistungen für Kleinbauern im Süden werden erbringen können», so Flury. «Ich bin kein Hellseher. Ich sehe nur, was mit der Mobil-Revolution alles erreicht wurde – Dinge, die niemand für möglich hielt.»
DEZA vor neuen Herausforderungen
Ob Drohnen oder andere Erfindungen: Neue technische Möglichkeiten rufen nach Gesetzesanpassungen. Bereits von grosser Aktualität ist dies mit Blick auf die Zertifizierung von Pflanzenarten. Denn die Biotechnologie erlaubt bereits, Gensequenzen digital festzuhalten. Will man heute mit Pflanzen arbeiten, die beispielsweise aus Entwicklungsländern kommen, bezahlt man in einen Fonds, um Zugang zum nötigen Material zu erhalten. „Weil heute die Pflanze in digitaler Form quasi auf dem Server liegen besteht die Gefahr, dass die Ursprungsländer der Pflanzen leer ausgehen“, so Flury.
Die Frage der Folgen von neuen Technologien für die Kleinbauern gehört zum täglich Brot der DEZA. In diesem Zusammenhang beteiligt sie sich an einem internationalen Netzwerk von 15 Agrarforschungszentren (CGIARExterner Link), die gezielt entwicklungsorientierte Forschung betreiben. Übergeordnetes Ziel ist die Bekämpfung von Armut und Hunger.
Besprochen werden bei der DEZA auch mögliche Folgen der Biofortifikation – der Anreicherung eines Nährstoffgehalts von Nahrungsmitteln durch Pflanzenzucht – für die Bauern des Südens. Die Tendenz geht in Richtung Riegel, der alle wichtigen Nährstoffe enthält, also in Richtung verarbeiteter Nahrungsmittel. In diesem Fall würde die Nahrungsmittelproduktion zur reinen Zulieferindustrie für die Verarbeitung. Heute produzieren 500 Millionen Kleinbauern drei Viertel der Nahrungsmittel.
Die Frage der Neuverteilung von wirtschaftlichen Möglichkeiten steht im Raum. «Digitalisierung ist hoch politisch», sagt Flury. Würden die Bauern des Südens und deren Ware plötzlich gar nicht mehr gebraucht? Würde ihnen der Zugang zum Markt im Norden – ein Ziel der Entwicklungszusammenarbeit – gänzlich verwehrt? «Damit muss die DEZA sich beschäftigen», sagt Flury. Denn die technischen Entwicklungen und der Rest der Welt warten nicht auf die Ärmsten.
Pflanzenkliniken: Video der DEZA über ein Projekt für Kleinbauern
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