Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Mit Sicherheitsrat-Mitgliedschaft Akzente setzen

Sitzung des UNO-Sicherheitsrats Mitte Dezember 2010 - hier möchte die Schweiz auch mitreden. Reuters

Die Schweizer Regierung hat entschieden, die Kandidatur des Landes für einen der nicht-ständigen Sitze im UNO-Sicherheitsrat anzumelden. Welche Erfahrungen hat Österreich während seiner Ratsmitgliedschaft gemacht? Ein Gespräch mit dessen UNO-Botschafter.

Swissinfo.ch hat in New York mit Thomas Mayr-Harting, dem UNO-Botschafter Österreichs, darüber sowie über eine mögliche Kandidatur der Schweiz gesprochen. Österreich war 2010 bereits zum dritten Mal seit 1955 im Rat vertreten.

Es sei wichtig für ein Land, sich direkt im Sicherheitsrat für Frieden und Sicherheit in der Welt einzusetzen, auch um seine eigenen Wertvorstellungen voranzutreiben, sagt Mayr-Harting. Mit ihrer humanitären Tradition und den Erfahrungen mit den Guten Diensten verfüge die Schweiz über wichtiges Handwerkszeug für die Aufgabe.

swissinfo.ch: Wie reagieren Sie auf den Schweizer Entscheid?

Thomas Mayr-Harting: Wir begrüssen diesen Entscheid. Wir haben den Weg der Schweiz in der UNO seit ihrem Beitritt eng und mit viel Sympathie verfolgt.

Die Schweiz hat in der relativ kurzen Zeit ihrer Mitgliedschaft eine extrem aktive Rolle gespielt in Bereichen, die für unsere beiden Staaten wichtig sind. Zu nennen wären da etwa der Einsatz für den Respekt für das humanitäre Völkerrecht und die Rechtsstaatlichkeit.

Die Schweiz ist für uns ein natürlicher Partner. Und wir würden uns sehr freuen, wenn sie als nicht-permanentes Mitglied für eine Periode im Sicherheitsrat Einsitz nehmen könnte.

swissinfo.ch: Was können Sie zu den Erfahrungen Österreichs sagen, das ja schon drei Mal als nicht-permanentes Mitglied im Sicherheitsrat sass?

T. M-H.: Vorwegnehmend möchte ich darauf hinweisen, dass der Einsatz als nicht-permanentes Mitglied im Sicherheitsrat aus unserer Sicht eine Dienstleistung für die Organisation und ein Dienst an der internationalen Staatengemeinschaft ist. Es ist wichtig, dass Länder wie Österreich oder eben die Schweiz mit einem Profil, bei dem Multilateralismus und Rechtsstaatlichkeit eine wichtige Rolle spielen, diese Aufgabe wahrnehmen. Unsere Erfahrungen haben uns auch gezeigt, dass man einiges bewegen kann.

Wichtige aktuelle Themen im Verlauf der letzten beiden Jahre, in denen Österreich im Sicherheitsrat sass, waren der Gaza-Konflikt, oder im Bereich Non-Proliferation Iran und Nordkorea, und in den letzten Wochen unserer Mitgliedschaft Ende 2010 natürlich die Lage in Côte d’Ivoire.

Zu weiteren thematischen Schwerpunkten, mit denen sich der Rat befasste, gehörte auch der Respekt für das humanitäre Völkerrecht – und wer wäre da besser geeignet mitzureden, als die Schweiz, die Heimat des Erfinders des Roten Kreuzes und Sitzstaat dieser humanitären Organisation?

Ein anderes Thema, das uns stark beschäftigte und das auch für die Schweiz von Interesse ist, waren Fragen der Rechtsstaatlichkeit, etwa im Zusammenhang mit dem Al-Kaida/Taliban-Komitee und mit Sanktionenregimes. Bei dem Thema arbeiteten wir unter anderem auch eng mit der Schweiz zusammen. Und es gelang uns, in dem Bereich einiges in Bewegung zu setzen.

swissinfo.ch: Was kann die Mitgliedschaft einem Land bringen?

T. M-H.: Man muss sich bewusst sein, dass es eine zweijährige Periode ist, eine Zeit, in der man Chancen nutzen kann, Themen voranzubringen, die einem Land wichtig sind. Natürlich liegt eine mögliche Mitgliedschaft der Schweiz in 12 Jahren noch in einiger Ferne, daher ist es auch nicht möglich, genaue Aussagen zu machen. Aber was man sagen kann, ist: Es ist möglich, thematische Akzente zu setzen und Spuren zu hinterlassen.

Vertreter Österreichs hatten in den letzten Jahren auch mehrmals Gelegenheit, in Bern mit Vertretern der Regierung und des Parlaments unsere Erfahrungen mit der Mitgliedschaft im Rat zu erörtern.

Dabei machten wir unter anderem auch klar, dass man als nicht-permanentes Mitglied sicher nicht die Welt aus den Angeln heben kann, dass es andererseits aber sehr sinnvoll ist, sich direkt im Sicherheitsrat für Frieden und Sicherheit in der Welt einzusetzen, um seine eigenen Wertvorstellungen und Prinzipien voranzutreiben. Vielleicht haben ja auch diese Kontakte zu dem Entscheid der Schweiz beigetragen, sich nun um eine Kandidatur zu bemühen.

swissinfo.ch: In welchen Bereichen könnte die Schweiz mit einem Sitz im Sicherheitsrat vor allem aktiv sein?

T. M-H.: Ein Thema, mit dem sich der Rat in Zukunft wahrscheinlich noch mehr befassen muss, ist der Schutz von Zivilpersonen in Konflikten. Diese Frage spielt in Darfur eine Rolle, sie spielt im Kongo eine Rolle, in Sri Lanka, in Gaza. Bei diesem Thema ist die Schweiz besonders prädestiniert, eine aktive Rolle zu spielen.

Ein anderes Thema, das mir wichtig erscheint, ist die beachtliche Erfahrung der Schweiz im Bereich der Guten Dienste, bei der Suche nach Kompromissen zur Lösung von Konflikten.

Nicht alle Länder, die im Sicherheitsrat sitzen, haben aufgrund ihrer Geschichte gleich viel Erfahrungen in dem Bereich. Die Schweiz mit ihrem Profil der Tradition als Brückenbauerin gilt als ehrliche Maklerin und bringt damit das Handwerkszeug zum Krisenmanagement mit.

Zu weiteren wichtigen Aufgaben des Sicherheitsrates gehören die Mandatierung und Überwachung der friedenserhaltenden Missionen der UNO. Es ist gut, dass die Schweiz auch hier zunehmend mehr Erfahrungen macht, die für die Tätigkeit im Rat wichtig sind.

swissinfo.ch: Und was sagen Sie zur Kritik in der Schweiz, dass ein Sitz im Sicherheitsrat mit der Neutralität des Landes unvereinbar sei? Österreich ist ja ebenfalls neutral, wenn diese Neutralität auch leicht anders gelagert ist.

T. M-H.: Wir haben 47 Jahre mehr Erfahrung mit der Mitgliedschaft in der UNO als die Schweiz und wir hatten das Thema schon 1955 bei unserem Beitritt anders betrachtet als die Schweiz. Aus unserer Sicht war die UNO-Mitgliedschaft logischer Teil einer aktiven Neutralitätspolitik.

Aber natürlich kam es im Verlauf der Jahre auch in Österreich zu Diskussionen und Entwicklungen in der Frage. Erstmals sassen wir im Kalten Krieg 1973/1974 im Sicherheitsrat, zum zweiten Mal nach dem Fall der Mauer 1991/1992.

Und der Irak-Kuwait-Krieg setzte damals einen neuen Diskussionsprozess in Gang. Dabei kamen Völkerrechtler zum Schluss, dass das in der UNO-Charta verankerte kollektive Sicherheitssystem nach Art. 103 Vorrang hat vor allen anderen Verpflichtungen, und das dies nicht im Widerspruch steht zur Neutralität. Ich denke, auch Schweizer Völkerrechtler sehen das so.

Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen. Mit Artikel 24 I der UNO-Charta haben die Mitgliedstaaten dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die «Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit» übertragen.

Wenn eine Krise den Frieden bedroht, ruft der Rat die betroffenen Konfliktparteien normalerweise zunächst zu Verhandlungen auf. Der Rat kann auch Blauhelm-Missionen entsenden, um einen Konflikt zu entschärfen.

Zur Durchsetzung seiner Beschlüsse kann der Sicherheitsrat wirtschaftliche und andere Sanktionen verhängen. Als letztes Mittel kann er auch die Anwendung von militärischer Gewalt beschliessen, wie es zum Beispiel im Fall der Besetzung Kuwaits durch Irak, in Somalia oder Haiti geschah. Der Rat kann auch internationale Gerichte einsetzen, um mutmasslichen Kriegsverbrechern den Prozess zu machen, wie das im Fall Ruandas oder des ehemaligen Jugoslawien geschah.

Der Rat ist das einzige Organ der UNO, dessen Beschlüsse für alle Mitglieder rechtlich bindend sind.

Der Rat hat 15 Mitglieder – fünf ständige – und zehn nicht-ständige. Die fünf ständigen Mitglieder Frankreich, Grossbritannien, Russland, die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China haben bei der Verabschiedung von Resolutionen ein Vetorecht: Jedes ständige Mitglied kann damit Entscheide des Rates verhindern.

Jedes Jahr wird die Hälfte der nicht-ständigen Mitglieder durch die UNO-Generalversammlung auf zwei Jahre neu gewählt. Sie vertreten die fünf regionalen Gruppen innerhalb der UNO (Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa sowie Westeuropa und der Rest der westlichen Welt).

Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats entspricht nicht mehr der heutigen geopolitischen Realität. Die Debatten um eine Reform des Sicherheitsrates kommen aber seit Jahren kaum voran. Nach Ansicht vieler Staaten, so auch der Schweiz, läuft der Sicherheitsrat Gefahr, ohne Reform an Legitimität und Autorität zu verlieren.

Seit fünf Jahren setzt sich die Schweiz mit Costa Rica, Jordanien, Liechtenstein und Singapur (Small Five, S-5) im Rahmen der Reform-Debatte im Interesse von mehr Transparenz und Offenheit auch für Verbesserungen der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrates und für einen stärkeren Dialog zwischen Rat und Generalversammlung ein.

Was die Erweiterung des Sicherheitsrates angeht, hoffen die fünf Staaten, dass die laufende 65. Generalversammlung den Weg ebnen können wird für reelle und substantielle Verhandlungen.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft