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«Man mag uns und man spricht mit uns»

Botschafter Tim Guldimann in Kassel: "Der Beitrag der Schweiz ist in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt." Monika Uwer-Zürcher

Der substanzielle Beitrag, den die Schweiz zur Stabilisierung des Euro leiste, sei den Deutschen sehr wohl bewusst, sagt Tim Guldimann. Der Schweizer Botschafter in Berlin plädiert deshalb für einen selbstbewussten Auftritt der Schweiz.

Das Gespräch mit Botschafter Guldimann führte swissinfo.ch am Rande der Jahreskonferenz der Auslandschweizer-Organisation (ASO) Deutschland, die vom 17. bis 20. Mai in Kassel stattfand.

swissinfo.ch: Europa steht im Zeichen des Krisenmanagements, in das die Schweiz nicht direkt involviert ist. Welche Rolle spielt sie? 

Tim Guldimann: Im Hinblick auf die Währungs- und Eurofrage gilt es, die sehr bedeutende Rolle, die insbesondere die Schweizerische Nationalbank in den letzten Jahren gespielt hat, zu unterstreichen. Dasselbe gilt für die Beteiligung der Schweiz am Internationalen Währungsfonds (IWF), der aktiv an der Stabilisierung des Euros mitwirkt.

Die Nationalbank hat massiv an den Devisenmärkten interveniert mit dem Ziel, die Deflation zu bekämpfen und die Überbewertung des Frankens zu reduzieren.

Das ist nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus geschehen, dass wir «im selben Boot sitzen «: Indem die SNB an den Märkten für über 100 Mrd. Franken Euro gekauft hat, trägt sie zur Stützung des Euro-Kurses bei. Das ist den deutschen Entscheidungsträgern bewusst.

Zurück zum IWF, der jetzt eine wichtige Rolle spielt: Die Schweiz zählt zu den wichtigsten Beitragszahlern, und als solcher haben wir allen Grund, auf die aktive Rolle der Schweiz in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Wir leisten einen substanziellen Beitrag – nicht aus Nächstenliebe, sondern aus der Überzeugung heraus, dass der Schutz unserer Währung vor zu starker Überbewertung in unserem eigenen Interesse liegt.

Obwohl unser Beitrag in der Öffentlichkeit vielleicht zu wenig bekannt ist, wird er wohlwollend zur Kenntnis genommen.

swissinfo.ch: Zum Steuerabkommen, das die Regierungen in Bern und Berlin abschliessen wollen: Erhalten Sie viele Einladungen im Stile von «Herr Botschafter, erklären Sie uns das Schweizer Steuersystem?» 

T.G.: Ja, es gibt solche Anfragen für öffentliche Auftritte und Gespräche. Das Steuerabkommen, dessen Ratifizierung derzeit diskutiert wird, ist ein wichtiges Thema in unseren Kontakten zu Politikern und Parlamentariern in Deutschland.

Die zweite Frage ist, inwiefern das Thema die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland beeinflusst oder kritisch beeinflussen könnte.

Dabei müssen wir klar unterscheiden zwischen einem weit verbreiteten Goodwill und Wohlwollen unserem Land gegenüber einerseits und kritischen Fragen zu gewissen Aspekte wie dem Steuerbereich und dem Finanzplatz der Schweiz andererseits.

swissinfo.ch: Das Steuerabkommen ist noch nicht ratifiziert, der Steuerstreit damit noch nicht ausgestanden. Der Fluglärmstreit ist auch nach über zehn Jahren noch ungelöst. Sind Deutschland und die Schweiz zwei Nachbarn im Streit? 

T.G.: Nein, überhaupt nicht. Zwischen der Schweiz und Deutschland bestehen sehr gute Beziehungen. Sowohl die Haltung der Deutschen generell als auch diejenige der deutschen Politik gegenüber der Schweiz ist sehr positiv. Als Indiz dafür sehe ich etwa den privilegierten Zugang, den wir als Schweizer zu den offiziellen Stellen in Deutschland haben.

Die positive Grundhaltung wird von den Fragen, die bilateral gelöst werden müssen, nicht negativ beeinträchtigt. Wenn wir hinsichtlich dieser Fragen von gewissen Kreisen vermehrt kritisiert werden, bedeutet das nicht, dass darunter die Sympathien für die Schweiz leiden.

Im Gegenteil! Wir stellen fest, dass angesichts der Probleme des Euro und der Staatsverschuldung die Haltung gegenüber der Schweiz eher noch positiver geworden ist.

swissinfo.ch: Was ist Ihr Beitrag zur Lösung des Steuerstreits als Botschafter? 

T.G.: Teilweise sass ich mit am Verhandlungstisch. Mein Beitrag besteht zum einen darin, den Verantwortlichen in Bern die innenpolitische Sicht und die innenpolitischen Voraussetzungen in Deutschland in dieser Frage darzulegen.

Konkret spielt bei der anstehenden Ratifizierung des Abkommens der deutsche Bundesrat eine grosse Rolle. Dabei geht es um die Konstellation in der Länderkammer und die dahinter stehenden politischen Interessen, insbesondere jener der Sozialdemokraten (SPD) und Grünen. Diese hatten im letzten Jahr erklärt, dass sie dem Abkommen in der vorliegenden Form nicht zustimmen könnten.

Zum anderen pflege ich Kontakte zu Bundesländern und namentlich zu Finanzministern von Bundesländern, die von der SPD regiert werden. Ihnen erkläre ich das Steuerabkommen aus Schweizer Sicht und bringe ihnen bestimmte Aspekte der Diskussion in der Schweiz näher. Etwa, weshalb die Frage der Diskretion und des Schutzes der Privatsphäre für uns in der Schweiz historisch so wichtig ist.

Diese Position können wir jetzt glaubwürdig vertreten, wenn wir aktiv dafür eintreten, dass in der Schweiz nur noch versteuerte Vermögen verwaltet werden.

swissinfo.ch: Die Tonart war teilweise ins Schrille abgeglitten, nicht nur in Medien, sondern auch in Berlin, als der damalige Finanzminister Steinbrück der Schweiz mit der Entsendung der Kavallerie drohte. Hat das Image der Schweiz in Deutschland Schaden genommen? 

T.G.: Nein, das glaube ich nicht. Gerade Peer Steinbrück steht mit seiner Persönlichkeit für die erwähnte Differenzierung zwischen einer generell sehr positiven Haltung unserem Land gegenüber, und in seinem Fall einer scharfen, auch emotionalen Kritik in Bezug auf Aspekte des Finanzplatzes sowie dem Vorwurf der Steuerhinterziehung.

Für uns geht es darum,  aufzuzeigen, welche Schritte die Schweiz bis jetzt auf dem Finanzplatz gegen Geldwäscherei, Insidergeschäfte oder Potentaten-Gelder unternommen hat. Jetzt gilt es vor allem, über das Steuerabkommen zu informieren.

Wir haben uns den kritischen Fragen zu stellen. Aber wir haben keinen Grund, diese als generelles Misstrauensvotum gegen die Schweiz zu interpretieren.

Ein Beispiel: Vergangene Woche besuchte uns eine Gruppe von jungen Schweizer Parlamentariern. Zum Nachtessen in unserer Botschaft hatten sich auch 20 deutsche Parlamentarier angemeldet. Das verdeutlicht den einfachen Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern und das Interesse sowie die Sympathie, die man der Schweiz hierzulande entgegen bringt.

Das Schweizer Parlament berät in der Sommersession, die am Dienstag begonnen hat, die Steuerabkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich.

Die vorberatenden Kommissionen von National- und Ständerat empfehlen die drei Abkommen zur Annahme.

Von den Parteien haben nur die Sozialdemokraten und die Schweizerische Volkspartei (SVP) Opposition angekündigt.

Selbst bei einem Ja in der Schweiz sind die Abkommen fraglich. In Deutschland will die rot-grün dominierte Länderkammer das Abkommen bekämpfen. Die Abstimmung dort findet Ende November statt.

Auch in Grossbritannien und Österreich gab es kritische Stimmen.

Im Zentrum der Abkommen steht eine Abgeltungssteuer, die ausländische Kunden auf ihren bisher unversteuerten sowie auf künftigen Guthaben auf Schweizer Bankkonten leisten müssen.

Die Erträge aus der Abgeltungssteuer würden anonym an die Vertragsstaaten fliessen.

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Beitragszahlern des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die beiden grössten Beitragszahler sind die USA und Japan. Auch Deutschland trägt einen grossen Anteil.

Der Beitrag eines Landes im IWF richtet sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Stärke des Finanzplatzes sowie nach freiwilligen Beiträgen.

Gemäss der Quoten- und Gouvernanzreform des IWF soll die Schweiz ihre Beiträge von 4,5 Mrd. auf neu 7,5 Mrd. Franken erhöhen.

Zudem wird sich die Schweiz mit 10 Mrd. Franken an der Aufstockung der Reserven beteiligen, mit denen der IWF das Finanzsystem stärken und die Weltwirtschaft stabilisieren will.

Dies versprach Bundespräsidentin und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Anfang Mai 2012 in Washington.

Der Milliardenkredit muss noch vom Schweizer Parlament abgesegnet werden.

Im Zuge der IWF-Reform wird die Schweiz an Einfluss verlieren, weil sie den Vorsitz in der Stimmrechtsgruppe «Helvetistan» künftig mit Polen teilen muss.

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