Warum ein Bericht zu besserer politischer Bildung beitragen könnte
Wie weit sollte der Staat gehen, um sicherzustellen, dass die Wähler auch wirklich informiert zur Urne schreiten?
Während einer kurzen Diskussion in der kleinen Parlamentskammer (Ständerat) forderte Andrea Caroni, der Vertreter des Kantons Appenzell Ausserrhoden, die Regierung auf, einen Überblick über ihre Massnahmen zur Förderung der politischen Bildung vorzulegen.
Caroni betonte, wie wichtig gerade in einer direkten Demokratie wie der Schweiz informierte und aktive Staatsbürger sind – schliesslich werden sie mehrmals im Jahr zu unterschiedlichsten Fragen an die Urnen gerufen. Seinem Vorstoss schlossen sich mehrere Parlamentarier an.
Bildungsminister Johann Schneider-Ammann stimmte grundsätzlich zu, bezweifelte aber im Namen der Regierung die Notwendigkeit, noch mehr Berichte und Analysen zu erstellen. «Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlen die finanziellen Mittel», beschied er in Anlehnung an Goethe.
Laut Schneider-Ammann tut sich in diesem Bereich einiges. Er verwies auf vom Bund geförderte Organisationen und Bildungsprojekte, etwa Jugendversammlungen, Online-Informationsportale und Broschüren.
Caroni hingegen wies das Argument fehlender finanzieller Mittel zurück. Er betonte, es zahle sich aus, klar zu wissen, wo Verbesserungen möglich sind.
swissinfo.ch: Ist eine solche Aufstellung wirklich notwendig? Schliesslich ist doch weitgehend bekannt, was auf Kantonsebene in den Schulen und anderswo durch die Bundesbehörden geleistet wird.
Andrea Caroni: Die Regierung hat tatsächlich mehrere sektorielle Untersuchungen vorgelegt, was an den Schulen auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt wird. Was aber fehlt, ist eine zusammenhängende Gesamtschau der nationalen Landschaft politischer Bildung. Erst dann können wir erkennen, ob bestimmte Aspekte zweimal abgedeckt werden oder ob die Gelder besser eingesetzt werden könnten.
swissinfo.ch: Wo vermuten Sie Defizite?
A.C.: Vermutlich besteht im Bereich der politischen Erwachsenenbildung noch Handlungsbedarf. Dies betrifft insbesondere Menschen, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem man zuhause oder in der Schule nicht so über Politik diskutieren konnte, wie dies in der Schweiz der Fall ist.
swissinfo.ch: Was sind die nächsten Schritte, sobald der Bericht vorliegt?
A.C.: Die parlamentarische Kommission wird den Bericht lesen und diskutieren. Anschliessend werden wir sehen, was im Bereich der Staatsbürgerkunde getan werden muss. Vielleicht zeigt sich ja auch, dass kein Handlungsbedarf besteht. Auch diese Option will ich nicht ausschliessen.
swissinfo.ch: Was haben die bisherigen sechs parlamentarischen Vorstösse in den letzten vier Jahren gebracht?
Wahlbeteiligung
In den letzten Jahren lag die Beteiligung an landesweiten Abstimmungen bei etwa 45%; an den Parlamentswahlen nahmen im letzten Jahrzehnt rund 48% der Wahlberechtigten teil.
Nur selten lockt eine Frage mehr als 60% der 5,2 Millionen Abstimmungsberechtigten an die Urne.
Allerdings zeigt eine Untersuchung der Universität Genf, dass rund neun von zehn Schweizern zumindest sporadisch an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen.
A.C.: Die Regierung hat in den letzten Jahren einiges angestossen. Einige dieser Massnahmen gingen vielleicht tatsächlich auf Vorstösse des Parlaments und entsprechende Abklärungen zurück.
Doch die meisten parlamentarischen Vorstösse wurden von der Regierung mit der Begründung zurückgewiesen, ein weiterer Bericht sei nicht nötig. Aus diesem Grund ist nun eine Gesamtschau erforderlich, welche die sektoriellen Untersuchungen zusammenführt.
swissinfo.ch: Wenden wir uns kurz Ihrer Person zu. Wann und wie erwachte Ihr Interesse an Politik?
A.C.: Mein Interesse an Politik lässt sich nicht an einer besonderen Frage festmachen. Es hat mir schon immer Spass gemacht, zu diskutieren und mich gesellschaftlich zu engagieren. Ein entscheidender Moment für mich war, als ein Geschichtslehrer mich dazu bewegte, an einer Schuldebatte über die Abschaffung der Landsgemeinde teilzunehmen. Das Diskutieren und Argumentieren hat mir gefallen.
Später besuchten wir dann hier in Bern das Bundeshaus und trafen den damaligen Ständerat von Appenzell Ausserrhoden. Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal in seine Fussstapfen zu treten.
swissinfo.ch: Gab es in Ihrer Familie Vorbilder?
A.C.: Seit Teenagertagen diskutiere ich immer wieder mit meinem Vater, der ähnliche politische Ansichten vertritt wie ich. Er nimmt zwar an allen Wahlen und Abstimmungen teil, ist aber selbst nie in der Politik aktiv gewesen. Zwischenzeitlich war meine Mutter Gemeinderichterin. Bei politischen Themen ist mein Vater aber immer noch einer meiner wichtigsten Sparringspartner. Das gilt auch für den Lebensgefährten meiner Mutter. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, meine ganze Familie für Politik zu begeistern. (lacht)
swissinfo.ch: Was ist für junge Menschen die beste Möglichkeit, wenn sie sich politisch engagieren möchten?
A.C.: Natürlich braucht man keine bestimmte Schule zu besuchen, um in der Politik aktiv zu werden. Wenn Schülerinnen und Schüler das Parlament besuchen, rate ich ihnen gerne, an Jugendversammlungen oder hier in Bern an der Jugendsession teilzunehmen.
Ich denke auch, dass man sich mit der Entscheidung für eine bestimmte politische Partei ein wenig Zeit lassen sollte. Es dauert nämlich, bis man diejenige Gruppierung gefunden hat, die wirklich zu einem passt. Und wenn man zu häufig wechselt, geht das zulasten der Glaubwürdigkeit.
swissinfo.ch: Sollten die Bürger zu grösserer Beteiligung aufgefordert werden, quasi als staatsbürgerliche Pflicht, wie das vor ein paar Jahren ein Think Tank vorschlug?
A.C.: Ich halte gar nichts davon, die Bürger zu etwas zwingen zu wollen, sei es mit einer Wahlpflicht oder anderen Regelungen. Der Staat sollte sich da so weit wie möglich heraushalten. Ein politisches Recht beinhaltet auch das Recht, nicht davon Gebrauch zu machen.
Idealerweise entscheiden sich die Menschen aus freiem Willen dafür, sich als Staatsbürger aktiv einzubringen.
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