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Mehr Klarheit bei privaten Parlamentarier-Reisen nötig

Iranische Behörden empfangen einige Schweizer Abgeordnete auf deren Privatbesuch, wie wenn diese in offizieller Mission gekommen wären. Screenshot SRF

Privatreisen von Schweizer Parlamentariern in gewisse Länder laufen das Risiko, vom Gastland instrumentalisiert zu werden. Politische Experten sind der Meinung, dass mehr Klarheit und Professionalität nötig wäre, damit diese Reisen keinen offiziellen Anstrich erhalten, so wie kürzlich im Iran geschehen. Doch solche Episoden könnten sich in jedem Fall wiederholen.

Die Problematik der privaten Auslandsreisen von Schweizer Parlamentariern erhielt vor kurzem unerwartet Aktualität.  In den Osterferien reisten sechs amtierende und ehemalige Parlamentarier der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in den Iran. Die Reisegruppe war in Teheran vom Präsidenten der parlamentarischen Auslandskommission, Allaedin Borujerdi, empfangen worden. Im Rahmen dieser Gespräche hatte Nationalrat Luzi Stamm unter anderem die Sanktionen gegen den Iran kritisiert, die auch von der Schweiz offiziell befolgt werden.

Die Erklärungen wurden von der iranischen Presseagentur Irna aufgenommen und von den iranischen Medien verbreitet, insbesondere von der englischsprachigen Website «Teheran Times». Die Meldung machte den Anschein, als ob es sich um eine offizielle Visite der Schweizer Parlamentarier gehandelt hätte und Stamm das Parlament vertreten würde.

Diese Angelegenheit hat in der Schweiz grossen Wirbel verursacht. Doch abgesehen von einer heftigen Medien- und Politikerschelte hatte die Geschichte für die beteiligten Parlamentarier keine Konsequenzen. Das war auch schon früher in analogen Fällen so.

«Es gibt keine geschriebenen Regeln, an die sich Parlamentarier halten müssen, wenn sie privat im Ausland unterwegs sind. Ein Parlamentarier ist als Privatperson jedem anderen Bürger gleichgestellt; er repräsentiert nicht das Parlament oder eines seiner Organe», hält Botschafter Claudio Fischer fest, der Chef  Internationale Beziehungen der Parlamentsdienste.

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Klarstellung erwünscht

René Schwok, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Genf und Autor des Buchs «Die Schweizer Aussenpolitik nach Ende des Kalten Kriegs», ist der Meinung, dass die geltende Regelung im Prinzip in Ordnung sei: «Die Parlamentarier sind Bürger eines freien Landes. Sie haben das Recht zu reisen, wohin sie wollen, und zu sagen, was sie wollen.» Sie sollten einfach keine Ambiguität mit ihren Aussagen provozieren.

«Das Problem ist der offizielle Anstrich eines Besuchs. In dieser Hinsicht wäre mehr Klarheit nötig. Dies ist nicht ganz einfach. Denn auch wenn man die Parlamentarier zwingt, den privaten und damit nicht-offiziellen Charakter ihres Besuches zu unterstreichen, gibt es keine Garantie, dass die Medien im jeweiligen Land dies ebenfalls klarstellen», meint Schwok.

«Denn einige Länder versuchen, aus dieser Art von Besuchen Profit für die eigenen Interessen zu schlagen», sagt Claudio Fischer. «Das ist nur durch das mediale Echo möglich», fügt der Historiker Sacha Zala an, Direktor der «Diplomatische Dokumente der Schweiz». 

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Fotografen der renommierten Agentur Magnum haben Momente aus dem Leben von Diplomaten festgehalten – vor und hinter der Bühne.

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«Alle Länder, die solche Besuche für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren, sind sich vollkommen im Klaren darüber, dass es für Abkommen eine Regierung und ein Parlament braucht – und nicht einige Parlamentarier, die privat unterwegs sind. Diese Art der Instrumentalisierung ist vor allem für die Öffentlichkeit zu Hause von Interesse», sagt Sala.

René Schwok ist zudem der Ansicht, «dass diktatorische Regimes mit dieser Art von Manipulation versuchen, den Westen zu spalten und zu schwächen».  Sie versuchten selbst mit Falschinformationen, sich selbst zu überzeugen, dass der Westen so geschwächt werden kann. «Sie verstehen nicht, wie demokratische Staaten funktionieren, und dass es auch eine interne Opposition gibt», so Schwok.

Schweizer Eigenheiten

Im Falle der Schweiz kommen weitere  Eigenheiten hinzu, welche die Dinge verkomplizieren. Das gilt nicht nur für Staaten unter einem diktatorischen Regime, sondern auch für die demokratischen Nachbarländer. Denn die Schweizer Parlamentarier sind gegenüber ihren eigenen politischen Parteien sehr frei und ungebunden.

«Im Schweizer Milizsystem vertritt  ein Abgeordneter nicht nur die Partei, sondern auch die eigenen professionellen Interessen. Das führt dazu, dass es weniger Fraktionszwang gibt sowie einen Mix aus einer ideologischen Sichtweise der Aussenpolitik und privaten Interessen. Dabei überwiegen häufig die privaten Interessen. Das gilt im Übrigen in allen Bereichen, nicht nur in der Aussenpolitik», betont Sacha Zala.

Eine weitere Eigenheit der Schweizer Politik ist es, dass alle grossen Parteien in der Regierung vertreten sind, aber einige dieser Parteien trotzdem bestimmte Entscheide der Regierung ständig kritisieren. «Die SVP ist beispielsweise seit über 50 Jahren in der Schweizer Regierungskoalition vertreten, gleichzeitig kritisiert diese Partei ständig die Schweizer Aussenpolitik. In anderen Ländern haben sie Mühe, dieses System zu verstehen», meint René Schwok, der häufig an Universitäten im Ausland unterrichtet.

Die Bundesverfassung legt fest, dass die Regierung für die Strategie und Umsetzung der Aussenpolitik verantwortlich ist.

Doch mit der Verfassungsrevision von 1999 hat auch die Bundesversammlung (Parlament) das Recht erhalten, an der Aussenpolitik mitzuwirken und über die aussenpolitischen Beziehungen zu wachen.

Gemäss Parlamentsgesetz verfolgen die beiden Kammern des Parlaments die internationale Entwicklung und beteiligen sich an der Meinungsbildung in grundsätzlichen Fragen der Aussenpolitik. Die Parlamentskommissionen und –delegationen arbeiten zudem mit internationalen Parlamentsverbänden zusammen und unterhalten Beziehungen zu Parlamenten im Ausland.

Der Bundesrat (Regierung) ist gehalten, die beiden Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments (Nationalrat und Ständerat) regelmässig, rasch und vollständig über wichtige Entwicklungen in der Aussenpolitik zu unterrichten.

Die Regierung muss diese beiden Aussenpolitischen Kommissionen (APK) konsultieren, bevor  grundlegende Entscheide oder Änderungen in den Richtlinien der Aussenpolitik vorgenommen werden.

In der Stellungnahme des Büros der Bundesversammlung auf eine Interpellation der SVP-Fraktion  zu den «Internationalen Beziehungen der Bundesversammlung» vom Dezember 2013 heisst es: «Die parlamentarische Diplomatie ist ein wichtiges Element des politischen Dialogs zwischen den Ländern. (…). Im Gegensatz zu anderen diplomatischen Formen bietet die parlamentarische Diplomatie bei diesem Austausch grössere Flexibilität und Offenheit, da sie weniger verpflichtend ist als die diplomatische Aktivität der Regierung.» Auslandreisen von parlamentarischen Delegationen ermöglichten zudem den Kontakt mit der Fünften Schweiz (Auslandschweizer).

 

(Quelle: Schweizer Parlament)

Zunehmender Einfluss der Parlamentarier-Diplomatie

Die drei Politik-Experten sind sich indes einig, dass die Instrumentalisierung von Privatreisen von Parlamentariern in «sensiblen» Staaten keine Schweizer Eigenheit ist und auch in jüngster Zeit nicht zugenommen hat.  Wirklich am Wachsen ist die «parlamentarische Diplomatie», das heisst die offizielle Mitwirkung von Parlamentariern an der Aussenpolitik.

Obwohl es noch keine Untersuchungen zum Einfluss der Legislative auf die internationalen Beziehungen der Schweiz gibt, steht ausser Frage, dass das Parlament in jüngster Zeit in diesem Bereich wesentlich aktiver geworden ist. «Die Rolle des Parlaments im Rahmen der Aussenpolitik hat insbesondere in den 1960er-Jahren an Bedeutung gewonnen», sagt Sacha Sala.

Diese Entwicklung hat sich noch intensiviert. «Denn es lässt sich nicht leugnen, dass immer mehr Themen einen Bezug zur Aussenpolitik haben. Innen- und aussenpolitische Themen sind untereinander  immer stärker verwoben», meint der Direktor von «Diplomatische Dokumente der Schweiz».

Klare Regeln für offizielle Missionen

Diese offiziellen Aktivitäten von Parlamentariern oder Parlamentarier-Gruppen unterscheiden sich grundlegend von Privatreisen. «Die offizielle Aussenpolitik des Parlaments ist geregelt und koordiniert. Für Auslandsreisen gibt es klare Vorschriften, genauso wie es umgekehrt klare Regeln gibt, wenn Parlamentarier aus dem Ausland empfangen werden», präzisiert Claudio Fischer.

So kann beispielsweise eine offizielle Parlamentarier-Delegation nie aus Mitgliedern nur einer Partei bestehen. Ausserdem erfolgen alle Treffen auf Augenhöhe: So trifft beispielsweise der Präsident der aussenpolitischen Kommission seinen Amtskollegen eines ausländischen Parlaments.

Die Parlamentsdienste stehen dabei mit Rat und Tat zur Seite. «Wir arbeiten sehr eng mit der Bundesverwaltung, insbesondere mit dem Departement für auswärtige Angelegenheiten zusammen», hält Botschafter Fischer fest.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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