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Wie steht es mit den Rechten der LGBTIQ in der Schweiz?

Leihmutterschaft für LGBTIQ-Paare in der Ukraine: «Nur eine Frage der Zeit»

Baby und Betreuerin
Die Ukraine ist eines der wenigen Länder, die kommerzielle Leihmutterschaft für ausländische verheiratete und heterosexuelle Paare zulassen. Copyright 2022 The Associated Press. All Rights Reserved.

Die Ukraine ist zwar eines der beliebtesten Ziele für ausländische Paare, die eine Leihmutterschaft in Anspruch nehmen wollen. Doch die derzeitige Gesetzgebung weist laut einer in Zürich ansässigen ukrainischen Rechtsexpertin zahlreiche Lücken auf. Die Regierung der Ukraine diskutiert derzeit über ein Gesetz, das diese Lücken schliessen soll.

Die Ukraine ist eines der wenigen Länder, die kommerzielle Leihmutterschaft für ausländische verheiratete und heterosexuelle Paare zulassen. Laut Schätzungen werden in der Ukraine jedes Jahr etwa 2000 Babys durch Leihmutterschaft geboren.

Die Paare werden durch den hohen Standard der medizinischen Versorgung in der Ukraine, die Nähe zu Westeuropa und die günstigen Kosten der Leihmutterschaft angezogen.

Das Land prüft derzeit mehrere Gesetzesänderungen im Bereich der reproduktiven Rechte. Sollten sie in Kraft treten, wäre dies ein Meilenstein und könnte den Weg für die Leihmutterschaft für LGBTIQ-Paare ebnen, sagt Kateryna Moskalenko. Sie ist Gastwissenschaftlerin an der Universität Zürich und Rechtsexpertin für Leihmutterschaft.

Die Juristin mit Spezialisierung auf Leihmutterschaft ist ausserordentliche Professorin an der zivilrechtlichen Abteilung des Pädagogischen und Wissenschaftlichen Instituts für Recht der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew.

Im Rahmen des Scholars at Risk ProgramExterner Link des SNF (Schweizerischer Nationalfonds) ist sie Gastwissenschaftlerin an der Universität Zürich und nimmt am University Research Priority Program (URPP) Human Reproduction Reloaded | H2RExterner Link teil.

Im Mai 2022 hielt sie an der Universität Zürich eine Vorlesung über einen Überblick über die gesetzliche Regelung der Leihmutterschaft in der Ukraine.

swissinfo.ch: Warum hat das ukrainische Parlament beschlossen, das Gesetz über die Leihmutterschaft zu ändern?

Kateryna Moskalenko: Die Leihmutterschaft wird durch mehrere Gesetze geregelt, darunter das Familiengesetzbuch und das Zivilgesetzbuch der Ukraine. Aber es gibt kein spezielles Gesetz für die assistierte Reproduktionstechnologie (ART).

Es liegen drei Entwürfe auf dem Tisch. Einer wurde vom Ministerkabinett [der ukrainischen Regierung] Ende 2021 vorgelegt, die anderen von den Abgeordneten des ukrainischen Parlaments im folgenden Monat als Alternative. Ziel ist es, ein spezielles Gesetz für die ART zu schaffen.

In einem Vortrag an der Universität Zürich im Mai erwähnten Sie Schlupflöcher in der aktuellen Gesetzgebung. Können Sie dies ausführen?

Das geltende Leihmutterschafts-Gesetz berücksichtigt nicht die medizinischen und sozialen Voraussetzungen der Wunscheltern, wie dies bei Adoptionen der Fall ist. Um ein Kind adoptieren zu können, müssen die künftigen Eltern mehrere Kriterien erfüllen, die das Wohl des Kindes gewährleisten. Dies ist bei einer Leihmutterschaft nicht immer der Fall.

Kateryna Moskalenko
Kateryna Moskalenko. Kateryna Moskalenko

Sie haben auch darauf hingewiesen, dass der Inhalt der Verträge zwischen den Wunscheltern und der Leihmutter nicht geregelt und keine notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist.

Eine Kopie des Vertrags sollte irgendwo aufbewahrt werden, am besten bei einem Notar. Notariell beglaubigte Dokumente können in der Ukraine viele Jahre lang archiviert werden. So ist gewährleistet, dass man im Fall einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung immer einen Bezugspunkt hat.

Derzeit besteht das Problem darin, dass es keine Vorschriften gibt, was in Leihmutterschafts-Verträgen enthalten sein sollte; es werden nur allgemeine Bestimmungen verlangt. Das Gesetz gibt beispielsweise keine Hinweise darauf, wer für die medizinischen Kosten verantwortlich ist und was passiert, wenn der Fötus eine Anomalie aufweisen sollte.

Gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz müssen für eine Leihmutterschaft in andere Länder wie die Vereinigten Staaten ausweichen, da eine Lebenspartnerschaft zwischen ihnen in der Ukraine nicht anerkannt wird. Könnte sich das in Zukunft ändern?

Beim ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski wurde eine Bürgerpetition eingereicht, in der die rechtliche Anerkennung der zivilrechtlich eingetragenen Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare gefordert wird.

Der Präsident antwortete am 2. August darauf: Er forderte die Regierung auf, die Petition zu prüfen und ihn über ihre Ergebnisse zu informieren.

Die Ukraine ist auch Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention. Als solches sollten wir die Empfehlungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte befolgen. Ich denke also, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Gesetzgeber den Zugang zu ART-Technologien und Leihmutterschaft für LGBTIQ-Paare in Betracht zieht.

Wie gut schützen die derzeitigen Vorschriften die Rechte des Babys? Was geschieht, wenn ein Baby mit Behinderungen geboren wird?

Normalerweise gehen die Wunscheltern mit dem Baby nach Hause. Aber es gibt eine Bestimmung im Familiengesetzbuch der Ukraine: Wenn das Kind behindert ist, kann das Paar das Kind im Spital lassen. Das gilt nicht nur für die Leihmutterschaft, sondern für alle Fälle.

Zwei der Entwürfe sehen vor, dass das Paar das Kind mit nach Hause nehmen soll, auch wenn es mit Behinderungen geboren wurde. Ich denke, das ist richtig.

Was halten Sie von den Entwürfen?

Es ist sehr gut, dass in allen Entwürfen die verschiedenen beteiligten Parteien definiert werden: Wer ist die Leihmutter, wer sind die Eltern, welche Klinik ist involviert? Sie listen die Bestimmungen und Formen des Leihmutterschafts-Vertrags auf und legen die Bedingungen für die zukünftigen Eltern fest.

Fantastisch ist meiner Meinung nach, dass alle Entwürfe das Einfrieren von Eizellen, Spermien und Embryonen regeln. Sie regeln auch, wie solche in die und aus der Ukraine transferiert werden können. Die derzeitige Gesetzgebung in der Ukraine schweigt zu diesen Fragen weitgehend.

Die Gesetzesentwürfe befassen sich auch mit der sehr wichtigen Frage der posthumen Reproduktion. Viele junge Männer ziehen in den Krieg, und ihre Frauen wollen im Fall ihres Todes Zugang zum Sperma ihres Ehemanns haben. Das ist überhaupt nicht geregelt. Dies ist eine dringende Angelegenheit.

Fotos von im Krieg gefallenen Soldaten
Im Krieg in der Ukraine kamen viele Soldaten ums Leben. Copyright 2022 The Associated Press. All Rights Reserved

Einer der Entwürfe sieht vor, dass die Leihmutterschaft für Eltern aus Ländern nicht zulässig sein soll, in denen die Leihmutterschaft verboten ist. Bedeutet dies, dass Schweizer Eltern in Zukunft keine Leihmutterschaft mehr erhalten können?

Der Grund dafür ist, dass das Kind nicht registriert werden kann, wenn es in das Heimatland der Eltern zurückkehrt. Sollte dieser Entwurf also angenommen werden, dürften Schweizer Paare, die in der Schweiz leben, keine Leihmutterschaft mehr in der Ukraine in Anspruch nehmen. Aber das steht nur in einem der Entwürfe.

Wann wird das Gesetz voraussichtlich verabschiedet werden? Gibt es einen konkreten Zeitplan?

Nach dem Zeitplan des Parlaments hätte das Gesetz über die künstliche Befruchtung in der ersten Hälfte des Jahres 2022 verabschiedet werden sollen. Der Krieg in der Ukraine hat jedoch den Gesetzgebungsprozess gestört. Ich weiss nicht, wann dieser Entwurf angenommen werden wird. Wahrscheinlich frühestens 2023.

Der Krieg hat die Fragilität der grenzüberschreitenden Leihmutterschaft ins Rampenlicht gerückt.

Als der Krieg begann, wollten viele ausländische Paare ihr Geld für Leihmutterschaften, die noch nicht begonnen hatten, zurückerhalten. Aber nicht alle Leihmutterschafts-Verträge enthalten eine Klausel für einen solchen Fall. Das kann zu Gerichtsverfahren führen.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Paare ihre Embryonen ins Ausland übertragen lassen wollten, zum Beispiel nach Georgien [wo Leihmutterschaft ebenfalls erlaubt ist]. Aber wie ich schon sagte, ist der Transfer von Embryonen überhaupt nicht geregelt.

Auch die Flucht von Leihmüttern aus dem Land kann ein Problem darstellen. Leihmutterschafts-Verträge sind nur innerhalb der Ukraine gültig. Wenn die Leihmutter in ein Land flieht, in dem Leihmutterschaft verboten ist, wird sie dort als Mutter des Kindes registriert. Der Transport des Kindes und die Sicherheit der Leihmutter sind ein grosses Problem für die Eltern.

Eine Schweizer Forscherin sagte in einem Interview mit swissinfo.ch, dass Leihmütter oft ausgebeutet werden. Stimmt das?

Ich teile die Meinung nicht, dass Leihmütter ausgebeutet werden. Viele von ihnen tun dies aus altruistischen Gründen, nicht weil sie damit Geld verdienen wollen.

Die Leihmutter erhält ein Drittel des Betrags. Die Summe für eine Leihmutterschaft in der Ukraine beträgt etwa 35’000 Euro (33’000 Franken). Die Mutter erhält zwischen 10’000 und 14’000 Euro.

Der grösste Teil des Geldes geht an die medizinische Klinik, um die Behandlung und die Tests zu bezahlen. Auch die Anwälte, die während des Prozesses viel arbeiten, werden bezahlt.

Normalerweise können im Vertrag finanzielle Vorkehrungen für die Genesung der Leihmütter nach der Schwangerschaft getroffen werden. Ich bin davon überzeugt, dass Leihmütter die gesamte erforderliche Betreuung erhalten.

Editiert von Virginie Mangin

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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