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«Milizarmee ist tief im Schweizer Volk verankert»

Schweiz bleibt Milizarmee treu. Keystone

Die Schweiz bleibt eines der wenigen Länder Europas, in denen die allgemeine Wehrpflicht gilt. Mit über 73% der Stimmen hat das Stimmvolk den Wehrpflicht-Gegnern eine wuchtige Absage erteilt. Verteidigungsminister Ueli Maurer wertet das Ergebnis als Bekenntnis zur Armee und zur Sicherheit.

Die Frage, ob die Armee eine Milizarmee sein solle oder nicht, habe am Schluss wohl weniger eine Rolle gespielt, sagte Verteidigungsminister Ueli Maurer vor den Medien.

Trotz Wehrpflicht sei das aktuelle Dienstmodell für Militär und Zivilschutz nicht in Stein gemeisselt. Eine Arbeitsgruppe befasse sich bereits mit der Reorganisation des Zivilschutzes.

Auch bei der Frage des Nachtverkaufs an Tankstellen (56% Ja-Stimmen) und beim Epidemien-Gesetz (60 Ja-Stimmen) ist das Stimmvolk den Empfehlungen von Regierung und Parlament gefolgt.

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Nachdenken über Reformen

Die Befürworter der Wehrpflicht haben das wuchtige Nein erfreut zur Kenntnis genommen. «Die Milizarmee ist tief im Volk verankert», sagte CVP-Nationalrat Jakob Büchler, Präsident des Nein-Komitees. Das Volk habe Vertrauen in die Armee und stehe hinter dem aktuellen Wehrmodell.

«Das Volk steht zur Miliz und zur Wehrpflicht», freute sich auch der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, Denis Froidevaux. Man müsse dennoch über Reformen nachdenken wie zum Beispiel darüber, ob das Militär nicht künftig auch Frauen und Ausländern offen stehen sollte, so Froidevaux.

Selbstkritik

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) hat enttäuscht auf das Abstimmungsresultat reagiert. Überrascht sei er nicht, das Resultat sei leider absehbar gewesen, sagte GSoA-Sprecher Nikolai Prawdzic.

«Es gehört anscheinend zum Selbstverständnis der Schweiz, dass die Wehrpflicht bestehen bleibt», sagte er. «Wir konnten die Leute nicht vom Gegenteil überzeugen.» Ein Problem sei gewesen, dass auch linke Kräfte nicht vom Anliegen überzeugt werden konnten.

Die Jungen Grünen reagierten auf das deutliche Nein selbstkritisch: «Wir haben es nicht geschafft, die Jungen an die Urne zu bringen», sagte Lena Frank, Co-Präsidentin der Jungen Grünen. Leider hätten die Initianten zu wenig aufgezeigt, wie wichtig das Anliegen für die jüngere Generation sei.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben immer mehr Staaten in Europa die Wehrpflicht abgeschafft und stattdessen eine Freiwilligenarmee aufgebaut.
 
Von den 28 NATO-Staaten besitzen mittlerweile 20 eine Freiwilligenarmee oder planen, sie einzuführen.
 
Trotz oft gestiegener Kosten und Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten hat es bislang nur vereinzelt Forderungen nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht gegeben.

Gleichstellung der Würste

Künftig können Tankstellenshops an Hauptverkehrsachsen die ganze Nacht das vollständige Sortiment verkaufen. Die entsprechende Revision des Arbeitsgesetzes betrifft 24 der rund 1330 Tankstellen in der Schweiz.

Bisher war der Verkauf von Bratwürsten oder Gemüsekonserven in der Nacht tabu. Biskuits oder Raucherwaren, also Produkte, die zum sofortigen Gebrauch bestimmt sind, fielen nicht unter die Restriktion.

Grundsätzlich liegt die Kompetenz über die Ladenöffnungszeiten bei den Kantonen. Gewerkschaften, die Linke und Kirchengruppen stilisierten die Mini-Liberalisierung im Abstimmungskampf zur Grundsatzfrage über Nachtarbeit und Sonntagsruhe hoch.

Vorbehalte bleiben

Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands ist zufrieden mit der «überaus deutlichen» Annahme der Vorlage. Der Bürger habe «genug davon, vom Staat mit irgendwelchen unsinnigen Vorschriften drangsaliert und am Gängelband gehalten zu werden», so Bigler.

Das Abstimmungsergebnis legitimiere in keiner Art und Weise weitere Bestrebungen zur Liberalisierung von Ladenöffnungs- und Arbeitszeiten, schreibt die Gewerkschaft Travail Suisse. Es sei vielmehr ein «Schuss vor den Bug der Liberalisierer». Der hohe Nein-Stimmenanteil zeige deutliche Vorbehalte des Stimmvolkes gegenüber der Liberalisierung von Ladenöffnungs- und Arbeitszeiten.

Kein Impfzwang

Erfreut über das deutliche Ja zeigen sich die Befürworter des neuen Epidemien-Gesetzes. «Damit wird die Situation dem 21. Jahrhundert angepasst und der Werkzeugkasten aus den 1970er-Jahren beseitigt», erklärte Ursula Zybach, Präsidentin des Abstimmungskomitees.

Erleichtert über das Ja zeigte sich auch die Gesundheitsdirektoren-Konferenz (GDK): «Die deutliche Zustimmung ist ein Bekenntnis zu den notwendigen Massnahmen im Falle einer Epidemie», sagte Carlo Conti, GDK-Präsident und Basler Gesundheitsdirektor.

In der Debatte habe vor allem der angebliche Impfzwang hohe Wellen geworfen, obwohl niemand jemals von einem solchen Zwang gesprochen habe. «Die Bevölkerung hat sich aber nicht Sand in die Augen streuen lassen.»

Auch Gesundheitsminister Alain Berset versuchte die Gegner zu beruhigen: «Niemand wird gegen seinen Willen geimpft.» Der Bund werde an seiner «bewährten Impfpraxis» nichts ändern.

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