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Wenn der Briefträger nur noch einmal klingelt

Eine Poststelle mit gelbem Briefkasten an der weissen Aussenmauer in einem Dorf, im Hintergrund sind Berge zu sehen.
Seit mehr als einem Jahrhundert gehören Poststellen zum Bild und zur Identität der Schweiz. Keystone

Steht die Grundversorgung mit Postdiensten in der Schweiz vor dem Aus? Die jüngsten Restrukturierungs-Massnahmen des "gelben Riesen" – Schliessung hunderter Postfilialen, Streichung von 1200 Stellen – führen zu immer mehr Widerstand in den vier Landesecken. Auch das Parlament mischt sich ein.

Das Bild des Schweizer Dorfs mit seinem Glockenturm und dem Post-Büro gehört immer mehr der Vergangenheit an. 1970 war die Post landesweit mit über 4100 Filialen präsent. 30 Jahre später waren es noch 3200. Seither haben sich die Restrukturierungs-Pläne gehäuft, heute gibt es gerade mal noch 1400 Post-Büros im ganzen Land.

Das seien immer noch zu viele, findet die Post-Führung. Bis 2020 möchte sie das Poststellen-Netz auf rund 800 bis 900 reduzieren. Angekündigt in den vergangenen Wochen betreffen die Kürzungen 16 der insgesamt 26 Schweizer Kantone. In der Folge hagelte es Proteste seitens der Gewerkschaften und der Konsumentenschützer, aber auch der Bürgerinnen und Bürger sowie der Politiker der betroffenen Gemeinden.

Betroffen von den Sparmassnahmen sind nicht mehr nur Randregionen: Seit ein paar Jahren kriegen sie auch die Agglomerationen und die Städte selbst zu spüren. Publiziert von der Gewerkschaft Syndicom gibt die interaktive Karte einen Eindruck davon, wie viele Poststellen sich schon in der Schliessungs-Phase (rot) befinden oder von einer Schliessung bedroht (orange) sind.

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Die Post rechtfertigt die jüngsten Massnahmen mit der zunehmenden Digitalisierung. Der Umsatz mit der Verteilung von Briefen ist seit 2000 um 63% eingebrochen. Gleichzeitig gingen die Einzahlungen am Postschalter um 37% zurück.

Trotz der grossen Zunahme von Online-Bestellungen verringerte sich auch die Verteilung von Paketen um fast die Hälfte. Die Liberalisierung des Sektors – die Post verfügt nur noch über ein Zustellungs-Monopol von Briefen, die leichter sind als 50 Gramm – brachte internationale Konkurrenz auf den Schweizer Markt.

Gleichzeitig bauen die grossen Schweizer Detailhändler immer öfter ein eigenes Zustellungs-Netz auf.

Dennoch scheint es der Post, die 2013 zu einer Aktiengesellschaft wurde, aber immer noch zu 100% vom Staat kontrolliert wird, blendend zu gehen. 2016 verzeichnete sie einen Gewinn von 558 Millionen Franken. Zu verdanken hat das Unternehmen diesen aber zu einem grossen Teil den Finanzdiensten von Postfinance. Die traditionellen Postdienste verzeichneten einen Verlust von 200 Millionen Franken.

Um dem Niedergang dieses Sektors die Stirn zu bieten, hat die Post vor mehr als 20 Jahren damit begonnen, ihre Dienstleistungen zu reduzieren. So werden die Briefe beispielsweise einmal täglich mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten zugestellt (A-Post und B-Post). Weiter kommen die Briefträger nicht mehr bis zur Haustüre und bringen den älteren Menschen die AHV-Rente nicht mehr nach Hause.

Um sie rentabler zu machen, wurden auch die Poststellen selber grossen Änderungen unterzogen. Die Diversifizierung des Angebots wurde so weit getrieben, das die Postfilialen immer mehr einem Detailhändler gleichen. Zu kaufen gibt es dort auch Computer, Tablets und Smartphones – Produkte also, die den Rückgang der traditionellen Dienstleistungen beschleunigt haben.

Nahaufnahme eines Postkartenständers in einer Postfiliale, im Hintergrund sind weitere Produkte zum Kauf zu sehen.
Trotz breiterem Angebot belasten die Poststellen die Bilanz des gelben Riesen. Keystone

Die neue Strategie der Post folgt einer gewissen Logik: Statt die Poststellen in Läden umzuwandeln, integriert der gelbe Riese immer mehr seiner Dienstleistungen in Läden, Apotheken, Tourismusbüros, Bahnschalter oder in Gemeindeverwaltungen. Die traditionellen Poststellen machen «Post-Agenturen» Platz, in denen Partner mit einem Mandat der Post tätig sind.

Für die am meisten gefragten Dienstleistungen steht den Kunden ein Berater dieser Partner-Filialen zur Verfügung. Allerdings wird nicht mehr die ganze Bandbreite der Dienste angeboten. Bis 2020 sollen mindestens 1200 dieser «Post-Agenturen» betriebsbereit sein.  

Agenzie postali sono già state istallate in più di 300 negozi della catena Volg.
In mehr als 300 Volg-Läden wurden bereits sogenannte Post-Agenturen eingerichtet. Keystone

Auch soll die Schliessung von Poststellen mit der Eröffnung von 500 bis 700 automatischen Schaltern aufgefangen werden. Hier sollen die Kunden Pakete und eingeschriebene Briefe abholen und aufgeben können. Insgesamt 4000 solche «Zugangsmöglichkeiten» sollen bis 2020 entstehen, wie die Post versichert. Den Vorwurf der Zerschlagung des Service public weist sie entschieden zurück.

Die zunehmende Unzufriedenheit der Bürger und der betroffenen Gemeinden über den Abbau des Poststellennetzes gibt nun aber auch dem nationalen Parlament zu denken. Vor ein paar Tagen stimmte die grosse Kammer (Nationalrat) einer Reihe von Vorschlägen zu, die einen Qualitätsservice und ein dichtes Netz garantieren sollen. Die Abgeordneten nahmen namentlich eine Motion an, die verlangt, dass die Post ihre Agenturen so anordnet, dass die Postdienstleistungen sowie der Zahlungsverkehr in jeder Region garantiert sind.

Die Kommunikationsministerin verteidigte die Post. Deren Dienstleistungen seien weiterhin «die besten in ganz Europa», sagte Doris Leuthard vor den Abgeordneten. Dabei stützte sie sich auf eine im Mai vom Weltpostverein publizierte Studie. Die von der Post angebotenen Alternativen seien gut, sagte sie weiter und erwähnte nebenbei, dass man auch nicht in jeder Gemeinde Brot, Milch und Fleisch kaufen könne – wichtigere Güter also, als die Möglichkeit, einmal im Monat an einem Postschalter eine Einzahlung zu tätigen.

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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