Organspenden: Vor diesen Herausforderungen steht die Schweiz
Der Übergang zur Widerspruchslösung bei der Organspende erfolgt trotz des positiven Votums der Schweizer Bürgerinnen und Bürger nicht sofort. Es wird noch mehrere Jahre dauern, vor allem, um ein nationales Online-Register einzurichten und umfassende Informationskampagnen durchzuführen.
Die Schweizer Stimmberechtigten im In- und Ausland haben am Sonntag für das neue Transplantationsgesetz gestimmtExterner Link. Es geht davon aus, dass jede in der Schweiz verstorbene Person prinzipiell als Organspenderin oder -spender gilt. Für die Umsetzung der Änderungen braucht es jedoch noch etwas Geduld.
Mehr
Das Schweizer Ja zur Organspende und die drei offenen Fragen
Der Bund muss nun eine Umsetzungsverordnung ausarbeiten, was mehrere Jahre dauern könnte. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt an, dass die neue Gesetzgebung frühestens 2024 in Kraft treten dürfte.
Diese Frist erklärt sich hauptsächlich durch die Absicht, ein nationales Register der Erklärungen zur Organspende zu schaffen und Informationskampagnen zu organisieren, die sich an die gesamte Bevölkerung richten.
Die Einführung eines nationalen Online-Registers wirft heikle Fragen auf in Bezug auf die Zugänglichkeit, die Sicherheit und den Datenschutz. Alle in der Schweiz ansässigen Personen über 16 Jahre werden dazu aufgefordert, sich anzumelden und dort ihre Ablehnung oder Zustimmung zur Organspende einzutragen.
Die künftige Plattform soll in den Landessprachen und den Sprachen der am weitesten verbreiteten Migrationsgemeinschaften verfügbar sein. Für Einzelpersonen, die sich nicht allein in das Register eintragen können, sollen Lösungen angeboten werden, etwa über ihre Hausarzt-Praxis.
«Andere Formen der schriftlichen Willensäusserung, wie die Patientenverfügung, werden ebenfalls weiterhin anerkannt», so das BAG. Zudem wird es jederzeit möglich sein, seinen Entscheid bezüglich der Organspende zu ändern.
Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wird die Einrichtung des Registers der Organspende-Entscheidungen einmalig 500’000 Franken kosten, die Verwaltung des Registers etwa 500’000 Franken pro Jahr.
Die Informationskampagne in den ersten drei Jahren nach der Umsetzung des neuen Gesetzes dürfte etwa 2,5 Millionen Franken pro Jahr kosten (gegenüber derzeit 1,5 Millionen Franken für Kampagnen zur Organspende). Danach könnten die Ausgaben wieder auf 1,5 Millionen Franken jährlich sinken.
Sichere Identifizierung gewährleisten
Das Register wird Daten enthalten, die als besonders sensibel gelten. Es muss den Anforderungen des Bundes entsprechen, namentlich den Informatiksicherheits-Vorgaben in der BundesverwaltungExterner Link. Die Kriterien zur Identifizierung der Person bei der Registrierung oder beim Login würden sehr hoch sein, versichert das BAG.
Der ursprüngliche Entwurf sah die Verwendung der elektronischen Identität (E-ID) vor. Eine solche wurde jedoch im März 2021 vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt. «Sollte die E-ID bis zur Einführung des Registers nicht einsatzfähig sein, würde der Bund auf andere sichere Identifikationsmittel zurückgreifen», sagt das BAG und nennt als Beispiel das elektronische Patientendossier.
Die einzigen Personen, die Zugang zu dem Register haben werden, sind diejenigen, die derzeit in den Krankenhäusern für die Organspende zuständig sind. «Sie können das Register nur konsultieren, um den Status einer Patientin oder eines Patienten mit aussichtsloser Prognose zu überprüfen, bei der oder dem der Entscheid zum Abbruch der lebenserhaltenden Massnahmen bereits getroffen wurde», erklärt das BAG.
Um eine sichere Identifizierung zum Zeitpunkt des Todes zu gewährleisten, sieht das Gesetz die Verwendung der AHV-Nummer des Spenders oder der Spenderin vor, speziell zur Unterscheidung von Personen mit ähnlichen Namen. Wenn die Person keine AHV-Nummer hat, sollen auch andere Identifikationsnummern verwendet werden können.
Schwachstellen vermeiden
Bei der Beratung des neuen Gesetzes führte das Parlament Anforderungen ein, um den Bund zu verpflichten, SwisstransplantExterner Link mit der Führung des Registers zu beauftragen. Die Stiftung verwaltet bereits die Liste der Personen, die auf eine Spende warten, teilt Organe zu und koordiniert die Transportlogistik. Zudem hat Swisstransplant 2018 ein eigenes Register für Spenderinnen und Spender eingerichtet.
Einziger Wermutstropfen: Anfang Januar deckte die Konsumentensendung des Schweizer Fernsehens SRF erhebliche Sicherheitsmängel in ebendiesem Register auf. «Kassensturz»Externer Link berichtete über den Report einer privaten Firma für Informationssicherheit.
Diese hatte nachgewiesen, dass irgendjemand eine Drittperson in das Register eintragen und sie so ohne deren Wissen als Organspenderin bestimmen konnte. Die Enthüllungen veranlassten den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, eine Untersuchung einzuleiten, und Swisstransplant, den Zugang zu seinem Register zu sperren.
Auf Anfrage teilte das BAG mit, dass das Sicherheitsniveau des künftigen Registers wesentlich höher sein werde. Die Stiftung wird einen Leistungsauftrag erhalten, um Entscheidungen über Organspenden zu sammeln und zu verwalten, muss aber die Anforderungen des Bundes an die Datensicherheit erfüllen und wird der Aufsicht des BAG unterstellt. Die Ergebnisse der Untersuchung der Schwachstellen des derzeitigen Registers von Swisstransplant sollen Klarheit schaffen.
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hält in seiner Pressemitteilung fest, dass das Verfahren zur Sachverhaltsabklärung «dazu beitragen soll, dass trotz des Fehlens einer staatlich anerkannten elektronischen Identität datenschutzkonforme Lösungen für die Bearbeitung der fraglichen Personendaten gefunden werden». Swisstransplant wollte auf Anfrage nicht reagieren. Man warte auf die Richtlinien des Bundes.
8,6 Millionen Menschen erreichen
Eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung des Transplantationsgesetzes ist die Information der Bevölkerung. Alle sollten verstehen können, was der Übergang von der ausdrücklichen Einwilligung zur Widerspruchslösung bedeutet und welche Schritte sie unternehmen müssen, um die eigene Entscheidung zu registrieren.
Das BAG plant breit angelegte Informationskampagnen in mehreren Sprachen im Fernsehen, in den Printmedien und im Internet. Es will dabei zusammenarbeiten mit Swisstransplant, Kommunikationsagenturen, Arztpraxen, Drogerien, Apotheken und verschiedenen Verbänden.
Um auch isoliertere Personen oder solche mit Migrationshintergrund zu erreichen, plant das Amt, auch über soziale Netzwerke und die von diesen Gruppen bevorzugten Medien zu kommunizieren.
«Denkbar ist auch eine breite Streuung der Informationen über die Gesundheitsinstitutionen und die kantonalen Akteure im Bereich Gesundheit und Integration», fügt das BAG hinzu. Bei den regelmässig durchgeführten Gesundheitsumfragen unter den Einwohnerinnen und Einwohnern sollen Fragen zum neuen Transplantationsgesetz gestellt werden. Das BAG wird seine Kampagnen auf der Grundlage der Antworten anpassen.
In anderen europäischen Ländern wird sehr unterschiedlich über die Organspende kommuniziert. In Österreich und Spanien zum Beispiel beteiligt sich der Staat kaum. Vielmehr sind die verschiedenen Verbände in den Medien und im Internet besonders aktiv.
England und die Niederlande, die vor kurzem die Widerspruchslösung eingeführt haben, unternehmen dagegen besondere Anstrengungen, um die Bevölkerung zu informieren. In England wurde eine massive und partizipative Kampagne über alle Medien gestartet, die namentlich ethnische Minderheiten, Transplantationspatientinnen und -patienten sowie ihre Familien einbezog.
In den Niederlanden erhält jede Einwohnerin und jeder Einwohner über 18 Jahre einen Brief, in dem sie oder er aufgefordert wird, die persönliche Entscheidung in das nationale Register einzutragen, sowie ein Erinnerungsschreiben, falls keine Reaktion erfolgt.
Das BAG weist darauf hin, dass die individuelle Kontaktaufnahme mit der Einwohnerschaft ein möglicher Ansatzpunkt für die künftige Kampagne sein könnte. Die Strategie ist jedoch noch in Entwicklung.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
Mehr
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch