Nachholbedarf für Schweizer Integrationspolitik
Bei der Integration von Einwanderern hinkt die Schweiz dem Ausland weit hinten nach. In einer jüngst vorgestellten Studie belegt sie den 23. Platz unter 31 Ländern. Den besten Umgang mit Ausländern pflegen die Schweden.
Damit hat die Schweiz auf dem Feld der Integrationspolitik in den letzten vier Jahren weiter an Terrain eingebüsst: Im Ländervergleich, der vom British Council und der Denkfabrik «Migration Integration Policy Group» sowie 37 Projektpartnern (NGOs, Universitäten und Forschungsinstitute) durchgeführt wird, hatte die Schweiz im Jahr 2007 von 28 Ländern noch den 16. Rang belegt.
Ausschlaggebend für die Defizite sind die Standards der Europäischen Union und des Europarats, welche die Schweiz oft nicht erfüllt. So kommt es, dass die Nachbarn Deutschland, Frankreich und Italien vor der Schweiz platziert sind.
Legislativer Stillstand
Der Integrationsindex wurde im letzten Jahr erstellt und berücksichtigt die Änderungen auf Gesetzesebene zwischen 2007 und Mai 2010. Für die Schweiz negativ zu Buche schlug auch die Initiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei für die Ausschaffung krimineller Ausländer. Das Begehren stand damals vor der Abstimmung und wurde im letzten November an der Urne gutgeheissen.
Obwohl es in der beobachteten Zeitspanne Gesetzesänderungen gegeben hat, haben die Autoren in der Schweizerischen Integrationspolitik «keinen wesentlichen Wechsel» festgestellt. Vor allem betreffend längerfristiger Aufenthalte, Einbürgerungen und Familiennachzug seien Zuwanderer mit Restriktionen konfrontiert. Weiter seien der Zutritt zum Arbeitsmarkt und die Unterstützung für Bürger eingeschränkt, die nicht aus der EU stammten.
Föderalismus als Bremsklotz
Ganz schlecht werden die Bemühungen im Kampf gegen Diskriminierung bewertet. Im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern kenne die Schweiz keine gesetzlich verankerte Hilfe für Opfer von Diskriminierung.
Die schlechte Integrationsbilanz wird auch dem Föderalismus angelastet. Die «komplexen und erschwerenden» Einbürgerungsverfahren der Kantone wirkten sich sehr unvorteilhaft auf die Integration aus, heisst es im Bericht. Ferner bemängeln die Autoren, dass eine landesweite, einheitliche Definition der Integration fehle.
Denise Efionayi-Mäder, Vizedirektorin des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg, stimmt dem Resultat der Vergleichsstudie generell zu. Die Universität Neuenburg stellte den Autoren die Daten aus der Schweiz zur Verfügung.
«Sie gibt die Realität wieder, auch wenn es für die Schweiz manchmal schwer ist zu akzeptieren, dass wir nicht die Besten sind», sagt die Integrations-Expertin gegenüber swissinfo.ch.
Ins Gewicht fielen insbesondere die Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen einerseits und den Sprachregionen andererseits.
Auf nationaler Ebene bewegten sich die Dinge mit der Setzung von Standards in die richtige Richtung, so Efionayi-Mäder. «Aber es gibt Konflikte zwischen einzelnen Kantonen und dem Bund. Andere Kantone wiederum betreiben eine sehr gute Integrationspolitik.»
Der Ständerat beriet kürzlich über eine Motion, welche einheitliche Richtlinien für die Integration von Ausländern in der ganzen Schweiz verlangte. Einzelne Kantone und Städte sperrten sich dagegen mit dem Argument, sie wollten sich nicht vom Bund vorschreiben lassen, wen sie wie einbürgern müssten.
Diskriminierung lange Tabuthema
Bis vor noch nicht allzu langer Zeit hätten sich nur Wenige getraut, das Thema aufs Tapet zu bringen, sagt Denise Efionayi-Mäder. Denn dies wäre dem Eingeständnis gleich gekommen, dass Diskriminierung tatsächlich existiere, beispielsweise am Arbeitsplatz.
«Obwohl sich dies heute geändert hat, ist es immer noch problematisch, eine Diskussion darüber zu starten, wie wir dagegen vorgehen wollen», so die Neuenburger Wissenschafterin.
Schützenhilfe erhält Efionayi-Mäder von Christina Hausammann von der Nichtregierungs-Organisation (NGO) humanrights.ch. «Wir haben weder Gesetze gegen die Diskriminierung aufgrund der Rasse oder ethnischen Zugehörigkeit, noch haben wir wirksame Instrumente gegen die Diskriminierung von Menschen am Arbeitsplatz oder als Hausangestellte.»
Es gebe nur allgemeine Gesetze, die in der Praxis aber nicht wirkten, weil man Beweise liefern und möglicherweise den Gang durch alle Instanzen bezahlen müsse, so Hausammann. «Diesbezüglich steht die Schweiz tatsächlich am Schluss der Rangliste.
Kritik von Experten
Der Bericht hat in der Schweiz aber auch Kritik ausgelöst, und das nicht nur von Seiten der Befürworter einer restriktiven Zuwanderung im rechten Lager. Der Index reflektiere lediglich die gesetzlichen Grundlagen, während bei der Umsetzung einer Integrationspolitik noch andere Faktoren eine Rolle spielten. Das findet Thomas Kessler, der im Kanton Basel-Stadt eines der fortschrittlichsten Integrationskonzepte eingeführt hatte.
Diejenigen Länder, die gut abgeschnitten hätten, verfügten über symbolische Integrationsgesetze, um ihr Image aufzupolieren, sagte Kessler in der Zeitung Tages-Anzeiger.
Modellland Schweden
Was ist es, was Schweden zum besten «Integrationsland» macht? «In Schweden herrscht ein politischer Konsens und der Wille, allen dieselben Rechte und Chancen zuzugestehen, was auch in den Gesetzen zum Ausdruck kommt», sagt Thomas Huddlestone von der britischen NGO Migration Policy Group und einer der Hauptautoren der Studie.
In den meisten Ländern Europas hätten Ausländer sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt und könnten dort ihr volles ökonomisches Potenzial einbringen. Nach fünf Jahren erhielten sie den Status von Langzeitaufenthaltern. Darüber hinaus würden sie durch spezifische Gesetze gegen Diskriminierung aus rassistischen oder ethnischen Gründen geschützt. «Das sind alles Gebiete, wo die Schweiz von ihren Nachbarn lernen kann», schliesst Thomas Huddlestone.
Die beste Integration betreibt Schweden, gefolgt von Portugal, Kanada, Finnland, Niederlande, Belgien, Norwegen, Spanien, USA und Italien.
Mit 43 Punkten belegt die Schweiz unter 31 Ländern den 23. Platz.
Weil in keinem Bereich «leichte Verbesserungen» erzielt worden seien, fiel die Schweiz hinter Länder zurück, die ihre Integrationspolitik reformiert haben.
Die Schweiz bietet Ausländern die zweitstrengsten Einschränkungen, was den Status von Langzeitaufenthaltern betrifft.
Die komplizierten Bedingungen für eine Einbürgerung seien einer Integration sehr hinderlich, so die Autoren. Als einziges Land hat die Schweiz hier null Punkte.
Zudem kennt die Schweiz eines der strengsten Gesetze über den Nachzug von Familienangehörigen.
Übertragen aus dem Englischen: Renat Kuenzi
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