Corina Gredig will Brücken zwischen Menschen, Umwelt und Wirtschaft bauen
Die Schweiz sollte eine weltweit führende Rolle beim Klima- und Umweltschutz einnehmen, meint Corina Gredig. Die junge grünliberale Politikerin ist im Herbst in den Nationalrat gewählt worden. In Bern will sie sich für eine nachhaltige Politik einsetzen und für die Kernidee der Grünliberalen engagieren – den Brückenbau zwischen Mensch, Umwelt und Wirtschaft.
Corina Gredig hat ihre ersten Erfahrungen in Bundesbern gemacht: «Ich habe von meiner ersten Session der Eidgenössischen Räte im Dezember sehr positive Eindrücke mit nach Hause genommen. Insbesondere scheint mir, dass es grossen gegenseitigen Respekt unter den Parlamentariern gibt, auch wenn sie andere Meinungen vertreten. Diskussionen und Meinungsaustausch sind möglich, wobei auch parteipolitische und sprachliche Barrieren überwunden werden.»
Die junge Zürcher Nationalrätin ist Repräsentantin einer neuen, ökologischen und weiblichen Generation, die im vergangenen Oktober von einer massiven Welle von Stimmen ins Schweizer Parlament gewählt wurde. Noch nie sassen so viele Frauen und so viele Grüne im Parlament – als Mitglieder der Grünen Partei der Schweiz (GPS) und der Grünliberalen Partei (GLP).
«Schon länger amtierende Parlamentarier meinten, dass im Bundeshaus ein neues Klima herrscht. Ich hoffe, dass dies der Fall ist, und dass es nun die Möglichkeit gibt, parteiübergreifende Vorschläge unter Jungen oder Frauen voranzubringen, ganz unabhängig davon, ob sie der einen oder anderen Partei angehören. Wir haben dies bereits im Dezember bei der Frage des Zivildiensts versucht, aber das Ziel um einige Stimmen verpasst.»
Mit der Bahn in die Ferien
Gredig ist in der Gemeinde Maur aufgewachsen – in der Nähe der Stadt Zürich. Von Haus aus war eigentlich nicht unbedingt an eine politische Karriere zu denken. Zwar wurde zu Hause über Politik gesprochen, ihre Eltern waren aber nicht übermässig politisiert. Sie war die erste ihrer Familie, die einen akademischen Ausbildungsweg einschlug. 2008 begann sie an der Universität Zürich Politik- und Volkswirtschafts-Wissenschaften zu studieren.
Im vergangenen Oktober haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Schweiz das bisher weiblichste Parlament der Geschichte gewählt. Obwohl die Parität noch nicht erreicht ist, stellen Politikerinnen nun 42% im Nationalrat. Aus diesem Anlass porträtiert swissinfo.ch acht neu gewählte Frauen aus verschiedenen Parteien.
«Ich interessierte mich vor allem dafür, wie die Gesamtheit der Gesellschaft aus politischer und wirtschaftlicher Perspektive funktioniert, denn beide Dinge sind eng miteinander verknüpft.» Es sind anstrengende Jahre für Corina Gredig. Sie arbeitet, um sich das Studium zu finanzieren, wird Mutter von zwei Kindern und startet ihre politische Karriere. Wie hat sie all diese Aufgaben unter einen Hut gebracht?
«Ich hatte sicherlich ziemlich intensive Jahre», sagt sie mit einem Lachen. «Ich brauchte etwas länger als andere, um das Studium abzuschliessen. Und dann konnte ich mir einige Dinge nicht leisten. Ich hatte zum Beispiel nicht die Gelegenheit, in einem anderen Land zu studieren oder viel zu reisen.» Im Bewusstsein der Klimaproblematik will sie dieses Versäumnis allerdings nicht unbedingt nachholen.
In den letzten zehn Jahren hat sie nur zweinmal ein Flugzeug für eine private Reise bestiegen. «Ich reise einfach auch sehr gerne mit dem Zug, auch in den Ferien. Natürlich gibt es Einschränkungen. Ich sage meinen Kindern, dass sie nur mitnehmen können, was sie selbst tragen können. Nicht sieben Plüschtiere, sondern nur eins.»
Liberale Rezepte für eine grüne Wende
Und was hat sie von der Politikwissenschaft zur aktiven Politik gebracht? «Als Politologin kann man beobachten, was Politiker tun. Das ist sehr spannend, aber mich hat es vor allem interessiert, mitgestalten zu können, etwas aufzubauen und zu verändern. Also schloss ich mich einer politischen Partei an, und zwar der Partei, die mir am nächsten stand. Ich habe den Online-Fragebogen Smartvote ausgefüllt, und mein Profil entsprach dem der Grünliberalen.» So trat sie 2010 in die GLP des Kantons Zürich ein, wo sie 2018 die Co-Präsidentschaft übernahm.
Nach der 1983 entstandenen Grünen Partei der Schweiz (GPS) erscheint die GLP die einzige in den letzten Jahrzehnten gegründete Partei, die Chancen zu haben scheint, sich auf der nationalen politischen Bühne behaupten zu können.
Die Zentrumspartei wurde 2004 von Mitgliedern des liberalen Flügels der eher links orientierten Grünen Partei gegründet. Bei den Wahlen im vergangenen Oktober gewann die Zentrumspartei 7,8 Prozent der Stimmen und 16 Sitze im Nationalrat (Volkskammer).
Die GLP will eine nachhaltige Gesellschaft aufbauen, aber mit liberalen Rezepten. Die Grünliberalen sind überzeugt, dass auch die Wirtschaft von der grossen Energiewende profitieren kann, die zu einem schrittweisen Ausstieg aus der nuklearen und fossilen Energie führen sollte. Dies sollte jedoch nicht durch Verbote und Verordnungen erreicht werden, sondern durch die Einführung von Anreizen zur Förderung von Effizienz, Energieeinsparungen und erneuerbaren Energiequellen.
Visionen nötig
«Für mich ist die Grünliberale Partei wie eine Brücke zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Oder zumindest versucht sie es zu sein: Es ist nicht so einfach, diese verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen. Die Grünliberalen haben sich zum Ziel gesetzt, einen Ausgleich zwischen offenbar widersprüchlichen Interessen zu finden. Sie versuchen nicht Gräben zu bewirtschaften, sondern Gemeinsamkeiten mit anderen zu finden. Dieser Ansatz erschien mir fundamental, als ich darüber nachdachte, politisch aktiv zu werden», erklärt Gredig.
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«Ich bin kein Mensch der Extreme. Die Schweiz ist ein Land in der Mitte Europas. Kompromisspolitik liegt ein wenig in der Natur der Schweiz. Wir sind eine Willensnation, konstruktive und pragmatische Lösungen haben es uns immer ermöglicht, sehr weit zu kommen. Ich sagte mir, dass ich Lösungen finden wollte, nicht Empörung erzeugen.»
Nach Ansicht der Zürcher Nationalrätin kann die Schweiz im Umwelt- und Klimabereich eine weltweit führende Rolle übernehmen. «Wir können sowohl auf Erdöl als auch auf Atomenergie verzichten. In zehn Jahren ist dies nicht machbar, aber wir müssen Visionen haben. Hätten wir im 19. Jahrhundert einfach gesagt, dass es nicht möglich sei, einen Tunnel durch das Gotthardmassiv zu bauen, wäre diese Pionierarbeit nie realisiert worden», sagt sie.
«Meine Vision der Schweiz ist nicht diejenige eines in sich geschlossenen Alpenlandes, sondern eines Landes, das sich um die Natur kümmert und diese pflegt. Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelingen wird. Wir verfügen über ein grosses technologisches Wissen… und auch über finanzielle Mittel.»
«Etwas ist schiefgelaufen»
Gredig versteht nicht, auch aus finanzieller Sicht, dass die politische Rechte die Mineralölwirtschaft eisern verteidigt, angefangen bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP): «Die meisten der fossilen Brennstoffe stammen aus diktatorischen oder kriegführenden Ländern. Es sind keine einheimischen Produkte. Gerade die konservativen Parteien sollten hingegen lokale und einheimische Produkte unterstützen. Wir wollen nicht nur Schweizer Fleisch, sondern auch in der Schweiz produzierte Energie. Ich verstehe nicht, warum die SVP, die vorgibt, den Bauern nahe zu stehen, das Potenzial der erneuerbaren Energien nicht anerkannt hat.»
Im Jahr 2015 hat das Schweizer Stimmvolk die GLP-Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» an der Urne deutlich versenkt. Trotzdem hält die Nationalrätin eine ökologische Steuerreform für unerlässlich: Gredig möchte fossile Brennstoffe besteuern und die Einnahmen an diejenigen zurückverteilen, die Umwelt und Klima respektieren.
«Heute zahlen wir im Regelfall nicht den wahren Preis eines Produkts. Denken wir nur an nicht nachhaltige Produkte: Die nächste Generation wird den Preis dafür zahlen. Oder denken wir an Produkte, die von Kindern oder Frauen in armen Ländern hergestellt werden: Sie berappen mit ihrer unterbezahlten Arbeit oft den wahren Preis», so Gredig.
«Wir müssen aus diesem Grund die Transparenz in Bezug auf Herkunft, Herstellung und tatsächliche Kosten eines Produkts erhöhen. Heute kostet ein Flug von Zürich nach London so viel wie eine billige Mahlzeit in der Schweiz. Dies ist eigentlich nicht möglich, wenn man auch den finanziellen Aufwand berücksichtigt, der zum Ausgleich der Umweltbelastung nötig sein wird. Eine Fahrt über die gleiche Distanz mit dem Zug kostet hingegen 300 oder 400 Franken. Jeder kann sehen, dass da etwas schiefgelaufen ist.»
Neue Generation mit Umweltgewissen
Nachhaltigkeit, so Corina Gredig, sollte nicht nur in Bezug auf die Umwelt gelten. «Wir können den zukünftigen Generationen auch keine finanziellen Belastungen hinterlassen. Es ist positiv, dass wir älter werden, aber wir müssen unser Rentenalter an die Lebenserwartung anpassen. Wenn wir heute zu viel Geld für die Altersvorsorge ausgeben, muss das Geld in Zukunft von anderen verdient werden, aber es ist nicht richtig, unseren Kindern dieses Erbe zu hinterlassen.»
Als Politikerin und Mutter ist Gredig davon überzeugt, dass eine nachhaltige Entwicklung nur mit dem individuellen Engagement aller erreicht werden kann: «Wir können nicht einfach sagen, dass die grossen Banken schuldig sind, weil sie ihr Geld auf nicht nachhaltige Weise investieren. Ich denke, wir alle müssen auch für das Wohl der nächsten Generation sorgen Wir können nicht so oft fliegen, so viele Autos besitzen und in so grossen Wohnungen oder Häusern leben.»
Trotz der Klima- und Umweltbedrohungen ist Gredig mit Blick auf die «Greta-Generation» recht optimistisch: «Ich glaube, dass diese Generation wirklich vom Konzept der Nachhaltigkeit und von einem Umweltbewusstsein geprägt ist. Das macht mich zuversichtlich, dass die grünen Anliegen bald eine Selbstverständlichkeit sind.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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