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Neue Gaspipeline für die Schweiz nicht elementar

Tunnelbohrmaschine auf der Baustelle der Nord-Stream-Erdgasübernahmestation im Hafen von Lubmin. Keystone

Auf dem Meeresgrund ist das erste Rohr für die Gaspipeline Nord Stream zwischen Russland und Deutschland verlegt worden. Vom grössten Energieprojekt Europas, von dem die Schweiz nur indirekt betroffen ist, erwartet die EU mehr Energiesicherheit.

Die Baukosten der rund 1220 Kilometer langen Pipeline vom russischen Wyborg bis nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern werden auf 7,4 Milliarden Euro geschätzt. Dem Baubeginn gingen fünf Jahre intensiver Planung voraus.

Der damalige russische Präsident und heutige Ministerpräsident Wladimir Putin und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten das Vorhaben 2005 beschlossen.

Schröder wurde nach seiner Amtszeit Vorsitzender beim Aktionärsausschuss des russisch dominierten Betreiber-Konsortiums Nord Stream, das seinen Hauptsitz im schweizerischen Zug hat.

Am Festakt in der Portowaja-Bucht nahe der finnischen Grenze nahmen am Freitag Schröder und der russische Präsident Dmitri Medwedew teil.

Positiver Schritt für Westeuropa – und die Schweiz

Den Bau der Gaspipeline Nord Stream sieht Ruedi Rohrbach, Geschäftsführer der Branchenorganisation Swissgas, als «einen positiven Schritt für Westeuropa». Wenn damit die Versorgungssicherheit für Westeuropa erhöht werden könne, sei das eine gute Sache, sagt er gegenüber swissinfo.ch.

«Das in die Schweiz importierte Gas stammt zu rund zwei Dritteln aus Deutschland, welches seinerseits einen Drittel des Gases aus Russland bezieht. Indem das Projekt Nord Stream die Energieversorgungssicherheit Deutschlands erhöht, trägt es gleichzeitig dazu bei, jene der Schweiz zu erhöhen», erklärt Matthieu Buchs vom Bundesamt für Energie (BFE) gegenüber swissinfo.ch.

«Dies auch, wenn sich bis heute in der Schweiz noch nie ein Unterbruch der Gasversorgung ereignet hat.»

Auch kritische Stimmen

Die baltischen Staaten und Polen kritisieren das Projekt. Die direkten Nachbarn Russlands befürchten, dass Moskau seine Machtposition im Ostsee-Raum ausbaut und wegen des Schutzbedarfs der Leitung auch seine militärische Präsenz erhöht.

Die Befürchtungen, gerade von den baltischen Staaten, kann Swissgas-Chef Rohrbach aus historischen Gründen nachvollziehen. «Ich wüsste allerdings nicht, warum Russland eine stärkere militärische Präsenz im Ostsee-Raum markieren sollte, die Stabilität in dieser Region ist eh sehr gross.»

Auch Umweltschützer in der Region machen gegen das Vorhaben mobil: In Deutschland klagen grosse Umweltverbände gegen die Baugenehmigung für einen 50 Kilometer langen Abschnitt vor der Anlande-Station. Sie fürchten um Fischbestände und Seevögel in dem sensiblen Ökosystem.

Diese Befürchtungen teilt Rohrbach nicht. «Meines Wissens wurden beim Projekt Nord Stream sehr viele Umweltabklärungen getroffen. Es mussten unzählige Auflagen erfüllt werden. Man hat auch sehr umfassend aufgeklärt. In dem Sinn ist es ein Referenz- und Pilotprojekt.»

Grössere Unabhängigkeit

Die Gasleitung soll die Abhängigkeit der EU von Transitländern wie der Ukraine verringern. Ziel ist es, eine Wiederholung von Gaskonflikten zwischen Moskau und Kiew zu vermeiden, die Versorgungsengpässe in mehreren europäischen Ländern zur Folge hatten. Das war zuletzt Anfang 2009 der Fall.

Die Schweiz war damals allerdings kaum betroffen. «Das hat mehrere Gründe», erklärt Rohrbach. «Der Anteil von Erdgas aus russischer Förderung umfasst in unserem Einkaufsportfolio nur etwa 20%. Der Rest ist weitgehend aus dem EU-Raum und Norwegen.»

Zudem sei der Erdgasbedarf in der Schweiz ohnehin sehr klein, «etwa so gross wie jener der deutschen Grossstadt Hamburg». Weiter sei die Schweiz im Herzen Europas eingebettet, rundum habe es sehr viele Gastransportleitungen.

«Weil wir verschiedene Lieferanten haben – wir setzen auf Diversifikation –, hatten wir hier in der Schweiz überhaupt keine Auswirkungen des Engpasses 2009», so der Swissgas-Geschäftsführer.

Brüssels Nabucco-Projekt

Um eine zu grosse Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermeiden, entwickelte die EU das Nabucco-Projekt: Eine neue Pipeline, die Russland umgehen und via Türkei über den Balkan nach Österreich führen soll. Lobbyist für diese Röhre ist Schröders Ex-Aussenminister Joschka Fischer.

«Man kann sich darüber unterhalten, ob es all diese Pipeline-Projekte braucht», sagt Rohrbach dazu. «Ob die alle realisiert werden, ist im Moment nicht so sicher. Nord Stream indessen wird realisiert. Wenn mehrere Pipeline-Projekte realisiert würden, könnte man sich fragen, ob das betriebswirtschaftlich noch sinnvoll ist.»

Dazu kommt, dass der europäische Gasbedarf weniger stark zunehmen dürfte als bisher angenommen. Szenarien, welche die Klima- und Energiesparziele der EU berücksichtigen, gehen sogar von einem stagnierenden Erdgasverbrauch aus. Der Bau neuer Pipelines würde deshalb Überkapazitäten generieren.

Energiemix wichtig

Für die Energie-Gesamtstrategie der Schweiz hält Rohrbach einen Energiemix für wichtig. Diversifikation sei immer gut, es sei wichtig, einen breiten Mix von Energieträgern zu haben.

«Wenn man die Möglichkeit hat, und das Ganze auch bezahlbar ist, dann ist es selbstverständlich so, dass man nicht nur auf Erdgas setzt – auch wenn wir als Branche natürlich möglichst viel Erdgas absetzen möchten.»

Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch

Alt-Kanzler Gerhard Schröder arbeitet seit gut vier Jahren für Nord Stream, ein Konsortium aus Energiekonzernen, das von der russischen Gasprom kontrolliert wird.

Schröders Ex-Aussenminister Joschka Fischer lobbyiert dagegen für das Nabucco-Projekt. Es ist eine Kampfansage Brüssels an die Russen-Röhre.

Schröders Job war es, den Widerstand von Balten und Skandinaviern gegen Nord Stream zu überwinden. Er soll dazu in langen Einzelgesprächen einen substanziellen Beitrag geleistet haben.

Fischer muss seine politischen Kontakte, sein Verhandlungsgeschick erst noch ausspielen, um genügend Partner für Nabucco zusammenzubekommen.

Beide Pipelines zusammen werden sich wohl nicht gewinnbringend betreiben lassen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.

Nord Stream hat jetzt mit dem Bau der Pipeline begonnen. Der Start des Nabucco-Projekts steht indessen noch nicht fest.

Die Pipeline vom russischen Wyborg bis nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern ist rund 1220 Kilometer lang. Die Baukosten werden auf 7,4 Mrd. Euro geschätzt.

Die Pipeline soll Ende 2011 fertiggestellt sein und zunächst 27,5 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren. Ein Jahr später soll die Kapazität mit einem zweiten Strang verdoppelt werden. Damit können rein rechnerisch 26 Mio. Haushalte versorgt werden. Etwa 75% der russischen Gasexporte gehen in die 27 EU-Länder.

An Nord Stream sind der russische Energiekonzern Gasprom (51%), die deutschen Konzerne Eon und BASF/Wintershall (je 20%) sowie der niederländische Versorger Gasunie (9%) beteiligt.

Anfang März hatten die Gesellschafter den Einstieg des französischen Energiekonzerns GDF Suez mit 9% der Anteile vereinbart. Die beiden deutschen Partner sollen ihre Beteiligungen zugunsten der Franzosen um je 4,5% verringern. Für das Geld sorgen insgesamt 26 Banken.

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