Mehr Geld und Show im Wahlkampf
Charisma und Finanzen würden wichtiger, es käme zu mehr Parteipolitik in der Regierungsarbeit. Diese Konsequenzen sehen Insider und Kommunikations-Experten auf Schweizer Minister zukommen, würde die Regierung in Zukunft vom Stimmvolk direkt gewählt, wie dies eine Initiative fordert.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger, Regierungsrat des Kantons Zürich von 1991 bis 1995 und von 1995 bis 2010 Schweizer Minister für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, hat zahlreiche Wahlen hinter sich.
Einmal gewählt, muss sich der gesamte Bundesrat, die aus sieben Ministerinnen und Ministern bestehende Schweizer Landesregierung, alle vier Jahre dem Parlament zur Wiederwahl stellen – meistens eine reine Formsache. Die Volksinitiative «Volkswahl des Bundesrates» verlangt, dass in Zukunft das Stimmvolk Wahl und Wiederwahl von Regierungsmitgliedern übernehmen soll.
Würde diese Initiative am 9. Juni 2013 angenommen, wäre für Leuenberger das Geld die dringendste Frage: «So lange die Finanzen nicht transparent ausgewiesen werden, sind wir ein demokratisches Entwicklungsland», sagt er. «Wenn einzelne Bundesrats-Mitglieder mit Millionen von heimlichen Sponsoren unterstützt werden könnten, fände ich das verheerend.»
Für Leuenberger wäre daher nach einer Annahme der Initiative «auf jeden Fall nötig», dass die Schweiz ein Parteiengesetz erhalten würde. Denn gegenwärtig ist die Frage der Finanzierung von politischen Parteien hierzulande überhaupt nicht geregelt.
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«Bei uns kann man mit grössten Beträgen und anonym Parteien finanzieren, So etwas ist in keinem anderen Land möglich», sagt Oswald Sigg, von 2005 bis 2009 Schweizer Vizekanzler und Sprecher des Bundesrats.
Wenn man ins europäische Ausland blicke, sehe man, dass dort nationale Wahlkämpfe, besonders Präsidentschaftswahlen, «sehr stark auch und gerade von den finanzkräftigen politischen Parteien abhängig sind».
Sigg sieht «eine grosse Gefahr» in der Tatsache, «dass über diesen Mechanismus das Geld für die Volkswahlen in den Bundesrat eine ganz grosse Rolle spielen könnte. Und dafür wäre sowohl der Bundesrat wie auch das politische System der Schweiz zu schade».
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«Aufwendiger Wahlkampf»
Auch Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher, von 1988 bis 1992 Generalsekretär der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), ist der Meinung, dass für den Wahlkampf viel mehr Geld als heute eingesetzt werden müsste.
«Es wäre für Menschen, die nicht gerade als Unternehmer oder in ihrer gesellschaftlichen Funktion an vorderster Stelle in der öffentlichen Meinung stehen, notwendig, einen aufwendigen Wahlkampf zu betreiben, um überhaupt gewählt zu werden», betont er.
Kampagnenspezialist Mark Balsiger bezieht sich auf eine Studie, die gezeigt habe, dass bereits heute ein Ungleichgewicht in der Finanzierung von Wahlkämpfen bestehe. «Das würde dann offensichtlicher», schätzt er.
Doch auch ein überzeugendes Auftreten eines Kandidaten, einer Kandidatin in der Öffentlichkeit würde mit der Volkswahl viel wichtiger, sagt Balsiger. «Im Idealfall haben sie Charisma, können gut reden, sind eloquent, sehen gut aus, haben eine überzeugende Stimme.» Und um politisch überleben zu können, müssten sie viel mehr Zeit für öffentliche Auftritte aufwenden.
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Bundesrat
Bleiben Inhalte auf der Strecke?
Balsiger befürchtet, dass bei Personen, die solchen Ansprüchen genügen müssten, die politischen Inhalte in den Hintergrund rücken könnten.
Zudem könnte es sein, «dass man unpopuläre Änderungen auf die lange Bank schiebt und sich nur noch jenen Dossiers widmet, die einem gewinnbringend Wind zuführen können». So sei zum Beispiel in der Ära von Bundeskanzler Helmut Kohl in Deutschland «ganz vieles bewusst hintenangestellt» worden, «im Wissen darum, dass es unpopulär wäre».
Dieses Argument hänge stark mit dem Zweiparteien-System zusammen, das in vielen Ländern praktiziert würde, glaubt Moritz Leuenberger. «Dort kämpft jeder um die Mitte und die Parteien gleichen sich immer mehr an», was dazu führen könne, dass gewisse Themen gepflegt würden und andere nicht. «Das hat mit der politischen Realität nichts mehr zu tun.»
Die Volksinitiative «Volkswahl des Bundesrates» verlangt, dass die sieben Mitglieder der Landesregierung vom Volk in direkter Wahl nach dem Majorz-Prinzip gewählt werden sollen.
Das heisst, wer die meisten Stimmen erhält, ist gewählt.
Dabei soll die gesamte Schweiz einen Wahlkreis bilden. Mindestens zwei Sitze sollen für Kandidierende aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz reserviert werden.
Ausgewogene Kantonsregierungen
In der Schweiz hingegen sei ein «proportionales Denken derart verankert, dass jeder Kanton – mit leichten Verschiebungen – parteipolitisch sehr ausgeglichene Regierungen wählt».
Leuenberger spricht dabei die Tatsache an, dass in der Schweiz die Kantonsregierungen direkt vom Volk gewählt werden. Als ehemaliger Regierungsrat des Kantons Zürich hat er dies selber mehrmals erlebt. Der Wahlkampf habe jeweils etwa ein halbes Jahr vor der Wahl angefangen.
«Wir haben uns vor jedem Auftritt, ob wir vor der eigenen Partei oder in irgendeiner Zusammensetzung für ein Podiumsgespräch oder ein Interview aufgetreten sind, im Gremium gefragt, wie wir das machen wollen, damit wir uns einerseits für unsere grundsätzliche Meinung profilieren können, andererseits die Kollegialität und den getroffenen Konsens nicht verletzen. Das ging so weit, dass wir geübt haben, wie man das macht.»
Vom Argument, ein vom Volk gewählter Bundesrat würde sich ständig im Wahlkampf befinden, hält er deshalb nichts. Was aber nicht heisse, dass er für die Initiative sei, schiebt er nach.
Auch Rickenbacher ist der Meinung, dass vom Volk gewählte Kantons- und Stadtregierungen «durchaus als Kollegialbehörde funktionieren, obwohl sie alle vier Jahre Wahlkämpfe bestreiten müssen und zum Teil in den Parteien stark eingebunden sind».
Als 1848 der Bundesstaat Schweiz gegründet wurde, sprach sich die Tagsatzungs-Kommission knapp dafür aus, dass der Bundesrat (Landesregierung) durch das Parlament gewählt werden soll. Das Parlament (Bundesversammlung) wird vom Stimmvolk gewählt.
Die Schweizer Regierung (Exekutive) besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre gewählt oder bestätigt werden.
Auch jeder der 20 Kantone und 6 Halbkantone hat eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament. Diese werden direkt vom Stimmvolk gewählt.
Die Kantone sind vergleichbar mit den deutschen Bundesländern oder den amerikanischen Bundesstaaten.
Frage der Stabilität
Die Wahl des Bundesrats durch das Volk würde «das System auf den Kopf stellen», ist Oswald Sigg hingegen überzeugt.
Der Vorteil des Bundesrates sei, «dass er einem nationalen Wahlkampf entrückt ist und sich ’nur gerade› der Bundesversammlung stellen muss und ihr gegenüber verantwortlich ist. Das ist ganz sicher auch ein wesentliches Element für die Stabilität der Institution Bundesrat».
Leuenberger hingegen glaubt nicht, dass eine direkt durch das Stimmvolk gewählte Landesregierung weniger stabil wäre.
«Diese Entwicklung ist zwar zu beobachten, aber sie hat nichts mit einer Volkswahl zu tun. Die Volkswahl würde die Exekutive als unabhängige Gewalt gegenüber dem Parlament stärken. Die Gefahr droht von den politischen Parteien. Diese versuchen schon heute, ihre Vertreter im Bundesrat zu instrumentalisieren.»
Die Mitglieder des Bundesrats seien zu «Parteimarionetten» geworden, «eine Volkswahl könnte sie sogar stärken», sagt der ehemalige Bundesrat.
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