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Italiens Idee der Steuer auf Geldtransfers kommt in die Schweiz

Kunden an einem Schalter in einem Geldtransfer-Büro
Kunden an einem Schalter von "M-Pesa" in Nairobi, Kenia, die Geld senden oder empfangen wollen. Keystone

Es geht um viel Geld. Allein im Jahr 2017 waren es 466 Milliarden Dollar. So hoch waren die Überweisungen, die ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit in ihre Herkunftsländer schickten. Für Entwicklungsländer stellen sie eines der wichtigsten Finanzmittel dar. Italien hat beschlossen, diese Transfers zu besteuern. Nun wird das auch in der Schweiz diskutiert.

466 Milliarden Dollar, das kann man sich kaum vorstellen. Im vergangenen Jahr wurden mehr als das Dreifache an Geldern von Privatpersonen in andere Länder überwiesen, als weltweit an Entwicklungshilfe geleistet wurde. Dies zeigen Zahlen der WeltbankExterner Link, die unter anderem die AufgabeExterner Link hat, die Armut auf der Welt zu beenden und den Wohlstand zu fördern.

In Indien und Mexiko überflügeln diese Überweisungen von Landsleuten im Ausland, so genannte Remittances, die ausländischen Direktinvestitionen. In Ägypten sind sie mindestens dreimal so hoch wie die Einnahmen des Suezkanals (Die Schiffspassagen brachten Ägypten 2017 Einnahmen von 5,5 Milliarden Dollar…).

Länder, die Geldüberweisungen besteuern oder dies planen:

Bahrain, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, USA und Italien

Bei einigen Ländern spielten Überweisungen eine noch grössere Rolle, sagt Pietro Veglio, Präsident von FositExterner Link, eines Verbands von rund sechzig NGO aus der italienischsprachigen Schweiz, und ehemaliger Schweizer Exekutivdirektor bei der Weltbank: «Die Überweisungen für bestimmte Länder – zum Beispiel Tadschikistan, Kirgistan, Nepal, El Salvador, Honduras – können bis zu einem Drittel des BIP ausmachen.»

Nun haben kürzlich einige Länder, in denen viele Migrantinnen und Migranten leben, die Besteuerung von Remittances ins Ausland in Betracht gezogen. Dies namentlich aus zwei Gründen: mehr Einnahmen und Abschreckung gegen illegale Aktivitäten.

Italien und die 1,5%-Steuer

Seit dem 1. Januar erhebt auch Italien einen Steuersatz von 1,5% auf alle Geldtransfers in Länder ausserhalb der Europäischen Union. Dies bestätigt Stefano Buffagni, Unterstaatssekretär der Ratspräsidentschaft der Fünf-Sterne-Bewegung.

«Es gibt in Italien generierte Finanzmittel, die ins Ausland transferiert werden. Wir halten es für richtig, dass dieses Geld in Italien ausgegeben wird. Wenn es ins Ausland verschoben wird, ist es richtig, es zu besteuern», sagt Buffagni.

Betroffen von der Steuer sind vor allem Geldtransfers in Entwicklungsländer. Es wird erwartet, dass die Steuer der italienischen Staatskasse jährlich Einnahmen von rund 60 Millionen Euro generieren könnte.

«Diese Steuer wird die prekäre italienische Finanzlage nicht lösen und schliesslich nur die Kosten für Überweisungen, die leider bereits recht hoch sind, weiter erhöhen», kritisiert Veglio. «Dies zum Schaden der Migranten – die bereits eine sehr exponierte Bevölkerungsgruppe sind – und ihrer Familien, die in oft armen Ländern leben und für ihren Lebensunterhalt von den regelmässigen Zahlungen ihrer Verwandten abhängig sind.»

Zudem gibt es laut Veglio ein weiteres Problem: «Es besteht ein hohes Risiko, dass mit dieser neuen Steuer illegale Überweisungen über informelle Kanäle zunehmen, die jeglicher Kontrolle entgehen. Fazit: Es handelt sich um eine ungerechte, regressive und ineffiziente Steuer.» Bestätigt sieht er sich durch eine Studie der WeltbankExterner Link, die zu ähnlichen Schlüssen kam.

Buffagni ist anderer Meinung: «Diese Steuer dient auch dazu, Schlaumeier zu entmutigen, denn solche Überweisungen werden oft zur Geldwäscherei verwendet.» Und er fügt an: «Ich verstehe, dass Überweisungen für die Länder, die sie erhalten, wichtig sind, aber wir müssen die Interessen Italiens vertreten, und etwas Bargeld in der Kasse hilft immer…»

Vorstoss in der Schweiz

In der Schweiz hat der Tessiner Parlamentarier Lorenzo Quadri von der Lega dei Ticinesi eine InterpellationExterner Link eingereicht, die eine Besteuerung der Auslandüberweisungen von Migrantinnen und Migranten basierend auf dem italienischen Modell verlangt. Der Verdacht sei naheliegend, dass auch ein Teil der Sozialhilfe ins Ausland überwiesen werde, schreibt er in seinem Vorstoss. Für Quadri, der unter anderem für das Sozialdepartement der Stadt Lugano verantwortlich ist, ein inakzeptabler «Schlag ins Gesicht».

Quadri allerdings lancierte diese Frage zuallererst, um «das Thema der Überweisungen im Detail zu untersuchen und zu verstehen, wie viel dieser Sektor wirklich wert ist. Wenn andere europäische Länder an die Besteuerung dieser Transfers denken, sehe ich auch nicht ein, warum die Schweiz dies nicht tun sollte: Angesichts der hohen Zahl von Migranten in der Schweiz wird das Thema wirtschaftlich interessant».

Die Situation in der Schweiz

In der Schweiz gibt es keine offiziellen Zahlen zu Geldüberweisungen ins Ausland (Remittances), sagt der Tessiner Parlamentarier Lorenzo Quadri.

Gemäss Schätzungen der Weltbank lagen die Geldtransfers aus der Schweiz 2017 bei über 8 Milliarden Dollar. Eine hohe Zahl, verglichen mit den 3 Milliarden Franken der jährlichen Entwicklungshilfe.

Die wichtigsten Empfängerländer waren Kosovo (340 Mio. Fr.), Serbien (383 Mio.), Thailand (139 Mio.), Sri Lanka (136 Mio.) und die Philippinen (75 Mio.).

Eine wesentliche Hilfe

Geldüberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer haben besondere Bedeutung erlangt (es gibt sogar einen internationalen Tag der GeldüberweisungenExterner Link). Weil diese Remittances mehr als das Dreifache der öffentlichen Entwicklungshilfe ausmachen, ist das Ziel der Weltbank, diese zu erleichtern und zu verbilligen und ihre positive Wirkung auf die Entwicklung des Empfängerlandes zu erhöhen.

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Tatsächlich seien diese Überweisungen «für viele Entwicklungsländer von entscheidender Bedeutung. Aus makroökonomischer Sicht sind sie eine wesentliche und wirksame Ergänzung der Entwicklungshilfe, besonders im Hinblick auf ihren Beitrag zur Stabilität in Zeiten der Finanzkrise und der wirtschaftlichen Rezession», sagt Veglio.

«Weil die Überweisungsströme kumulativ und anhaltend sind, sind sie berechenbar. Im Fall von Naturkatastrophen und humanitären Notfällen können Remittances eine wichtige Einnahmequelle für die Bevölkerung sein, deren Lebensgrundlagen durch Konflikte und Naturkatastrophen zerstört oder schwer beeinträchtigt werden können», so Veglio weiter.

Die Verwendung von Überweisungen

Etwa 70% der Remittances werden für die Grundversorgung ausgegeben, darunter Nahrung, Unterkunft und medizinische Behandlungen. Die restlichen 30% werden für den Aufbau einer sichereren und autonomeren Zukunft durch bessere Bildung, Ersparnisse, Vermögensaufbau und Investitionen in einkommensschaffende Aktivitäten verwendet.

Nicht zu unterschätzen in einer historischen Periode, in der Migrationsströme auch politisch ein zentrales Thema sind: Durch Überweisungen wird die Zunahme der Migration teilweise vermieden. Eine Tatsache, die selbst Quadri anerkennt, auch wenn «ein Prozentpunkt auf diese Geldüberweisungen den positiven Effekt sicherlich nicht schmälert».

Zu teure Überweisungen

Es gibt jedoch, über die Steuer hinaus, die einige Staaten nun erheben möchten, ein weiteres grösseres Problem: die Kosten der GeldüberweisungenExterner Link. Diese sind von Region zu Region unterschiedlich hoch. Sie sind aber noch meilenweit entfernt von den 3%, welche die internationale Gemeinschaft im zehnten Ziel der nachhaltigen Entwicklung festgelegt hat, um die Ungleichheit innerhalb von Staaten und zwischen diesen zu verringernExterner Link.

Die Transaktionskosten sollten gesenkt werden, ist Veglio überzeugt: «Die Kosten für Geldüberweisungen ins Ausland sind in der Regel zu hoch, und die Gebühren verschiedener Geldtransfer-Agenturen sind besonders teuer. In den letzten Jahren gab es einige lobenswerte Initiativen – besonders von Seiten der Schweiz –, um die Transparenz und den Wettbewerb zwischen den Vermittlern zu verbessern. Mit dem Ziel, die Transaktionskosten von Überweisungen zu halbieren.»

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In einigen Fällen aber wurden solche Bemühungen durch internationale Initiativen abgebremst, die mögliche Quellen der Geldwäscherei oder Terrorismus-Finanzierung beseitigen möchten.

«Die Konsequenz ist, dass die Kosten für die Übermittlung von Überweisungen erhöht wurden, zumindest in jenen Ländern, die am stärksten dem Terrorismus ausgesetzt sind», sagt Veglio. «Diese Situation hat zur Folge, dass eine beträchtliche Zahl von Überweisungen nun über informelle Kanäle getätigt wurden (Familienmitglieder, Freunde, lokale Geldverleiher, usw.).

In der Schweiz hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) 2009 eine InformationsbroschüreExterner Link herausgegeben, um Migrantinnen und Migranten zu erklären, wie sie Gelder überweisen können. Der damalige Seco-Direktor Jean-Daniel Gerber schrieb, das Ziel sei, «die Geldüberweisungen günstiger und schneller zu gestalten und die Entwicklungswirkung von Remittances zu stärken».

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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