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Neues Gesetz zum Tierwohl heiss umstritten

Die Sondereinheit "Tierseuchen" für St. Gallen, Appenzell und Liechtenstein probt den Ernstfall. Keystone

Ein unentbehrliches Mittel für die Eidgenossenschaft im Kampf gegen Tierseuchen oder der Auftakt zu obligatorischen, flächendeckenden Impfkampagnen für Tiere? Die Meinungen zum Tierseuchengesetz, Ende November an den Urnen, gehen weit auseinander.

Schweinegrippe, Vogelgrippe, Blauzungenkrankheit: Die Gefahr von Tierseuchen und Zoonosen (von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheiten) ist in den letzten Jahren gestiegen.

Dazu kommt, dass Transport und Handel mit Tieren weltweit zugenommen haben. Und auch die Klimaerwärmung stellt neue Herausforderungen.

Mit der Änderung des Tierseuchengesetzes, über die am 25. November als einzige nationale Vorlage abgestimmt wird, soll nun eine aktivere und raschere Prävention ermöglicht werden.

Der Antrag, das Tierseuchengesetz (TSG) aus dem Jahr 1966 zu überarbeiten, war aus landwirtschaftlichen Kreisen gekommen. Nach einer entsprechenden Motion im Parlament wurden die Anfragen konkretisiert, die Gesetzgebung den neuen Herausforderungen anzupassen. Der Schwerpunkt soll auf Prävention und Früherkennung von Infektionskrankheiten bei Tieren gesetzt werden.

Mit der Gesetzesänderung soll das TSG dem Bund mehr Mittel und Befugnisse zuteilen und die Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen besser aufteilen (siehe rechts).

Heilpraktiker und Bio-Bauern wehren sich

Der Gesetzestext wurde im Ständerat einstimmig gutgeheissen, im Nationalrat kam er mit lediglich einer Gegenstimme und drei Enthaltungen durch.

Das Parlament hatte aber die Rechnung ohne eine Gruppe von Menschen gemacht, die hauptsächlich aus Heilpraktikern und Bio-Bauern aus bäuerlichen Regionen der deutschsprachigen Schweiz besteht. Diese lehnten sich auf, besonders gegen obligatorische Impfungen.

Ohne die Unterstützung einer Partei oder Organisation hat es diese Gruppe von Gegnern geschafft, erfolgreich das Referendum gegen die Gesetzesänderung einzureichen. Fast alle der 51’110 gültigen Unterschriften stammen aus der deutschsprachigen Schweiz. Insgesamt waren in der Westschweiz und im Tessin weniger als tausend Unterschriften gesammelt worden.

Zwar wird im revidierten TSG keine Impfpflicht erwähnt, doch die Gegner befürchten, dass es unausgesprochen trotzdem in diese Richtung gehen wird. Die Programme für Früherkennung, Prävention und Tierseuchen-Überwachung implizierten auch die Möglichkeit von obligatorischen Impfungen, heisst es.

Doch bereits heute hat die Landesregierung die Möglichkeit, Impfungen im Falle einer Tierseuche für obligatorisch zu erklären. «Deshalb ist es nicht notwendig, dass wir eine bereits heute unbefriedigende Situation ausweiten, um die Macht des Staates noch zu stärken», sagt der freisinnige Nationalrat Walter Müller, der im Parlament als einziger gegen die Änderung des Tierseuchengesetzes gestimmt hat, aber nicht zum Referendums-Komitee gehört.

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Referendum

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das (fakultative) Referendum erlaubt Bürgerinnen und Bürgern, das Volk über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz entscheiden zu lassen. Falls das Referendumskomitee innerhalb von 100 Tagen 50’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei einreichen kann, kommt es zu einer Abstimmung. Falls das Parlament Änderungen in der Bundesverfassung vornimmt, kommt es zu einem obligatorischen Referendum. Beim fakultativen Referendum…

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Wer entscheidet und wer bezahlt

Laut dem St. Galler Freisinnigen herrscht in dieser Gesetzesänderung «ein gewisses Defizit an Mitbestimmung und Mitverantwortung. Die Eidgenossenschaft kann von Tierbesitzern eine obligatorische Steuer zur Finanzierung der Gegenmassnahmen verlangen, die sie einseitig bestimmen kann, sie kann Impfungen anordnen, ohne den Tierbesitzer in die Diskussion mit einzubeziehen. Erleidet ein Tier aber einen Schaden durch eine Impfung, muss der Tierhalter die Kosten tragen».

«Die Revision ändert nichts betreffend Impfungen. Es gibt keine Verpflichtung zur Impfung oder ähnliche Massnahmen», sagt Jacques Bourgeois, auch er Nationalrat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen).

«Sollte es zu Impfungen kommen, bleibt die Prozedur gleich, das heisst, die Tierhalter werden bei einem Entscheid wie bisher konsultiert», sagt der Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV). «Im Gegenteil, die Tierhalter erhalten sogar noch mehr Rechte, weil sie gegen Entscheide der Eidgenossenschaft Einsprache erheben können.»

Sein Verband unterstützt die Gesetzesänderung. «Der Bauernverband schätzt, dass die Fokussierung auf Prävention die medikamentösen Behandlungen oder flächendeckenden Impfungen verhindern und damit das Wohl der Tiere fördern kann», erklärt der Freiburger.

Exemplarischer Eingriff oder Reinfall?

Dass ein Rekursrecht fehlt, war im Rahmen der obligatorischen Impfung gegen die Blauzungenkrankheit augenfällig geworden. Bei der 2008 vom Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) hastig beschlossenen Impfkampagne waren damals auch drei Impfstoffe zum Einsatz gekommen, die in der Schweiz noch gar nicht zugelassen waren.

Um das BVET-Impfprogramm zu legalisieren, hatte der Bundesrat (Landesregierung) die Tierseuchenverordnung angepasst. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass das im TSG vorgesehene Recht auf Entschädigung für den Verlust von Tieren nach einer behördlich angeordneten Behandlung abgeschafft wurde.

Zahlreiche Bio-Bauern und Befürworter von natürlichen Immunisierungs-Methoden wehrten sich gegen diese Änderung. Wer seine Tiere nicht impfen liess, wurde bestraft. Zudem wurden verschiedene Bauern, deren Tiere Schäden durch den Impfstoff erlitten hatten – Tod, Aborte, Frühgeburten, mangelnde Milchproduktion, usw. – nicht entschädigt. In einigen Kantonen beschlossen die Behörden eigenständig, Ausfälle zu kompensieren.

Bourgeois sieht die andere Seite der Medaille: «Dass man rechtzeitig Massnahmen ergriffen hat, erlaubte es, die Ausbreitung der Blauzungenkrankheit in der Schweiz zu verhindern und die Gesundheit unserer Tiere zu bewahren, während rund um die Schweiz herum zahlreiche Ausbrüche bekannt wurden. Die Impfungen gegen die Blauzungenkrankheit fanden basierend auf dem aktuellen Gesetz statt – ein Gesetz, das die Gegner durch ihr Referendum gegen die Gesetzesänderung beibehalten wollen», meint er.

Naturheilmethoden ausgeschlossen

Doch jene Bauern, die der Meinung waren, ihre Tiere hätten durch die Impfung gegen die Blauzungenkrankheit Schäden erlitten, kämpfen gegen die Änderung des TSG. «Ich denke, dass der Erfolg des Referendums zu einem Teil auf dieser Episode basiert, zum anderen auf einer gewissen Skepsis gegenüber der klassischen Medizin», sagt Walter Müller.

Die Änderung des TSG hätte als Alternativen auch natürliche Methoden statt Impfstoffe vorsehen können, sagt Oskar Freysinger, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Stattdessen «hat man die Tür für diese Möglichkeiten geschlossen und das Tor für die pharmazeutische Industrie weit aufgemacht».

Freysinger, Berichterstatter der vorberatenden Kommission des Nationalrats, gibt zu, er habe dies während der Parlamentsdebatte nicht begriffen, doch jetzt sei er der Meinung, am 25. November gehe es um «eine Abwägung der Interessen» zwischen den Vor-und Nachteilen der Gesetzesänderung. Nun hat das Volk das letzte Wort.

Mit der Änderung des Tierseuchengesetzes, im März vom Parlament gutgeheissen, soll die Eidgenossenschaft die Leitung in Prävention und Kampf gegen Tierseuchen übernehmen.

Die Landesregierung soll Bestimmungen erlassen und die Finanzierung von Präventionsmassnahmen lenken können. Sie soll eine vorübergehende Steuer für Tierhalter einführen und die Höhe der Kosten für Massnahmen sowie den Anteil der Kantone daran bestimmen können.

Zudem soll der Bund Impfstoffbanken betreiben sowie Impfstoffe gegen Tierseuchen beschaffen und diese unentgeltlich oder verbilligt abgeben können.

Schliesslich soll der Bund internationale Verträge auf dem Gebiet der Tiergesundheit abschliessen können.

Den Kantonen obliegt im revidierten Gesetz die Umsetzung der Massnahmen sowie die Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz.

Bei Verletzungen des TSG sollen die Behörden Strafanzeige einreichen dürfen. Einige Strafen sollen gegenüber dem geltenden TSG verschärft werden.

Pro und Kontra

Bundesrat und Parlament empfehlen, die Änderung des Tierseuchengesetzes am 25.11.2012 anzunehmen. Alle Parlamentsfraktionen haben der Änderung zugestimmt. Auch die grösste Bauern-Organisation der Schweiz, der Schweizerische Bauernverband (SBV), und der Schweizer Tierschutz (STS) befürworten die Gesetzesrevision.

Dagegen sind die Vereinigung zum Schutz kleiner und mittlerer Bauern (VKMB), die Bauern-Gewerkschaft Uniterre und der Dachverband der Schweizer Bio-Produzenten (Bio Suisse) sowie weitere Bio-Verbände der Deutschschweiz. Das Referendum an vorderster Front unterstützt haben auch einige Organisationen für Alternativmedizin, besonders das «Netzwerk Impfentscheid N.I.E.», ein Verein für unabhängige Impfaufklärung.

Im Referendumskomitee befindet sich ein einziger nationaler Parlamentarier, der St. Galler Christdemokrat Jakob Büchler, der sich bei der Schlussabstimmung im Parlament der Stimme enthalten hat.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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