OECD-Mindeststeuer: «Die Schweiz schwindelt sich aus der Verantwortung»
Ein Nein zur OECD-Mindeststeuer soll eine gerechtere Fassung dieser Gesetzesvorlage ermöglichen: Das sagen die Gegner:innen der Abstimmungsvorlage vom 18. Juni. Fabian Molina erklärt es im Interview.
swissinfo:ch: Fabian Molina, die OECD besteuert multinationale Konzerne einheitlich, und die Schweiz macht mit. Da müssten Sie als Linker doch jubeln. Was stört Sie?
Fabian Molina: Grundsätzlich ist es ein Erfolg, dass es international eine Mindeststeuer gibt. Das Problem ist, dass die Schweiz mit der Umsetzung dieser OECD-Reform das Gegenteil bewirkt. Statt der Bevölkerung profitieren weiterhin ein paar wenige Grosskonzerne.
Wie das?
Sie hat bei vergangenen Steuerreformen Schlupflöcher geschaffen. Eines ist der sogenannte Step Up, eingeführt 2019. Mit diesem können stille Reserven aufgedeckt und die Gewinne reduziert versteuert werden.
Das andere ist das KapitaleinlagenprinzipExterner Link, in Kraft seit 2011. Es erlaubt den Unternehmen, ihre Aktionäre am Gewinn zu beteiligen, ohne dass eine Steuer anfallen würde. Dieses Instrument alleine hat den Staat zwischen 2011 und 2018 nach Schätzungen des Bundes 3,6 bis 4,8 Milliarden Franken gekostet.
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Und an diesen Schlupflöchern wird sich mit der OECD-Mindeststeuer nichts ändern. Wenn die Grosskonzerne mehr Steuern bezahlen müssen, machen sie es mit den beiden Instrumenten wieder wett.
Dennoch fallen weit über eine Milliarde mehr Steuergelder an…
Das ist nur eine Schätzung. Wir wissen aber, dass der Grossteil dieser zusätzlichen Einnahmen in die Kantone Zug und Basel-Stadt fliessen wird. Der Kanton Zug hat zum Beispiel bereits angekündigt, die Gelder für Steuersenkungen für die Reichsten zu verwenden. Auch Konzerne sollen von der sogenannten Standortförderung profitieren.
Schlimmer noch: Wenn nun die Kantone, in denen die Konzerne ansässig sind, den Grossteil der zusätzlichen Steuereinnahmen zurückerhalten, heizt das den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen weiter an. Und wenn die Mehreinnahmen hauptsächlich zwei Kantonen zugutekommen, dann ist das ist für die Bevölkerung höchst ungerecht.
Immerhin, das Geld bleibt in der Schweiz. Das müsste der Linken doch auch gefallen, nicht?
Die Einnahmen müssen der Bevölkerung in der Schweiz und in den Herkunftsländern zu Gute kommen. Die betroffenen Unternehmen sind meist kaum in der Schweiz tätig. Es sind zum Beispiel Rohstoff-Konzerne, die ihre Gewinne aus dem Globalen Süden in die Schweiz verschieben. Diese Abschöpfung bleibt bestehen. Geschaffen wurde mit dem Steuersatz von 15 Prozent lediglich ein Boden, der aber viel zu tief liegt.
Sie kämpften im Parlament dafür, dass ein Teil der Gewinne auch in den globalen Süden zurückfliesst. Bringen Sie das wieder, wenn das Volk die Vorlage ablehnt?
Ja. Wie gesagt, wir sind nicht dagegen dass die Schweiz die OECD-Reform umsetzt, im Gegenteil: Wir kämpften ja für eine globale Mindeststeuer. Aber global heisst auch, dass es gerecht zu und her gehen soll zwischen Nord und Süd. Die vorliegende Umsetzung verfehlt diese Ziele.
Wo würden sie nach einem Nein am 18. Juni noch ansetzen?
Erstens: Bestehende Schlupflöcher schliessen. Es darf nicht sein, dass die Konzerne anhand anderer Instrumente Steuern vermeiden. Zweitens müssen die Zusatzeinnahmen gerecht über das ganze Land verteilt werden. Das heisst, der Bundesanteil muss signifikant erhöht werden. Und drittens muss wie erwähnt auch ein Teil des Bundesanteils an den Globalen Süden zurückfliessen.
Bei einem Nein kommt die Schweiz aber unter Zeitdruck und sie schert international schon wieder aus. Kann sie sich das leisten?
Die Schweiz hätte nach aktuellem Fahrplan mindestens noch ein Jahr Zeit. Ausserdem würde die Schweiz aus Gründen der internationalen Konformität ausscheren. Jetzt ist es so, dass sie nur das absolute Minimum macht. Dem Sinn und Geist der Reform, der internationalen Steuergerechtigkeit, wird die Schweiz so nicht gerecht.
Ohnehin hat sich die Schweiz in diesem Dossier unsolidarisch verhalten. Sie hat sich mit anderen Tiefsteuerstaaten wie Luxemburg oder Irland dafür eingesetzt, dass der OECD-Mindestsatz mit 15% jetzt sehr tief liegt. Ursprünglich wurde ein viel höherer Satz von 21% angestrebt.
Und nun versucht die Schweiz – mit einer ungenügenden Umsetzung – international konform zu wirken. Das Alleinstellungsmerkmal des Landes, die tiefste Konzernbesteuerung, wird sie dabei beibehalten.
Was wäre denn ein fairer Steuersatz für Konzerngewinne?
Es müssten 30 Prozent oder mehr sein.
Die Tiefsteuer-Strategie, die Sie kritisieren, brachte dem Land aber auch Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Kommt das bei Ihnen nicht an?
Die Schweiz hat lange auf unmoralische Geschäftspraktiken gesetzt. Zuerst auf das Bankkundengeheimnis. Dann, als dieses nicht mehr funktionierte, lockte man das Kapital über den Steuerfuss und lasche Geldwäscherei-Gesetze in die Schweiz.
Der Krieg in der Ukraine hat aufgezeigt, wie viel schmutziges Geld von russischen Oligarchen die Schweiz angehäuft hatte. Diese Haltung wird international nicht mehr akzeptiert. Es ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit, dass die Schweiz ihr Geschäftsmodell ändert, aber auch eine Frage von vorausschauendem Handeln.
Ein Ja zur OECD-Mindeststeuer soll sicherstellen, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen in der Schweiz bleiben, sagt Monika Rühl:
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