Mit Zeugenschutz die Omerta knacken
Als erste Behörde in der Schweiz hat die Bundespolizei ein Zeugenschutz-Programm aufgenommen. Es zielt vorab auf Personen, die in Menschenhandel, Terrorismus und Organisiertes Verbrechen involviert waren. Das Programm unterliegt aber Restriktionen.
Der Schutz von Zeugen, die auspacken, ist für die Justiz ein wichtiger Schritt bei der Aufklärung von schweren Verbrechen. Bekannt wurde der Zeugenschutz durch Filme mit Humphrey Bogart, Harrison Ford, Mel Gibson oder Homer Simpson.
In der Schweiz gab es offiziell keinen Zeugenschutz. In einzelnen Fällen aber wurde ein solcher gewährt.
«Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass es in bestimmten Kategorien von Verbrechen enorm wichtig ist, mit Schlüsselpersonen sprechen zu können. Diese aber waren dazu nicht bereit, wenn sie den Eindruck hatten, dass ihre physische Integrität dadurch gefährdet sei», sagt Jean-Luc Vez, Direktor des Bundesamtes für Polizei (Fedpol).
Mit dem Anfang Jahr aufgenommenen Zeugenschutz-Programm schliesst der Bund eine rechtliche Lücke, kann doch die Schweiz nun die Pflichten erfüllen, welche die europäische Konvention gegen Menschenhandel enthält. Bern hat das Abkommen letztes Jahr unterzeichnet.
Die Ermittlungsbehörden gehen von 10 bis 15 Fällen pro Jahr aus, in denen Personen das Programm in Anspruch nehmen. Die Kosten von rund zwei Mio. Franken sollen sich Bund und Kantone teilen.
Der Entscheid, ob eine Person unter Zeugenschutz fällt, trifft Fedpol-Direktor Vez. «Das ist eine grosse Verantwortung, denn ich weiss, dass das Leben einer Person auf dem Spiel steht», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
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Das Programm ist auf die Kategorien Menschenhandel, Terrorismus und Organisiertes Verbrechen beschränkt. Profitieren können nicht nur Zeugen selber, sondern auch deren Familienangehörige.
Wie das gehen soll, zeigt ein fiktives Szenario der Behörde. Maria, eine junge Mutter aus Kuba, arbeitete als Prostituierte in Zürich. Nachdem sie von Zuhältern geschlagen worden war, ist sie zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit, aber nur, wenn sie sich sicher fühlt. Soll sie die Namen der Menschenhändler nennen, braucht sie Schutz.
Im Austausch für ihre Aussagen bietet ihr die Behörde eine neue Identität an, eine Wohnung und möglicherweise gar die Zusammenführung mit ihrer Tochter, die in Kuba geblieben war.
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Das Fedpol wies in einem Bericht darauf hin, dass Ermittlungen gegen Menschenhändler sehr komplex seien. Weil die Opfer unter grossem Druck stünden, sagten sie kaum aus.
Opferhilfe-Organisationen begrüssen die Neuerung, hätten aber eine weitergehende Lösung begrüsst. «Es sollte ein Zeugenschutz-Programm sein, das nicht bloss auf Zeugen abzielt», sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ). «Nicht alle Frauen, die Opfer sind, sind auch Zeugen, die Aussagen machen wollen. Aber alle brauchen Schutz.»
Das Programm, das 2011 vom Parlament angenommen wurde, ist seit Anfang 2013 in Kraft.
Es soll jährlich 2 Mio. Franken kosten, in die sich Bund und Kantone teilen.
Den Antrag auf Zeugenschutz stellen lokale oder kantonale Ermittlungsbehörden, den Entscheid fällt das Fedpol.
Der Schutz endet, wenn die Bedrohung nicht mehr existiert, wenn die geschützte Person die Aufhebung des Schutzes verlangt oder wenn sie wiederholt gegen die getroffenen Vereinbarungen verstösst.
Die Gesetzesänderungen sehen u.a. vor, dass in der Schweiz ansässige ausländische Zeugen den Wohnkanton wechseln können. Auch kann die Schweiz ausländische Personen aufnehmen, die in einem anderen Land Zeugenschutz geniessen.
Mafia im Visier
Die Schweiz ist auch eine beliebte Drehscheibe für das Organisierte Verbrechen aus Italien. Der kalabrischen ‘Ndrangheta und anderen Syndikaten dient sie laut Fedpol als logistische Basis zur Geldwäscherei – durch Banken wie Investitionen in Firmen und Immobilien.
«Eine Regel von Mafia-Organisationen besagt, dass niemand spricht», sagt Vez. «Will man Informationen, muss man Schlüsselpersonen finden, die diese Informationen liefern können.» Hier erhoffen sie die Untersuchungsbehörden vom neuen Instrument einen Durchbruch. «Es wird bestimmt die Effektivität unserer Ermittlungen gegen diese Form der Kriminalität steigern», sagt Vez.
Schutz für Mafia-Aussteiger will jedoch gut geprüft sein. Auch wenn deren Aussagen wertvoll sein sollten, können sie sich dadurch nicht von der Strafe für ihre Verbrechen freireden. Wird einer Person Zeugenschutz gewährt, bedeutet dies keineswegs, dass sie von bürgerlichen Pflichten befreit ist, betont das Fedpol.
Dazu kommt der Kostenfaktor. Die Behörde rechnet mit 5000 bis 150’000 Franken pro Fall. Laut Vez werde sein Bundesamt nicht alle Fälle bewilligen können.
Das Programm ist äusserst komplex. Einzelheiten über die verzahnte Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Polizeien, Ermittlungsbehörden, zivilen Stellen und eventuell gar ausländischen Regierungsstellen sind nicht zu erfahren.
Eine der grössten Herausforderungen ist es laut Vez, den ganzen Prozess geheim zu halten. «Es ist wichtig, dass alle beteiligten Behörden wissen, dass sämtliche Information über den Zeugenschutz geheim bleiben müssen. Sickert etwas durch, ist das Leben der Zeugen in Gefahr.»
Zeugenschutz ist in Hollywood seit vielen Jahren ein beliebtes Motiv, so in den Filmen «Donnie Brasco» mit Al Pacino, «Witness» mit Harrison Ford oder zuletzt «Did you hear about the Morgans?» mit Hugh Grant.
In «Marked Woman» von 1937 überzeugt Humphrey Bogart als Bezirksanwalt David Graham «Gangsterbraut» Mary Dwight Strauber (Bette Davies), gegen ihren Boss auszusagen, nachdem ihre unschuldige Schwester während einer zwielichtigen Party umgebracht worden war.
Bette Davies: Verlangen Sie bitte nicht, dass ich rede. Er wird mich töten.
Humphrey Bogart: Du hilfst mir jetzt zu beweisen, dass er es getan hat und ich bringe ihn dorthin, wo er niemanden mehr umbringt.
Bette Davies: Sie wissen nicht, zu was er fähig ist! Er kennt nichts. Leute verschwinden einfach, ohne dass man je wieder von ihnen hört. Ich will nicht, dass es auch mir so ergeht.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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