Nach Prigoschins Tod: Wie die nächste solche Söldnertruppe verhindert werden kann
Jewgeni Prigoschin und seiner Söldnertruppe Wagner wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen zu begehen und russische Gefangene für den Kampf in der Ukraine zu rekrutieren. Die Schweiz hat versucht, solche privaten Kriegsdienstleister und Sicherheitsdienste zu regulieren. Was hat sie erreicht?
Die private Militär- und Sicherheitsindustrie wächst weltweit exponentiell. Auf den Schlachtfeldern ersetzen private Kämpfer immer öfter Soldaten von regulären Armeen. Was wird getan, um sie zu regulieren?
«Man hat das Gefühl, dass nichts getan wird, aber das stimmt nicht», sagt Jean-Michel Rousseau vom Genfer Zentrum für Gouvernanz des SicherheitssektorsExterner Link (DCAF). Es unterstützt die Bemühungen um gute Regierungsführung im Sicherheitssektor und begleitet sie mit Expertise.
«Es existieren bereits Standards. Sie sind zwar nicht bindend, aber wenn sie auf nationaler Ebene korrekt umgesetzt würden, hätten wir schon heute einen privaten Militär- und Sicherheitssektor, der die Menschenrechte besser respektiert», sagt er.
Laut Rousseau sollte die Diskussion um Prigoschin und die Gruppe Wagner genutzt werden, um darüber nachzudenken, wie die Umsetzung der Standards verstärkt werden könne.
Es wird vermutet, dass Prigoschin letzte Woche bei einem Flugzeugabsturz in Russland zusammen mit seiner rechten Hand Dmitry Utkin ums Leben gekommen ist.
Russland respektive Präsident Putin habe seinen Tod bestätigt. Es gebe aber noch keine endgültigen Beweise, teilte das britische Verteidigungsministerium am Freitag mit. Moskau hat Vorwürfe zurückgewiesen, das Flugzeug abgeschossen zu haben.
Staaten tragen Verantwortung
Das internationale Genf und die Schweiz spielten eine führende Rolle bei der Entwicklung nicht bindender Initiativen zur Regulierung privater Sicherheitsfirmen.
«Dieses Jahr feiern wir den 15. Jahrestag des Montreux-DokumentsExterner Link, eines internationalen Textes über die Verantwortung der Staaten bei der Regulierung privater Militär- und Sicherheitsunternehmen», sagt Rousseau.
«Ausserdem gibt es seit zehn Jahren die ICoC, eine Vereinigung, welche die Umsetzung des internationalen VerhaltenskodexesExterner Link überwacht, der für die Unternehmen selbst gilt.»
Rousseau betont, dass der private Militär- und Sicherheitssektor sehr vielfältig sei. Die meisten denken dabei an berüchtigte Söldnerkonzerne wie Wagner, Blackwater oder Executive Outcomes, aber die Aktivitäten des Sektors reichen von diesen «bis zum Sicherheitspersonal am Bahnhof in Genf», wie Rousseau sagt.
Solche Unternehmen können einen nützlichen Beitrag zur Sicherheit leisten. Vorausgesetzt, sie werden angemessen reguliert, um Missbrauch zu verhindern, und sie werden überwacht und zur Rechenschaft gezogen.
Der Einfluss von Wagner in Afrika
Auf die Frage, wie es mit Wagner nach dem mutmasslichen Tod von Prigoschin weitergehe, antwortet Rousseau, man müsse zwischen den Aktivitäten in Russland und der Ukraine und jenen in fragilen Staaten in Afrika unterscheiden.
«Wagner ist in Russland und der Ukraine sehr eng mit der russischen Staatssicherheit und den Streitkräften verbunden und in das dortige Machtspiel eingebunden. Der Abgang von Prigoschin könnte das Ende der Wagner-Aktivitäten dort einläuten», sagt er.
«Ich denke, dass die Situation in Afrika vermutlich anders ist, wo Wagner wirklich als kommerzieller Akteur aufgetreten ist. Es gibt eine Nachfrage nach Wagner-Dienstleistungen, und die lokalen Eliten sind bereit, mit Steuergeldern oder anderen Mitteln dafür zu bezahlen.», so der Experte.
«Ich sehe keinen anderen Sicherheitsdienstleister, der in der Lage wäre, zumindest kurzfristig einzuspringen und Ländern, speziell in Afrika, die gleiche Art von Dienstleistungen anzubieten.»
Die Gruppe Wagner ist bekannt für ihre starke Präsenz in fragilen Staaten wie der Zentralafrikanischen Republik. Dort werden ihr die Plünderung von Bodenschätzen und schlimmste Übergriffe auf die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Sie ist auch in Mali und Burkina Faso präsent, wo in jüngster Zeit Militärputsche stattgefunden haben.
Nach dem Putsch vom 26. Juli in Niger riefen einige Demonstrierende, die den Putsch unterstützten, offen dazu auf, Wagner ins Land zu holen. Dies wird als Teil der wachsenden antiwestlichen Stimmung in Teilen Afrikas gesehen, die Russland ausnutzen möchte.
In einem Videoclip, der kurz vor seinem mutmasslichen Tod in den sozialen Medien veröffentlicht wurde, war Prigoschin vor einem Wüstenhintergrund zu sehen. Das liess vermuten, dass er sich in Afrika befand. Er sprach davon, Russland auf allen Kontinenten grösser und Afrika «freier» zu machen.
«Ich glaube, dass es vor allem in fragilen Ländern, in denen Gruppen wie Wagner operieren, keine Möglichkeit gibt, diese zu regulieren, zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen», sagt Rousseau.
«Die Diskussion um Prigoschin und Wagner sollte als Katalysator wirken. Wagner hat für seine Aktivitäten Lücken im System ausgenutzt, und wenn wir eine neue Gruppe Wagner verhindern wollen, müssen diese Lücken geschlossen werden.»
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Schweiz spielt Schlüsselrolle
Laut Rousseau spielt die Schweiz eine Schlüsselrolle für die Entwicklung einer besseren Regulierung. Das Thema wird bei den Vereinten Nationen in Genf sowohl in einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe als auch in einer Fachgruppe zum Söldnerwesen diskutiert.
Die Schweizer Regierung sei in diesem Bereich eine der aktivsten gewesen, sagt er. Sie war federführend bei der Ausarbeitung des Montreux-Dokuments, zusammen mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf.
Das führte zur Schaffung des Verhaltenskodex und der ICoC. Die Schweiz hat zudem ihre eigene Gesetzgebung reformiert, um sicherzustellen, dass private Schweizer Sicherheitsfirmen bei ihren Einsätzen im Ausland die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht respektieren.
«Es ist also eine Mischung aus dem internationalen Genf und den Prioritäten der Schweizer Aussenpolitik, die diese Diskussion hier in Genf ermöglicht», sagt Rousseau.
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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