Als ein ungewöhnliches Bündnis Schweizer Abstimmungsgeschichte schrieb
Vor dreissig Jahren sorgte das Schweizer Stimmvolk für grossen politischen Aufruhr: Es unterstützte eine Initiative zum Schutz der Schweizer Moore und schickte damit die Pläne der Regierung zum Bau eines Truppenübungsplatzes bachab. Das war der Beginn einer Reihe von erfolgreichen Urnenentscheiden zu Umweltfragen.
Das Ergebnis der landesweiten Abstimmung vom 6. Dezember 1987 überraschte Gegner und Befürworter gleichermassen. Nach mehreren Jahren hitziger Debatten und bitterer Spaltungen unter den Bewohnern befürworteten 58% der Wählerinnen und Wähler die Idee des Schutzes von über 100 Hektar Moor- und Heidefläche im Bibertal in der Zentralschweiz. Die Strauchlandschaft, 35 km südlich von Zürich, ist das grösste Hochmoor der Schweiz.
«Es versetzte dem politischen Establishment einen doppelten Schlag», sagt Politologe Michael Hermann vom Forschungsinstitut SotomoExterner Link.
Die überraschende Niederlage war das Ergebnis einer seltenen Allianz. Sie bestand aus bäuerlich-konservativen Wählern und liberaleren Gesellschaftsschichten, die ein wachsendes Umweltbewusstsein entwickelt und pazifistische Bedenken hatten.
Die Bauern in dieser traditionell konservativen Region im Herzen der Schweiz ärgerten sich über die Pläne des Verteidigungsdepartements, ihr Land zu beschlagnahmen. Auf nationaler Ebene führte neben antimilitärischen Gruppen die Umweltorganisation WWF die politische Opposition an.
«Das Ergebnis kann als klares Bekenntnis zum Naturschutz und als kritische Haltung gegenüber der Armee gelesen werden», sagt Hermann.
Die Schweizer Milizarmee war während des Kalten Krieges, der Ende der 1980er-Jahre endete, fest in der Gesellschaft verwurzelt. Umso grösser muss der Schock für das Establishment gewesen sein.
Im Trend
Der WWF startete seine Rothenthurm-Initiative (benannt nach dem Dorf im Zentrum der Region) im Frühjahr 1983 und reichte sechs Monate später 163’000 Unterschriften ein – ein Beweis dafür, dass die Umweltorganisation den Nerv der Zeit traf. Zum Vergleich: Das Gesetz gibt den Initianten eines Volksbegehrens 18 Monate Zeit, um die mindestens 100’000 Unterschriften zu sammeln, welche zur Erzwingung einer landesweiten Abstimmung über ein Thema erforderlich sind.
Das folgende Archiv-Video stammt aus einer deutschsprachigen Nachrichtensendung des Schweizer Radio und Fernsehens im Vorfeld der Abstimmung vom 6. Dezember.
Erfolge und Niederlagen
Die Moorland-Initiative war erst die neunte Initiative in der neueren Schweizer Geschichte, die an der Urne eine Mehrheit erreichte. Die Umweltschützer weisen auf mindestens vier weitere Wahlsiege hin, insbesondere auf Moratorien für den Bau von Kernkraftwerken (1990) und für die Produktion von gentechnisch veränderten Organismen (2005), sowie auf einen Vorschlag zur Begrenzung des alpenquerenden Straßenverkehrs (1994) und Einschränkungen für den Bau von Ferienhäusern (2012).
Allerdings lehnte das Stimmvolk in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche weitere Vorschläge zur Stärkung des Naturschutzes ab – sei es durch eine Begrenzung des Strassenverkehrs, durch die Förderung erneuerbarer Energien oder umweltfreundlicher Bebauungsvorschriften oder durch agrarpolitische Massnahmen.
+ graphische Übersicht der Schweizer Initiativen und Volksabstimmungen
Der Ausstieg aus der Kernenergie ist indes nicht das direkte Ergebnis einer erfolgreichen Volksinitiative, sondern einer von der Regierung geförderten Gesetzesreform. Sie gewann die Unterstützung der Wählerschaft, nachdem eine politische Partei erfolglos versucht hatte, die Reform zu verhindern.
Den Kritikern der Schweizer Armee gelang es zwei Jahre nach der Moorland-Initiative, 36% der Stimmenden für ein Ja zur Abschaffung der Schweizer Armee zu gewinnen – nach dem Erfolg von 1987 eines ihrer bisher spektakulärsten Ergebnisse. Es war ein weiteres bedeutsames Ereignis in der modernen Geschichte des schweizerischen Systems der direkten Demokratie, das die Aufmerksamkeit der Medien weltweit auf sich zog und die Öffentlichkeit verblüffte.
(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)
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