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Militär säubert verseuchte Standorte

Altmunition, Restbestände, Granaten, Armee-Abfall: Dies alles bleibt auch dann gefährlich, wenn es nicht explodiert. swissinfo.ch

Das von der Armee benutzte Kriegsmaterial verseucht seit Jahrzehnten zahlreiche Standorte und Grundgewässer. Eine breit angelegte Säuberung soll Blei, Schwermetalle und andere Schadstoffe eliminieren.

Die Farbe feldgrün der Militäruniform hat wenig Ökologisches an sich: Munition und Geschosse, Explosivmaterial und Brennstoffe, die das Militär seit Jahrzehnten benutzt hat, haben unbequeme Altlasten hinterlassen.

Waffen- und Schiessplätze überquellen von Material, das mit der Zeit Giftstoffe an den Boden abgibt. Weniger stark, aber ebenfalls belastet, sind Wälder, Berge und Seen mit mehr oder weniger legalen Armeemüll-Deponien. Auch sie büssen für vergangene Sünden des Militärs.

Allein im Thunersee, so schätzt man, sollen zwischen 1940 und 1963 3000 Tonnen Kriegsmaterial versenkt worden sein, das am Seegrund langsam korrodiert.

Eine Art der «Entsorgung», die von der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA) stark verurteilt wird. «Dies zeigt einmal mehr, dass durch und durch hierarchisierte Institutionen, die sonst stark auf Ordnung und Disziplin achten, nicht vor völlig unverantwortlichem Handeln gefeiht sind», sagt GSoA-Sekretär Frédéric Durand, der sich für die Abschaffung des Miliärs einsetzt.

Um möglichen negativen Folgen für Bevölkerung und Umwelt vorzubeugen, hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) mit einer Aktion auf Landesebene reagiert.

2500 «wirklich stark belastete» Standorte

In Zusammenarbeit mit Armeeangehörigen und spezialisierten Geologiebüros hat das VBS dokumentiert, dass rund 8000 Standorte betroffen sind. Davon seien etwa 2500 «wirklich stark verseucht», wie im Kataster des VBS zu lesen ist.

Meist handelt es sich dabei um die Schutzwälle hinter den Zielscheiben der Schiessstände, die Projektile aufhalten (Kugelfänge). Unter den Kantonen am stärksten betroffen ist Bern mit 400 Standorten. Es folgen das Tessin, Freiburg, Waadt, Zürich und St. Gallen.

Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) ist der Schiessbetrieb die Hauptursache für Bleirückstände in der Umwelt. 2002 zum Beispiel betrugen die Emissionen aus dem Schiessbetrieb (200 Tonnen) mehr als das Doppelte des Blei-Ausstosses von Transport, Industrie und Gewerbe.

Blei und andere Schwermetalle wie Kadmium oder Zink, die in der Munition enthalten sind, verseuchen den Boden rund um die Kugelfänge, so das BAFU, was Mensch und Tier bedroht.

Besondere Sorge bereite das Antimon. Dieses Metall verhärtet das Blei in der Munition. Antimonium sei extrem giftig, andererseits aber leicht in Wasser löslich und könnte somit ins Grundwasser gelangt sein.

«Die Verseuchung des Bodens durch Munition ist ein echtes Problem», sagt Josef Lang, Nationalrat der Grünen, gegenüber swissinfo.ch. «Besonders, weil es ums Trinkwasser geht.»

Problematisch ist die Situation auch in den so genannten Unterwasser-Deponien. Im Thuner- und Brienzersee im Berner Oberland sowie im Vierwaltstätter See sollen rund 8000 Tonnen Material lagern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Munitionsmagazine der Armee übervoll. Nach schweren Explosions-Unglücken beschloss der Bundesrat 1948 eine einmalige Vernichtungsaktion. Zwischen 1948 und 1949 wurde die überzählige Munition in den Seen versenkt.

Dunkle Geheimnisse auf dem Thuner Seeboden

Gemäss der Verordnung betreffend verseuchter Standorte von 1998 ist das VBS angehalten, die Problemzonen zu inspizieren, und, wo nötig, Böden und Anlagen zu säubern.

Dies dürfte laut den Schätzungen diverser Experten innerhalb einer Zeitdauer von 25 Jahren rund eine Milliarde Franken kosten.

«Gehen wir davon aus, dass alle im Kataster aufgeführten Standorte wirklich saniert werden müssen, ist diese Summe plausibel», sagt VBS-Sprecher Martin Bühler. «Die Praxis zeigt jedoch, dass nur rund 20% der analysierten Standorte wirklich einer Sanierung bedürfen.»

Die Aktion der Armeegegner sieht auch Eingriffe für den Grundwasserspiegel vor. Nicht aber für den Grund des Thunersees. Dort erscheinen die Bergungskosten exzessiv und die Risiken hoch: Bei Manipulationen am dort gelagerten Kriegsmaterial könnte es zu ungewollten Explosionen und damit zu unbeabsichtigter Verschmutzung des Seewasser-Ökosystems kommen. Eine Sanierung scheint nicht möglich zu sein, auch aus der Sicht von Bühler.

Dieser Entscheid bringt Berufsfischer und ökologisch Engagierte in Rage. Ihrer Ansicht nach ist die Präsenz dieser Restbestände mit hohem Gefahrenpotenziel am Seegrund ein wahrer Skandal.

«Während Jahren haben wir mit der Schweizer Armee darum gerungen, diese Altbestände zu bergen. Doch das Militär bleibt dabei, dass die Altlasten nicht gross seien und der Wegtransport zu kostspielig wäre», sagte die Vertreterin der Grünen im Berner Grossrat, Christine Häsler, gegenüber dem britischen Independent.

Ende 2009 publizierte dieser eine Reportage, in der die Situation des Thunersees im Berner Oberland als «eines der dunkelsten Geheimnisse der Schweiz» dargestellt wird.

«Ökologische» Kugelschutzwälle

Um Schiessen und Umweltschutz dennoch unter einen Hut zu bringen, sind in verschiedenen Schiessständen künstliche Kugelschutzwälle hochgezogen worden. Diese erlauben es, die verschossene Munition einzusammeln.

Damit würde die Verseuchung der Umwelt minimiert, sagt das BAFU, und die Munition könne wiederverwendet werden.

Die Ruag, der grösste europäische Produzent von kleinkalibriger Munition mit Sitz in Bern, hat eine Art Munition entwickelt, die der Umwelt möglichst wenig schadet.

Gewehrkugeln sind heute also weniger umweltschädigend als früher. Doch behalten sie zumindest einen anderen schädlichen Effekt: Sie können immer noch Leute töten.

Luigi Jorio, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

In der Schweiz gibt es rund 6000 private Schiessanlagen, die nicht dem Militär gehören, und deren Boden verseucht ist.

Die Umweltbehörde des Bundes schätzt, dass sich in den letzten Jahrzehnten Hunderte von Tonnen von Blei und rund 20 Tonnen giftiges Antimon gesammelt haben.

Teils gelangen diese Stoffe immer noch in den Boden.

Die Schwermetalle gefährden vor allem das Grundwasser, zum Teil sogar das unmittelbar das Trinkwasser.

Landesweit gibt es heute etwa 50’000 belastete Standorte.

Ehemalige Industrie- und Gewerbestandorte, Unfallstandorte, Deponien wie Bonfol (für die Chemiebranche) gehören ebenso dazu wie von der Armee genutzte Standorte.

Darunter finden sich über 4’000 Altlasten, die durch den Austritt von Schadstoffen früher oder später eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen.

Die Kosten einer Sanierung werden auf 5 Mrd. Franken geschätzt.

Bis 2025 sollten die Arbeiten abgeschlossen sein.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern geht die Schweiz dieses Problem mit einer Verspätung an.

Dies hat weniger mit einem Fehlen von gutem Willen als mit den Eigenheiten der Eidgenossenschaft zu tun.

So gibt es in der Schweiz keinen Bergbau (Minen) und keine weltkriegsverseuchten Standorte.

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